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Autor: Dawson, Christopher

Buch: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte

Titel: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte

Stichwort: Europa, Liberalismus; überstaatliche Kultur - Körper ohne Seele; Rom: Verfall - geistige Erneuerung

Kurzinhalt: Im 19. Jahrhundert war der Liberalismus - der Glaube an den Fortschritt und die Aufklärung, an die Freiheit und Menschlichkeit - die tatsächliche Religion der abendländischen Kultur... gleicht die überstaatliche Kultur der modernen Welt einem Körper ...

Textausschnitt: 395c Im 19. Jahrhundert war der Liberalismus - der Glaube an den Fortschritt und die Aufklärung, an die Freiheit und Menschlichkeit - die tatsächliche Religion der abendländischen Kultur. (Fs) (notabene)
396a Es gelang ihm, auf der ganzen Welt Menschen zu sich zu bekehren - in Indien und im Nahen Osten, in Japan und in China. Jetzt aber, wo der Liberalismus im Schwinden ist und nicht mehr die Kraft hat, die Welt zu einigen, gleicht die überstaatliche Kultur der modernen Welt einem Körper ohne Seele, und in das Vakuum treten neue, totalitäre Ideologien wie der Kommunismus, die drohen, die Welt zu spalten, anstatt sie zu einigen. (Fs) (notabene)

Es scheint daher derzeit unwahrscheinlich, daß es Europa gelingen wird, seine kulturelle Tradition den neuen Völkern weiterzugeben so wie Rom seine Tradition der mittelalterlichen Weltweitergegeben hat. Trotzdem muß man sich vor Augen halten, daß die Aussichten im 3. Jahrhundert n. Chr. nicht besser waren. Ein Römer der damaligen Zeit, der das Versagen des Imperiums gegenüber den Einfällen der Barbaren im Westen und der wachsenden Macht des persischen Reiches im Osten miterlebte, hätte sich niemals vorstellen können, daß Rom der Mittelpunkt eines neuen geistigen Reiches im Abendland werden könnte oder daß das neue Rom am Bosporus, das damals noch gar nicht bestand, dazu ausersehen war, die Tradition des Römischen Reiches und der griechisch-christlichen Kultur über ein Jahrtausend lang fortzusetzen. (Fs)

396b Tatsächlich wird das Schicksal der Zivilisation nicht ausschließlich und nicht einmal vorwiegend durch politische und wirtschaftliche Ursachen bestimmt. Das Zeitalter des Verfalls des Römischen Reiches war auch ein Zeitalter der geistigen Erneuerung, das nicht nur dem mittelalterlichen Christentum, sondern auch der Zivilisation Byzanz' und des Islams den Weg bereitete. Es erwies sich als die große Wasserscheide, wo die Ströme der westlichen und östlichen Kultur sich teilten, und es bestimmte die Kanäle, durch die sie tausend Jahre lang fließen sollten. (Fs)

396c Auch unsere Zeit ist ein Zeitalter des Überganges, in dem sich die Grenzen zwischen Ost und West verschieben und eine neue Welt in Schmerzen aus den Trümmern der alten entsteht. Am wichtigsten sind jedoch nicht die Veränderungen im Gleichgewicht der Mächte und in den internationalen Beziehungen, sondern die tieferen Veränderungen, die unter der Oberfläche der politischen Ereignisse vor sich gehen und die wir oft fast gar nicht bemerken. Denn die geistigen Kräfte, von denen die Lebenskraft einer Zivilisation abhängt, äußern sich oft in unerwarteten Formen, die der Aufmerksamkeit der Journalisten und Historiker entgehen. Um sie zu erkennen, muß man unsere Zivilisation als Ganzes in der Vergangenheit und Gegenwart betrachten und feststellen, welches die gestaltenden Elemente in dem abendländischen Kulturprozeß waren und wie weit sie heute noch fortbestehen. (Fs)

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