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Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef

Buch: Enzyklika Veritatis splendor

Titel: Johannes Paul II., Veritatis splendor

Stichwort: Gnade - Wahrheit; menschliche Schwäche - Umkehrung von Gut und Böse; Pharisäer: Aufhebung der eigenen Sünde

Kurzinhalt: ... ist hingegen die Haltung eines Menschen, der seine Schwäche zum Kriterium der Wahrheit vom Guten macht, um sich von allein gerechtfertigt fühlen zu können, ohne es nötig zu haben, sich an Gott und seine Barmherzigkeit zu wenden, unannehmbar.

Textausschnitt: 103. Mit Hilfe der göttlichen Gnade und durch die Mitwirkung der menschlichen Freiheit steht dem Menschen immer der geistliche Raum der Hoffnung offen. (Fs)

Im rettenden Kreuz Jesu, in der Gabe des Heiligen Geistes, in den Sakramenten, die aus der durchbohrten Seite des Erlösers hervorgehen (vgl. Joh 19,34), findet der Glaubende die Gnade und die Kraft, das heilige Gesetz Gottes immer, auch unter größten Schwierigkeiten, zu befolgen. Wie der hl. Andreas von Kreta sagt, wurde das Gesetz "durch die Gnade neu belebt und, in harmonischer und fruchtbarer Verbindung, in ihren Dienst gestellt, ohne Vermischung und Verwirrung ihrer je besonderen Eigenschaften; und doch hat er auf göttliche Weise das früher belastende und tyrannische Gesetz in eine leichte Last und eine Quelle der Freiheit verwandelt." 1

Allein im Erlösungsgeheimnis Christi gründen die "konkreten" Möglichkeiten des Menschen. "Es wäre ein schwerwiegender Irrtum, den Schluß zu ziehen..., die von der Kirche gelehrte Norm sei an sich nur ein "Ideal", das dann, wie man sagt, den konkreten Möglichkeiten des Menschen angepaßt, angemessen und entsprechend abgestuft werden müsse: nach Äbwägen der verschiedenen in Frage stehenden Güter". Aber welches sind die "konkreten Möglichkeiten des Menschen?" Und von welchem Menschen ist die Rede? Von dem Menschen, der von der Begierde beherrscht wird, oder von dem Menschen, der von Christus erlöst wurde? Schließlich geht es um folgendes: um die Wirklichkeit der Erlösung durch Christus. Christus hat uns erlöst! Das bedeutet: Er hat uns die Möglichkeit geschenkt, die ganze Wahrheit unseres Seins zu verwirklichen; Er hat unsere Freiheit von der Herrschaft der Begierde befreit. Und auch wenn der erlöste Mensch noch sündigt, so ist das nicht der Unvollkommenheit der Erlösungstat Christi anzulasten, sondern dem Willen des Menschen, sich der jener Tat entspringenden Gnade zu entziehen. Das Gebot Gottes ist sicher den Fähigkeiten des Menschen angemessen: Aber den Fähigkeiten des Menschen, dem der Heilige Geist geschenkt wurde; des Menschen, der, wiewohl er in die Sünde verfiel, immer die Vergebung erlangen und sich der Gegenwart des Geistes erfreuen kann".2

104. Hier öffnet sich dem Erbarmen Gottes mit dem sich bekehrenden Sünder und dem Verständnis für die menschliche Schwäche der angemessene Raum. Dieses Verständnis bedeutet niemals, den Maßstab von Gut und Böse aufs Spiel zu setzen und zu verfälschen, um ihn an die Umstände anzupassen. Während es menschlich ist, daß der Mensch, nachdem er gesündigt hat, seine Schwäche erkennt und wegen seiner Schuld um Erbarmen bittet, ist hingegen die Haltung eines Menschen, der seine Schwäche zum Kriterium der Wahrheit vom Guten macht, um sich von allein gerechtfertigt fühlen zu können, ohne es nötig zu haben, sich an Gott und seine Barmherzigkeit zu wenden, unannehmbar. Eine solche Haltung verdirbt die Sittlichkeit der gesamten Gesellschaft, weil sie lehrt, an der Objektivität des Sittengesetzes im allgemeinen könne gezweifelt und die Absolutheit der sittlichen Verbote hinsichtlich bestimmter menschlicher Handlungen könne geleugnet werden, was schließlich dazu führt, daß man sämtliche Werturteile durcheinanderbringt. (Fs) (notabene)

105. Von allen wird große Wachsamkeit verlangt, sich nicht von der Haltung des Pharisäers anstecken zu lassen, die den Anspruch erhebt, das Bewußtsein von der eigenen Begrenztheit und Sünde aufzuheben, und die heute in dem Versuch, die sittliche Norm den eigenen Fähigkeiten und den eigenen Interessen anzupassen, und sogar in der Ablehnung des Normbegriffes selbst besonders zum Ausdruck kommt. Umgekehrt entfacht das Annehmen des "Mißverhältnisses" zwischen dem Gesetz und den Fähigkeiten des Menschen - d.h. den Fähigkeiten der sittlichen Kräfte des sich selbst überlassenen Menschen - die Sehnsucht nach der Gnade und bereitet den Boden für ihren Empfang. "Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten?", fragt sich der Apostel Paulus. Und mit einem freudigen und dankbaren Bekenntnis antwortet er: "Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!" (Röm 7,24-25). (Fs)

Dasselbe Bewußtsein treffen wir im folgenden Gebet des hl. Ambrosius von Mailand an: "Der Mensch ist nichts wert, wenn du ihn nicht aufsuchst. Vergiß den Schwachen nicht, denke daran, daß du mich aus Staub geformt hast. Wie soll ich mich aufrecht halten können, wenn du mich nicht ununterbrochen im Blick hast, um diese Tonerde zu festigen, so daß meine Festigkeit auf deinen Blick zurückzuführen ist? Verbirgst du dein Gesicht, bin ich verstört (Ps 104,29): Wehe mir, wenn du mich anblickst! Du kannst bei mir nur Verderbtheiten durch Vergehen sehen; es ist weder von Vorteil verlassen noch gesehen zu werden, denn wenn wir gesehen werden, sind wir Grund zur Abscheu. Wir dürfen jedoch annehmen, daß Gott jene nicht zurückweist, die er sieht, denn er macht die rein, die er anblickt. Vor ihm ein alle Schuld versengendes Feuer (vgl. Joel 2,3)".3

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