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Autor: Ratzinger, Josef

Buch: Einführung in das Christentum

Titel: Einführung in das Christentum

Stichwort: Lukas: Maria, Sohn Gottes; Jungfrauengeburt - Gnade, Gnadentheologie

Kurzinhalt: Die Jungfrauengeburt bedeutet weder ein Kapitel Askese noch gehört sie unmittelbar der Lehre von der Gottessohnschaft Jesu zu; sie ist zuerst und zuletzt Gnadentheologie, Botschaft davon, wie uns das Heil zukommt: in der Einfalt des Empfangens, ...

Textausschnitt: 260a Eine Frage ist noch offen: die nach dem Sohnesbegriff in der lukanischen Verkündigungsgeschichte. Ihre Beantwortung führt uns zugleich zu der eigentlichen Frage, die sich aus den bisherigen Überlegungen ergibt. Wenn die Empfängnis Jesu aus der Jungfrau durch Gottes schöpferische Macht zumindest unmittelbar nichts mit seiner Gottessohnschaft zu tun hat, was für einen Sinn hat sie dann überhaupt? Was das Wort »Sohn Gottes« im Verkündigungstext meint, lässt sich von unseren früheren Überlegungen her leicht beantworten: Im Gegensatz zu dem einfachen Ausdruck »der Sohn« gehört es, wie wir hörten, der Erwählungs- und Hoffnungstheologie des Alten Bundes zu und kennzeichnet Jesus als den wahren Erben der Verheißungen, den König Israels und der Welt. Damit wird aber nun der geistige Zusammenhang deutlich sichtbar, aus dem heraus unser Bericht zu verstehen ist: der Hoffnungsglaube Israels, der, wie gesagt, von den heidnischen Hoffnungen auf wunderbare Geburten kaum völlig unberührt geblieben ist, ihnen aber eine völlig neue Gestalt und einen gänzlich verwandelten Sinn gegeben hat. (Fs)

261a Das Alte Testament kennt eine Reihe von wunderbaren Geburten, jeweils an entscheidenden Wendepunkten der Heilsgeschichte: Sara, die Mutter Isaaks (Gn 18), die Mutter Samuels (1 Sam 1-3) und die anonyme Mutter Samsons (Ri 13) sind unfruchtbar, und jede menschliche Hoffnung auf Kindersegen ist sinnlos geworden. Bei allen dreien kommt die Geburt des Kindes, das zum Heilsträger für Israel wird, zustande als eine Tat der gnädigen Erbarmung Gottes, der das Unmögliche möglich macht (Gn 18,14; Lk 1,37), der die Niedrigen erhöht (1 Sam 2,7; 1,11; Lk 1,52; 1,48) und die Stolzen vom Throne stößt (Lk 1,52). Bei Elisabeth, der Mutter Johannes' des Täufers, wird diese Linie fortgeführt (Lk 1,7-25.36), die bei Maria an ihrem Höhepunkt und Ziel ankommt. Der Sinn des Geschehens ist allemal derselbe: Das Heil der Welt kommt nicht vom Menschen und von dessen eigener Macht; der Mensch muss es sich schenken lassen, und nur als reines Geschenk kann er es empfangen. Die Jungfrauengeburt bedeutet weder ein Kapitel Askese noch gehört sie unmittelbar der Lehre von der Gottessohnschaft Jesu zu; sie ist zuerst und zuletzt Gnadentheologie, Botschaft davon, wie uns das Heil zukommt: in der Einfalt des Empfangens, als unerzwingbares Geschenk der Liebe, die die Welt erlöst. Im Buch Jesaja ist dieser Gedanke des Heils allein aus Gottes Macht großartig formuliert, wenn es heißt: »Frohlocke, Unfruchtbare, die nicht gebar; brich los und juble, die keinen Geburtsschmerz kannte! (Fs) (notabene)

262a Denn zahlreicher werden sein der Vereinsamten Kinder als die der Vermählten, spricht der Herr« (Jes 54,1; vgl. Gal 4,27; Röm 4,17-22). In Jesus hat Gott inmitten der unfruchtbaren und hoffnungslosen Menschheit einen neuen Anfang gesetzt, der nicht Ergebnis ihrer eigenen Geschichte, sondern Geschenk von oben ist. Wenn schon jeder Mensch etwas unaussprechbar Neues, mehr als die Summe von Chromosomen und das Produkt einer bestimmten Umwelt darstellt: ein einmaliges Geschöpf Gottes, so ist Jesus der wahrhaft Neue, nicht aus dem Eigenen der Menschheit kommend, sondern aus Gottes Geist. Deshalb ist er Adam, zum zweiten Male (1 Kor 15,47) - eine neue Menschwerdung beginnt mit ihm. Im Gegensatz zu allen Erwählten vor ihm empfängt er nicht nur Gottes Geist, sondern auch in seiner irdischen Existenz ist er allein durch den Geist und darum die Erfüllung aller Propheten: der wahre Prophet. (Fs) (notabene)

262a Es sollte eigentlich keiner eigenen Erwähnung bedürfen, dass all diese Aussagen Bedeutung nur haben unter der Voraussetzung, dass das Geschehnis sich wirklich zugetragen hat, dessen Sinn ans Licht zu heben sie sich mühen. Sie sind Deutung eines Ereignisses; nimmt man dies weg, so werden sie zu leerem Gerede, das man dann nicht nur als unernst, sondern auch als unehrlich bezeichnen müsste. Im Übrigen liegt über solchen Versuchen, so gut sie mitunter gemeint sein mögen, eine Widersprüchlichkeit, die man beinahe als tragisch bezeichnen möchte:

262a In einem Augenblick, in dem wir die Leibhaftigkeit des Menschen mit allen Fasern unserer Existenz entdeckt haben und seinen Geist nur noch als inkarnierten, als Leib-Sein, nicht als Leib-Haben zu verstehen vermögen, versucht man den Glauben dadurch zu retten, dass man ihn gänzlich entleiblicht, in eine Region des bloßen »Sinnes«, der puren, sich selbst genügenden Deutung flüchtet, die nur durch ihre Wirklichkeitslosigkeit der Kritik entzogen zu sein scheint. Christlicher Glaube bedeutet aber in Wahrheit gerade das Bekenntnis dazu, dass Gott nicht der Gefangene seiner Ewigkeit und nicht begrenzt aufs nur Geistige ist, sondern dass er hier und heute, mitten in meiner Welt zu wirken vermag und dass er in ihr gewirkt hat in Jesus, dem neuen Adam, der geboren ist aus Maria der Jungfrau durch die schöpferische Macht des Gottes, dessen Geist am Anbeginn über den Wassern schwebte, der aus dem Nichts das Sein erschuf1. (Fs) (notabene)

263a Noch eine Bemerkung drängt sich auf. Der rechtverstandene Sinn des Gotteszeichens der Jungfrauengeburt zeigt zugleich an, welches der theologische Ort einer Marienfrömmigkeit ist, die sich vom Glauben des Neuen Testaments her leiten lässt. Sie kann nicht auf einer Mariologie beruhen, die eine Art von verkleinerter Zweitausgabe der Christologie darstellt - zu einer solchen Verdoppelung gibt es weder Recht noch Grund. Wenn man einen theologischen Traktat angeben will, dem die Mariologie als dessen Konkretisierung zugehört, wäre es wohl am ehesten die Gnadenlehre, die freilich mit der Ekklesiologie und mit der Anthropologie ein Ganzes bildet. Als die wahre »Tochter Sion« ist Maria Bild der Kirche, Bild des gläubigen Menschen, der nicht anders als durch das Geschenk der Liebe - durch Gnade - ins Heil und zu sich selbst kommen kann. Jenes Wort, mit dem Bernanos das Tagebuch eines Landpfarrers schließen lässt - »Alles ist Gnade« -, jenes Wort, in dem dort ein Leben, das nur Schwachheit und Vergeblichkeit zu sein schien, sich als voller Reichtum und Erfüllung erkennen darf: dieses Wort ist in Maria, der »Gnadenvollen« (Lk 1,28), wahrhaft Ereignis geworden. Sie ist nicht die Bestreitung oder Gefährdung der Ausschließlichkeit des Christusheils, sondern der Verweis darauf. Darstellung der Menschheit, die als ganze Erwartung ist und die dieses Bild um so nötiger braucht, je mehr sie in Gefahr ist, das Warten abzulegen und sich dem Machen anzuvertrauen, das - so unerlässlich es ist - die Leere niemals ausfüllen kann, die den Menschen bedroht, wenn er jene absolute Liebe nicht findet, die ihm Sinn, Heil, das wahrhaft Lebensnotwendige gibt. (Fs)

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