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Autor: May, Georg

Buch: Die Ökumenismusfalle

Titel: Die Ökumenismusfalle

Stichwort: Luther, Protestantismus; Differenzen; das Wort Gottes; Kanon im Kanon (Hebräerbrief, Jakobusbrief, Apokalypse); Konzil von Trient

Kurzinhalt: Die Protestanten lehnen die Tradition als Weise der Weitergabe der Offenbarung ab. Sie setzen dagegen ihr "Durch die Schrift allein".

Textausschnitt: §2 Die Differenzpunkte

74a Nun wird von mancher Seite der Eindruck erweckt, katholische Kirche und Protestantismus stünden sich in der Lehre nicht mehr so unversöhnlich gegenüber wie im 16. Jahrhundert. Dieser Eindruck trügt. Nichts hat sich geändert. Die Gegensätze in der Lehre, wie sie in den Religionsgesprächen des 16. Jahrhunderts thematisiert wurden, bestehen unverändert fort; sie werden nur von den katholischen Ökumenikern kaschiert und heruntergespielt. Wenn Papst Johannes Paul II. behauptet, seit dem Konzil seien "trennende Schranken" zwischen Katholiken und Lutheranern abgetragen worden1, dann bleibt er den Beweis für die Behauptung schuldig. Die weiterbestehenden Lehrgegensätze betreffen auch nicht nur den Ausdruck und die Worte. Papst Johannes XXIII. unterschied bekanntlich in seiner Eröffnungsansprache zum Zweiten Vatikanischen Konzil zwischen dem Glaubensgut (depositum fidei) und dessen Formulierung (modus enuntiandi)2. Diese Unterscheidung ist möglich. Doch die Protestanten nehmen Anstoß nicht an der Formulierung des katholischen Glaubens, sondern an seinem Inhalt. Es ist bedauerlich, daß keine neuere gründliche und zuverlässige Darstellung der Lehrgegensätze zwischen katholischer Kirche und protestantischen Gemeinschaften aus katholischer Feder existiert. Doch wird diesem Mangel bis zu einem gewissen Grade durch die protestantischen Autoren abgeholfen, die in der Regel nicht zögern, ihre Gegenposition zum katholischen Dogma deutlich und scharf herauszuarbeiten. Wenigstens einige gewichtige Differenzpunkte sollen im Folgenden namhaft gemacht werden. Der Protestantismus enthält übrigens in sich selbst die größten Gegensätze, die unvereinbar sind. Ich erinnere an die Christologie, die Ansichten vom Abendmahl und die Meinungen über die Prädestination. Es gibt im Protestantismus keine Einheit im Glauben. Der evangelische Christ Hans Apel stellte richtig fest: "Die EKD ist ein loser Verband unterschiedlicher Strömungen -jeder kann beschließen und machen, was er will"3. Allein deswegen ist im Grunde das Gespräch zwischen Katholiken und Protestanten aufbrüchigem Boden angesiedelt. Man kann sich vielleicht mit einem Gesprächspartner einigen. Aber dann kommt ein anderer und erklärt, diese Einigung sei für ihn nicht verbindlich. (Fs)

I. Das Wort Gottes

76a Für Protestanten ist das Wort das entscheidende Gnadenmittel. Das Wort ist personale Anrede und Zusage. Gegenüber dem Wort ist das Sakrament zweitrangig. Das Wort bleibt immer freies und neu gesprochenes Wort. Es koaguliert nicht zum Gesetz. Für die Protestanten ist daher der Begriff des Dogmas nicht nachvollziehbar. Er wird konstituiert durch das Enthaltensein in der Offenbarung und die Vorlage durch die Kirche. Dadurch entsteht das Glaubensgesetz. Der Protestantismus läßt aber nur das jeweilige freie Ausrufen des Wortes gelten. Seine Verfestigung im Bekenntnis ist rein menschlichen Rechtes und jederzeit überholbar. (Fs) (notabene)

Kommentar (28.12.09): Dieses Verständnis von Wort - Wirklichkeit erinnert mich an Ockham.

76b Die katholische Kirche bekennt im Konzil von Trient und im Ersten Vatikanischen Konzil die Schrift und die Tradition als Quellen der göttlichen Wahrheit4. Das Zweite Vatikanische Konzil hält daran fest: "Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift bilden den einen der Kirche überlassenen heiligen Schatz des Wortes Gottes"5. Die Überlieferung geht der Schrift voraus. Vor jeder schriftlichen Fixierung wurde der christliche Glaube mündlich überliefert. Nach der Entstehung des Neuen Testaments lief die lebendige Überlieferung weiter. Die göttlich-apostolische Tradition ist keine bloße Interpretationsinstanz des Heiligen Schrift, die deren Inhalt auslegt und deutet. Die Berufung auf die Vollständigkeit der Heiligen Schrift ändert nichts daran, daß es Dogmen gibt, deren Ansatz in der Schrift so schwach ist, daß sie ohne Zuhilfenahme der Tradition nicht gebildet werden konnten. Die Protestanten lehnen die Tradition als Weise der Weitergabe der Offenbarung ab. Sie setzen dagegen ihr "Durch die Schrift allein". Freilich sind sie dabei nicht konsequent, denn ihre Auslegung der Schrift wird kräftig gelenkt durch den protestantischen Traditionalismus, der die eigenen Prinzipien in die Schrift einträgt und sie so dort wiederfindet. Wer als katholischer Christ protestantische Kommentare zu den Büchern der Bibel liest, stößt dort nicht selten mit Erstaunen auf Bezugnahmen von Luthers Schriften. Die Heilige Schrift wird dementsprechend vom Protestantismus als Kampfinstrument gegen die Kirche und die Tradition benutzt. Allein aus der Schrift ist der gesamte Glaube zu entnehmen, wie er ihn versteht. Nach einer Richtung ist die Schrift jedoch nicht offen. Wer durch sie nach Rom geführt wird, verfällt der Ächtung. (Fs)

77a Dabei verharrt der Protestantismus hinsichtlich des Bibeltextes auf einem unerbittlichen Traditionalismus. Von katholischen und protestantischen Theologen wurde gemeinsam eine deutsche Übersetzung der Heiligen Schrift erstellt, natürlich zu dem Zweck, daß sie von beiden Konfessionen im Gottesdienst benutzt werde6. Anders verfuhr man im deutschen Protestantismus. Die evangelischen Landeskirchen lehnten die Einführung der Einheitsbibel in Unterweisung und Gottesdienst ab. Der Rat der EKD empfahl seinen 24 "Gliedkirchen" sogar, auch in ökumenischen Gottesdiensten den Text der Lutherbibel (und nicht die sogenannte ökumenische Einheitsübersetzung) zu verwenden. Damit wurde, wie Kardinal Meisner formulierte, die gemeinsame Bibelübersetzung aufgekündigt7. (Fs)

77b Schon der Umfang der Heiligen Schrift ist zwischen katholischer Kirche und dem Protestantismus strittig. Im Alten Testament werden die sogenannten deuterokanonischen Bücher als Apokryphen gewertet. Auch im Neuen Testament werden einige Schriften als verdächtig betrachtet. Luther sah den Hebräerbrief, den Jakobusbrief, den zweiten Petrusbrief und die Apokalypse als nicht zum Kanon der Bibel gehörig an. Man sollte deswegen aufhören mit der Rede, Katholiken und Protestanten hätten dieselbe Bibel; sie haben nicht dieselbe Bibel. (Fs)

77c Schwerwiegende Gegensätze bestehen sodann in der Wertung der Heiligen Schrift. Die katholische Kirche lehrt die Einheit der ganzen Heiligen Schrift8. Alle Bücher haben Gott zum Urheber. Es ist nicht ein Bestandteil der Bibel "wahrer" als ein anderer, keiner hat mehr Autorität als ein anderer. Zwischen den einzelnen Büchern der Heiligen Schrift besteht auch kein Gegensatz. Es ist unmöglich, ein Buch der Bibel gegen ein anderes auszuspielen. Der Protestantismus denkt abweichend über die Einheit der Heiligen Schrift. Die einzelnen Teile der Bibel werden qualitativ unterschieden. So entsteht ein Kanon im Kanon. Damit werden verschiedene Autoritätsgrade innerhalb der Bibel eingeführt. Es kann die eine Aussage der Heiligen Schrift gegen eine andere ausgespielt werden. Dadurch wird der Mensch zum Richter über Gottes Offenbarung gemacht. Luther erkannte in der Heiligen Schrift nur das an, was (nach seiner Auslegung) "Christum treibt". Er hob den Römer- und den Galaterbrief unter allen Schriften des Neuen Testaments heraus, weil er dort die von ihm geschaffene Version der Rechtfertigungslehre zu finden meinte. (Fs)

78a Die Heilige Schrift enthält Bücher, die Bücher enthalten Texte. Texte müssen gelesen, aber auch ausgelegt werden. Jeder Text, auch der scheinbar einfachste, bedarf der Auslegung. Die Interpretation der Erklärer ist häufig, ja fast immer unterschiedlich. Gegenüber der Fülle der Deutungsmöglichkeiten bedarf es einer Instanz, die den wirklichen Sinn eines Textes feststellt. Die katholische Kirche weist dem gottgesetzten Lehramt die Aufgabe zu, die Schrift autoritativ auszulegen. Das Lehramt erhebt sich damit nicht über die Schrift, sondern dient ihrem Verständnis und ihrer Wirksamkeit. Der Protestantismus kennt keine irdische Instanz, welche die Schrift verbindlich auslegt. Kein Kirchenpräsident, kein Rat und keine Synode ist befugt, eine bestimmte Interpretation vorzuschreiben. Jeder einzelne Christ ist berechtigt, die Schrift selbst auszulegen. Ja, der Protestantismus behauptet, die Schrift lege sich selbst aus. Diese Behauptung ist angesichts des Interpretationswirrwarrs unhaltbar. Sicher ist: Selbstauslegungskraft der Heiligen Schrift und authentische Auslegung durch das kirchliche Lehramt schließen sich aus. In der Praxis ist der Protestantismus auch nicht konsequent. Er besitzt in den Bekenntnisschriften eine Instanz, welche faktisch die Auslegung der Bibel - entgegen den eigenen Grundsätzen - lenkt. Wer diese Dokumente der Vergangenheit als verbindlich neben die Bibel stellt, hat die These von der Selbstauslegung der Schrift aufgegeben. (Fs)

79a Die Bibel steht angeblich im Protestantismus in hohem Ansehen, ist norma normans des Glaubens, der Lehre und der Verkündigung. Gleichzeitig mit dem protestantischen Bibelprinzip muß aber auf die Zerstörungen hingewiesen werden, die seit zweihundert Jahren im protestantischen Bereich an den Büchern der Heiligen Schrift angerichtet worden sind9. Niemand hat die Bibel mehr und länger ihrer Autorität entkleidet als protestantische Theologen. Die Folge ist der Abfall von Bibel und Bekenntnis in weitesten Kreisen. Manchmal zerreißt ein aufsehenerregender Schritt den Nebel, der von beflissenen Schönrednern über die angebliche Bibelgläubigkeit im Protestantismus gebreitet wird. Der frühere Bundesminister Hans Apel und seine Frau traten aus der Nordeibischen Evangelisch-Lutherischen Kirche aus, weil dort für Bibel und Bekenntnis kaum noch Raum sei10. (Fs)

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