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Autor: Hrsg. Brandmüller, Walter; Scheffczyk, Leo; Lochbrunner, Manfred

Buch: Das eigentlich Katholische

Titel: Das eigentlich Katholische

Stichwort: Strukturen katholischen Glaubens 1 - schöpfungsorientierte Grundstruktur; Werkoffenbarung; Bindung an Schöpfung - Moral, Ontologie; Hedonismus - Gnosis; Entgegnung auf Einwand: Ungeschichtlichkeit, kein personales Denken

Kurzinhalt: Die zwei wesentlichen Einwände gegen eine auf dem Schöpfungsverständnis begründete Moral- und Glaubenslehre lauten deshalb auf Ungeschichtlichkeit und auf mangelndes personales Denken. Aber diese Einwände sind widerlegbar; denn einmal besagt ...

Textausschnitt: II. Die elementare schöpfungsorientierte Grundstruktur

14b Der Einsatz beim Schöpfungsverständnis ist deshalb berechtigt, weil die Schöpfung nicht nur den Ursprung der Welt meint, an dem der Glaube mit einer sichtlichen Priorität festhält, sondern weil "Schöpfung" auch ein durchgehendes göttliches Handeln besagt, das in der Erhaltung der Welt fortbesteht, das in der neuen Schöpfung in Christus einen Höhepunkt erreicht und das in der Verklärung der Welt bei der Parusie die schöpferische Vollendung gewinnen wird. So entspricht der Schöpfungsgedanke tatsächlich den Anforderungen an eine durchgängige Struktur und an ein bleibendes Gestaltprinzip der Glaubenswirklichkeit. (Fs)

15a Das in dieser Weise als elementar, d.h. als grundlegend bezeichnete Schöpfungsverständnis verlangt aber nicht nur die Anerkennung der einzigartigen, unvergleichbaren Größe des Schöpfergottes, sondern auch das Ernstnehmen der relativen Eigenständigkeit, des Eigenwertes und der Eigenbedeutung der geschaffenen Welt, der materiellen wie der geistigen und des Kompositums von beiden, des Menschen. (Fs)

15b Der christliche Glaube versteht die Schöpfung näherhin als die erste Offenbarung Gottes, die in diesem seinem Werk als Werkoffenbarung erging und so stets auf Gott verweist. Darum wertet katholisches Glaubensdenken, in Abweichung vom protestantischen, die Schöpfung und die Natur als ein Gleichnis und als einen Spiegel Gottes, der trotz seiner Versehrung durch die Sünde immer noch zur Gotteserkenntnis dient, wofür auch Schriftaussagen wie Wsh 13,5 und Rom 1,20 zeugen ("Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit"). (Fs)

15c Dieser Nachdruck auf der göttlichen Herkunft und Bindung der Schöpfung hat sich im katholischen Bereich nicht nur Ausdruck in einer spezifischen Schöpfungsfrömmigkeit geschaffen, wofür u.a. Hildegard v. Bingen (+ 1179) und Franz v. Assisi (+ 1226) Beispiele sind, sondern auch zu einer bestimmten Naturnähe und Naturgebundenheit des gläubigen Denkens geführt, die mit Wirklichkeitssinn und einer Neigung zur Objektivität verbunden sind. So verleiht der Schöpfungsgedanke dem katholischen Denken im ganzen eine gewisse Bodenhaftung, wodurch es vor Ideologien und Utopien moderner Art geschützt wird. (Fs)

16a Aber die Bindung an die Schöpfung zeitigt noch speziellere Folgen, sowohl für die Moral wie für die Glaubenslehre, für das Sollen wie für das Denken. Unter der ersten Rücksicht ergibt sich aus der positiven Wertung der Schöpfung die Anerkennung eines sittlichen Naturgesetzes, das aus der Verbindung der schöpfungsgemäßen Bestrebungen im Menschen mit dem Licht der Vernunft entsteht, das seinerseits ein Widerstrahl des göttlichen Lichtes ist, an dem der Mensch als Ebenbild Gottes teilhat.1 Die Schöpfungsgebundenheit schenkt oder (vorsichtiger gesagt) schenkte dem katholischen Glaubensleben eine objektiv begründete und allgemein verbindliche Sittenlehre, die auch dem Verständnis von Nichtchristen geöffnet war. (Fs)

16b Die Existenz und Verbindlichkeit eines solchen sittlichen Naturgesetzes wird zwar heute von der "autonomen Moral" geleugnet, aber sie wird von den zu unserer Zeit allein noch als unbezweifelbare Repräsentanten des Katholischen auftretenden Päpsten unverrückbar festgehalten. Wie eng, aber auch wie bedeutsam für den Menschen diese Bindung an die Schöpfung und das sittliche Gesetz in ihr ausfällt, kann an einem aktuellen Beispiel deutlich werden, nämlich an den Gedanken von "Familiaris Consortio" über die Eltern als Mitarbeiter Gottes, des Schöpfers, bei der Weitergabe des Lebens.2
16c Diese Verbindungen zum sittlichen Schöpfungsgesetz kehren u.a. heute besonders deutlich bei den Begründungen des Ethos des Leiblichen, des Geschlechtlichen und der legitimen Geburtenregelung wieder. Ein realistischer Blick auf unsere Gegenwart führt zur Gewißheit, daß es zu diesen Grundsätzen, trotz des Widerstandes gegen sie, keine echte Alternative gibt. Wo eine solche dennoch versucht wird, kommt es auch in der Kirche nur zur Rechtfertigung des Libertinismus und des Hedonismus, der im Grunde aus einer gnostischen Verachtung der Schöpfung und des Leiblichen stammt, verbunden mit dem Vorwand eines höheren Wissens und geistiger Überlegenheit. Diesen Einschlag der alten schöpfungsfeindlichen Gnosis kann man etwa an der Behauptung eines katholischen Moraltheologen ersehen, die zur Neubewertung der Homosexualität dienen soll. Er sagt mit Bezug auf die Verurteilung der Widernatürlichkeit durch den hl. Paulus in Rom l,26f: Das Wort des Apostels sei nicht mehr verbindlich, weil er das alles noch nicht wußte, was wir heute wissen. Er meint vor allem das Wissen der Humanwissenschaften, das freilich meistens völlig wertfrei gehalten ist. So liegt auch in der heutigen Vergötzung des Leibes in Wirklichkeit, trotz Behauptung höheren Wissens und größerer Freiheit, ein Stück gnostischer Leibverachtung, die ihrerseits aus einer Mißachtung der Schöpfung und ihres Gesetzes kommt. (Fs) (notabene)

17a Aber, wie angedeutet, hat die Verbindlichkeit des Schöpfungsgedankens auch eine bedeutsame Folge für den realistischen, heilserfüllten christlichen Glauben insgesamt. Der Schöpfungsgedanke besagt nämlich in einer tiefergehenden Fassung die Setzung von neuer Wirklichkeit oder - philosophisch ausgedrückt - von neuem Sein. Er beinhaltet die Setzung von endlicher Wirklichkeit durch die absolute unendliche Wirklichkeit des göttlichen Schöpfers. Mit der Anerkennung des Schöpfungsgedankens und der Schöpfung als der ersten Offenbarung Gottes ist zugleich die Existenz von objektiver, dem Menschen vorgegebener Heilswirklichkeit anerkannt, die nicht aus der Subjektivität des Menschen hervorgeht, aus Ahnung, Gefühl oder existentieller Erfahrung. Mit der Schöpfung als erster Offenbarung ist alle Offenbarung als objektive Wirklichkeit und Wahrheit angenommen, als Wirklichkeit, die auch von der menschlichen Vernunft mit wirklichkeitserfüllten natürlichen Begriffen aufgenommen werden kann und aufgenommen werden muß. Dazu gehören Begriffe wie Wesen, Person, Materie, Form, Seele, Leib, um nur die wichtigsten zu nennen. Freilich können diese Begriffe auf die eigentlichen Geheimnisse des Glaubens nur in analoger Weise, d.h. ähnlich - unähnlich angewandt werden. (Fs)

18a So wird von der Schöpfung her verständlich, daß der Glaube eine vernunftgemäße Wirklichkeitslehre zur Voraussetzung hat oder, wie der Fachausdruck sagt, eine Ontologie, die freilich nicht mit einer bestimmten Philosophie, etwa der des Aristoteles, gleichgesetzt werden muß. Anders löst sich der Glaube in existentielle Anstöße oder Bedeutsamkeiten auf, wie bei den Existenztheologen, oder er reduziert sich auf menschliche Ideen und anthropologische Erkenntnisse wie bei den Idealisten, die alle im Grunde keine Schöpfungslehre kennen. (Fs)

18b Freilich wird sowohl gegen die das Naturgesetz anerkennende Moral wie gegen die die Ontologie benutzende Glaubenslehre eingewandt, daß sie aus dem christlichen Heil eine rein statische, gegenständliche, unpersönliche und ungeschichtliche Gegebenheit machen, was sowohl der Größe Gottes als auch der Spontaneität des Menschen widerspricht. Die zwei wesentlichen Einwände gegen eine auf dem Schöpfungsverständnis begründete Moral- und Glaubenslehre lauten deshalb auf Ungeschichtlichkeit und auf mangelndes personales Denken. Aber diese Einwände sind widerlegbar; denn einmal besagt der Gedanke vom Ursprung der Schöpfung und der Offenbarung, daß beide eine Geschichte haben, die mit dem Anfang nicht schon am Ziele ist. Nur wird damit nicht schon jede geschichtliche Entwicklung gerechtfertigt, sondern es muß zwischen legitimer Entwicklung und Korrumpierung unterschieden werden, was letztlich nur am Maßstab bleibender Wirklichkeit und Wahrheit möglich ist. (Fs) (notabene)

19a Auf den vom modernen einseitigen Personalismus kommenden Einwand ist zu erwidern: Sowohl die Anerkennung des aus der Schöpfung kommenden Naturgesetzes wie die Verwendung sogenannter statischer neutraler Begriffe schließen den Menschen als Person nicht aus, sondern ein.3 Der Mensch ist in beiden Fällen in »einer Verantwortung und in seiner Entscheidungsfähigkeit ernst genommen und aufgerufen. Alle theologischen Aussagen gehen von der Person Gottes aus und sind für die Person des Menschen bestimmt. Das Personale bleibt so Ursprung und Ziel auch des ontologisch gefaßten theologischen Denkens.4

19b Trotzdem wird, zumal von evangelischer Seite, gegen die Hochschätzung der Schöpfungsstruktur als letzter Einwand der folgende erhoben, daß nämlich dadurch die Naturordnung verselbständigt würde, daß die Einheit von Natur und Gnade aufgelöst und ein Dualismus zwischen Natur- und Heilswirklichkeit aufgerichtet würde. Aber dieser Einwand wäre nur treffend, wenn das elementare Schöpfungsprinzip die einzige Struktur des katholischen Glaubens wäre. In Wirklichkeit wird diese überhöht durch die christologische Struktur der Christozentrik. (Fs)

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