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Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef

Buch: Enzyklika Veritatis splendor

Titel: Johannes Paul II., Evangelium vitae

Stichwort: Gebote - Freiheit

Kurzinhalt: Die negativen sittlichen Vorschriften, also jene, die die Wahl einer bestimmten Handlung für sittlich unannehmbar erklären, haben einen absoluten Wert für die menschliche Freiheit: sie gelten ausnahmslos immer und überall.

Textausschnitt: »Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst« (Lk 10, 27): »fördere« das Leben

75. Die Gebote Gottes lehren uns den Weg des Lebens. Die negativen sittlichen Vorschriften, also jene, die die Wahl einer bestimmten Handlung für sittlich unannehmbar erklären, haben einen absoluten Wert für die menschliche Freiheit: sie gelten ausnahmslos immer und überall. Sie weisen darauf hin, daß die Wahl bestimmter Verhaltensweisen mit der Liebe zu Gott und mit der Würde des nach seinem Bild geschaffenen Menschen radikal unvereinbar ist: eine solche Wahl kann daher keinesfalls durch die dahinterstehende gute Absicht und die sich ergebenden guten Folgen aufgewogen werden; sie steht in unversöhnlichem Gegensatz zu der Gemeinschaft zwischen den Menschen, sie widerspricht der Grundentscheidung, sein Leben auf Gott hinzuordnen.1
Schon in diesem Sinne haben die negativen sittlichen Vorschriften eine äußerst wichtige positive Funktion: das »Nein«, das sie bedingungslos fordern, nennt die unüberschreitbare Grenze, unter die der freie Mensch nicht gehen darf, und zugleich gibt es das Minimum an, das er respektieren und von dem er ausgehen muß, um unzählige »Ja« auszusprechen, die in der Lage sind, immer mehr den Gesamthorizont des Guten zu erfassen (vgl. Mt 5, 48). Die Gebote, insbesondere die negativen sittlichen Vorschriften, sind der Anfang und die erste notwendige Etappe des Weges zur Freiheit: »Die erste Freiheit - schreibt der hl. Augustinus - besteht im Freisein von Verbrechen..., als da sind Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, Betrug, Gotteslästerung usw. Wenn einer mit diesen Vergehen nichts zu tun hat (und kein Christ darf mit ihnen zu tun haben), beginnt er sein Haupt zur Freiheit zu erheben, aber das ist erst der Anfang der Freiheit, nicht die vollkommene Freiheit«.2

76. Das Gebot »du sollst nicht töten« bestimmt also den Ausgangspunkt für einen Weg in wahrer Freiheit, der uns dahin führt, das Leben aktiv zu fördern und bestimmte Haltungen und Verhaltensweisen im Dienst am Leben zu entwickeln: dadurch erfüllen wir unsere Verantwortlichkeit gegenüber den Menschen, die sich uns anvertraut haben, und bringen in den Taten und in der Wahrheit Gott unsere Dankbarkeit für das große Geschenk des Lebens zum Ausdruck (vgl. Ps 139 1, 13-14). (Fs)

Der Schöpfer hat das Leben des Menschen seiner verantwortlichen Fürsorge anvertraut, nicht damit er willkürlich darüber verfüge, sondern damit er es mit Weisheit bewahre und in liebevoller Treue verwalte. Der Gott des Bundes hat entsprechend dem Gesetz der Gegenseitigkeit von Geben und Empfangen, von Selbsthingabe und Annahme des anderen das Leben eines jeden Menschen dem anderen Menschen, seinem Bruder, anvertraut. Als die Zeit erfüllt war, hat der Sohn Gottes dadurch, daß er Mensch wurde und sein Leben für den Menschen hingab, gezeigt, welche Höhe und Tiefe dieses Gesetz der Gegenseitigkeit erreichen kann. Durch das Geschenk seines Geistes verleiht Christus dem Gesetz der Gegenseitigkeit, dem Anvertrauen des Menschen an den Menschen neue Inhalte und Bedeutungen. Der Geist, der Baumeister von Gemeinschaft in Liebe ist, stellt zwischen den Menschen eine neue Brüderlichkeit und Solidarität her, einen echten Abglanz des der heiligsten Dreifaltigkeit eigenen Geheimnisses von gegenseitiger Hingabe und Annahme. Der Geist selbst wird zum neuen Gesetz, das den Gläubigen die Kraft gibt und ihre Verantwortlichkeit dazu anspornt, durch Teilhabe an der Liebe Jesu Christi selbst und nach ihrer Maßgabe gegenseitig die Selbsthingabe und die Annahme des anderen zu leben. (Fs)

77. Von diesem neuen Gesetz wird auch das Gebot »du sollst nicht töten« beseelt und geformt. Für den Christen schließt es letzten Endes das Pflichtgebot ein, den Ansprüchen und Dimensionen der Liebe Gottes in Jesus Christus gemäß das Leben jedes Bruders zu achten, zu lieben und zu fördern. »Er hat sein Leben für uns hingegeben. So müssen auch wir für die Brüder das Leben hingeben« (1 Joh 3, 16). (Fs)

Das Gebot »du sollst nicht töten« verpflichtet jeden Menschen auch in seinen positivsten Inhalten, nämlich Achtung, Liebe und Förderung des menschlichen Lebens. Es läßt sich in der Tat als ein ununterdrückbares Echo des ursprünglichen Bundes Gottes, des Schöpfers, mit dem Menschen im sittlichen Bewußtsein eines jeden Menschen vernehmen; es kann von allen im Licht der Vernunft erkannt und dank des geheimnisvollen Wirkens des Geistes wahrgenommen werden, der, da er weht, wo er will (vgl. Joh 3, 8), jeden in dieser Welt lebenden Menschen erreicht und miteinbezieht. (Fs)

Es ist also ein Liebesdienst, den wir verpflichtet sind unserem Nächsten zu leisten, damit seinem Leben immer, vor allem aber, wenn es am schwächsten oder bedroht ist, Schutz und Förderung zuteil werde. Es ist nicht nur persönliche, sondern soziale Fürsorge, die wir alle dadurch ausüben müssen, daß wir die bedingungslose Achtung vor dem menschlichen Leben zum tragenden Fundament einer erneuerten Gesellschaft machen. (Fs)

Es wird von uns verlangt, das Leben jedes Mannes und jeder Frau zu lieben und zu ehren und mit Standhaftigkeit und Mut daran zu arbeiten, daß in unserer Zeit, die allzu viele Zeichen des Todes aufweist, endlich eine neue Kultur des Lebens als Frucht der Kultur der Wahrheit und der Liebe entstehen möge. (Fs)

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