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Autor: Ratzinger, Josef

Buch: Einführung in das Christentum

Titel: Einführung in das Christentum

Stichwort: Gerechtigkeit - Gnade; Sühne, Opfer, Sühnetheologie (Anselm von Canterbury); Kreuzestheologie; Kreuz, Kult, Eucharistie; Neues Testament: religionsgeschichtliche Wende

Kurzinhalt: Hier stehen wir vor der Wende, die das Christentum in die Religionsgeschichte getragen hat: Das Neue Testament sagt nicht, dass die Menschen Gott versöhnen, wie wir es eigentlich erwarten müssten, da ja sie gefehlt haben, nicht Gott.

Textausschnitt: a) Gerechtigkeit und Gnade.

264a Welche Stellung nimmt eigentlich das Kreuz innerhalb des Glaubens an Jesus als den Christus ein? Das ist die Frage, mit der uns dieser Glaubensartikel noch einmal konfrontiert. Wir haben in unseren bisherigen Überlegungen die wesentlichen Elemente einer Antwort bereits gesammelt und müssen nun versuchen, sie zusammen vor den Blick zu bekommen. Das christliche Allgemeinbewusstsein ist in dieser Sache, wie wir gleichfalls früher schon feststellten, weithin von einer reichlich vergröberten Vorstellung der Sühnetheologie Anselms von Canterbury bestimmt, deren Grundlinien wir in anderem Zusammenhang bedacht haben. Für sehr viele Christen und besonders für jene, die den Glauben nur ziemlich von weitem kennen, sieht es so aus, als wäre das Kreuz zu verstehen innerhalb eines Mechanismus des beleidigten und wiederhergestellten Rechtes. Es wäre die Form, wie die unendlich beleidigte Gerechtigkeit Gottes mit einer unendlichen Sühne wieder versöhnt würde. So erscheint es den Menschen als Ausdruck einer Haltung, die auf einem genauen Ausgleich zwischen Soll und Haben besteht; zugleich behält man das Gefühl, dass dieser Ausgleich dennoch auf einer Fiktion beruht. Man gibt zuerst im Geheimen mit der linken Hand, was man feierlich mit der rechten wieder entgegennimmt. Die »unendliche Sühne«, auf der Gott zu bestehen scheint, rückt so in ein doppelt unheimliches Licht. Von manchen Andachtstexten her drängt sich dem Bewusstsein dann geradezu die Vorstellung auf, der christliche Glaube an das Kreuz stelle sich einen Gott vor, dessen unnachsichtige Gerechtigkeit ein Menschenopfer, das Opfer seines eigenen Sohnes, verlangt habe. Und man wendet sich mit Schrecken von einer Gerechtigkeit ab, deren finsterer Zorn die Botschaft von der Liebe unglaubwürdig macht. (Fs)

265a So verbreitet dieses Bild ist, so falsch ist es. In der Bibel erscheint das Kreuz nicht als Vorgang in einem Mechanismus des beleidigten Rechtes; in ihr steht das Kreuz vielmehr ganz umgekehrt da als Ausdruck für die Radikalität der Liebe, die sich gänzlich gibt, als der Vorgang, in dem einer das ist, was er tut, und das tut, was er ist; als Ausdruck für ein Leben, das ganz Sein für die anderen ist. Für den, der genauer zusieht, drückt sich in der Kreuzestheologie der Schrift wahrhaft eine Revolution aus gegenüber den Sühne- und Erlösungsvorstellungen der außerchristlichen Religionsgeschichte, wobei freilich nicht zu leugnen ist, dass im späteren christlichen Bewusstsein diese Revolution weitgehend wieder neutralisiert und selten in ihrer ganzen Tragweite erkannt worden ist. In den Weltreligionen bedeutet Sühne gewöhnlich die Wiederherstellung des gestörten Gottesverhältnisses mittels sühnender Handlungen der Menschen. Fast alle Religionen kreisen um das Problem der Sühne; sie steigen auf aus dem Wissen des Menschen um seine Schuld vor Gott und bedeuten den Versuch, dieses Schuldgefühl zu beheben, die Schuld zu überwinden durch Sühneleistungen, die man Gott anbietet. Das sühnende Werk, mit dem Menschen die Gottheit versöhnen und gnädig stimmen wollen, steht im Mittelpunkt der Religionsgeschichte. (Fs)

265a Im Neuen Testament sieht die Sache fast genau umgekehrt aus. Nicht der Mensch ist es, der zu Gott geht und ihm eine ausgleichende Gabe bringt, sondern Gott kommt zum Menschen, um ihm zu geben. Aus der Initiative seiner Liebesmacht heraus stellt er das gestörte Recht wieder her, indem er durch sein schöpferisches Erbarmen den ungerechten Menschen gerecht macht, den Toten lebendig. Seine Gerechtigkeit ist Gnade; sie ist aktive Gerechtigkeit, die den verkrümmten Menschen richtet, das heißt zurechtbiegt, richtig macht. Hier stehen wir vor der Wende, die das Christentum in die Religionsgeschichte getragen hat: Das Neue Testament sagt nicht, dass die Menschen Gott versöhnen, wie wir es eigentlich erwarten müssten, da ja sie gefehlt haben, nicht Gott. Es sagt vielmehr, dass »Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt hat« (2 Kor 5,19). Das ist etwas wahrhaft Unerhörtes, Neues - der Ausgangspunkt der christlichen Existenz und die Mitte neutestamentlicher Kreuzestheologie: Gott wartet nicht, bis die Schuldigen kommen und sich versöhnen, er geht ihnen zuerst entgegen und versöhnt sie. Darin zeigt sich die wahre Bewegungsrichtung der Menschwerdung, des Kreuzes. (Fs) (notabene)

266a Demgemäß erscheint im Neuen Testament das Kreuz primär als eine Bewegung von oben nach unten. Es steht nicht da als die Versöhnungsleistung, die die Menschheit dem zürnenden Gott anbietet, sondern als Ausdruck jener törichten Liebe Gottes, die sich weggibt, in die Erniedrigung hinein, um so den Menschen zu retten; es ist sein Zugehen auf uns, nicht umgekehrt. Mit dieser Wende in der Sühne-Idee, also in der Achse des Religiösen überhaupt, erhält im Christlichen auch der Kult, die ganze Existenz, eine neue Richtung. Anbetung erfolgt im Christlichen zunächst im dankenden Empfangen der göttlichen Heilstat. Die wesentliche Form des christlichen Kultes heißt daher mit Recht Eucharistia, Danksagung. In diesem Kult werden nicht menschliche Leistungen vor Gott gebracht; er besteht vielmehr darin, dass der Mensch sich beschenken lässt; wir verherrlichen Gott nicht, indem wir ihm vermeintlich aus dem Eigenen geben - als ob es nicht immer schon das Seinige wäre! -, sondern indem wir uns das Seinige schenken lassen und ihn dadurch als den einzigen Herrn anerkennen. Wir beten ihn an, indem wir die Fiktion eines Bereichs fallen lassen, mit dem wir uns wie selbständige Geschäftspartner ihm gegenüberstellen könnten, während wir doch in Wahrheit nur in ihm und von ihm her überhaupt sein können. Christliches Opfern besteht nicht in einem Geben dessen, was Gott ohne uns nicht hätte, sondern darin, dass wir ganz Empfangende werden und uns ganz nehmen lassen von ihm. Das Handelnlassen Gottes an uns - das ist das christliche Opfer. (Fs; tblVrw) (notabene)

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