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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Die Einsicht

Titel: Die Einsicht Bd. I und II

Stichwort: Transzendenz, Metaphysik; Vergleiche und Kontrast 5; Zusammenfassung; Flucht, Scotosis; kritische Methode

Kurzinhalt: Ähnlich bestand die Methode der Metaphysik darin, klassische und statistische, genetische und dialektische Methoden zu einem Ganzen zusammenzufassen und umzusetzen. Die kritische Methode unterscheidet sich von den anderen Methoden allein in ihrem ...

Textausschnitt: 767b Neuntens, wir haben zugegeben, daß es ein kritisches Problem gibt, weil das unbeschränkte Streben des Menschen mehr Fragen stellt, als die begrenzte Fähigkeit des Menschen beantworten kann; wir haben die Ansicht geäußert, daß eine Lösung des Problems stückweise erfolgen muß, weil die Fragen nach der Möglichkeit nur durch Bezugnahme auf Tatsachen entschieden werden können; und wir haben betont, daß die stückweise Lösung in dem Maße methodisch wird, als sie eine umfassende und wirksame Strategie zur Anwendung bringt, wenn sie die Tatsachen auswählt, auf die sie sich nach und nach beruft. Frühere Elemente in der Strategie, die wir befolgt haben, sind dem Leser schon vertraut; es bleibt aber zu zeigen, daß die Tatsache, daß wir Gott als die transzendente Idee auffassen und ihn als die transzendente Realität des Seins behaupten können, nicht nur mit all dem Vorhergehenden in Kontinuität steht, sondern auch dessen Höhepunkt darstellt. (Fs)

767c Unser Thema ist der Akt der Einsicht oder des Verstehens gewesen, und Gott ist der uneingeschränkte Akt des Verstehens, die ewige Verzückung, die in jedem archimedischen Eureka-Schrei schimmerte. Verstehen begegnet Fragen nach Einsicht und Fragen nach Reflexion. Der uneingeschränkte Akt begegnet allen zugleich; denn er versteht das Verstehen und alle Intelligibilität, die auf ihm beruht; und er versteht sein eigenes Verstehen als uneingeschränktes, unanfechtbares und wahres. Was durch wahres Verstehen erkannt wird, ist Sein, und das Sein, das durch die Selbsterkenntnis des uneingeschränkten Verstehens erkannt wird, ist das Primärseiende, selbsterklärend, unbedingt, notwendig ohne jeden Mangel oder Makel. Das Gute ist das Intelligible, und somit ist das Primärseiende auch das Primärgute. So wie Intelligibilität ohne Intelligenz mangelhaft wäre, so wäre auch die Wahrheit ohne Bejahung, oder das Gute ohne Liebe mangelhaft. Gott aber ist ohne Fehler; nicht weil der Verstehensakt durch weitere Akte vervollständigt würde, sondern durch einen einzigen Akt, der zugleich verstehend und intelligibel, Wahrheit und Bejahung, Gutheit und Liebe, Sein und Allmacht ist. (Fs)

768a Unser Thema war das Verstehen in seinem Werdegang. Es entsteht im intelligenten und rationalen Bewußtsein; aber ehe es entsteht, wird es vorweggenommen, und diese Vorwegnahme ist der spontane Grund, der durch Reflexion herausgeschält zu den Methoden der Wissenschaft und zur vollständigen heuristischen Struktur wird, die in der Metaphysik des proportionierten Seins umgesetzt wird. Die grundlegende Vorwegnahme aber ist das unvoreingenommene, uneigennützige und uneingeschränkte Streben nach korrektem Erkennen; die grundlegende Annahme ist, daß das Reale mit der begründeten Intelligibilität zusammenfällt, die durch (685) korrektes Verstehen erkannt werden soll; die grundlegende reflektierende Herausschälung aller intelligenten und rationalen Vorwegnahme und Annahme besteht darin, die Idee des Seins und damit die Notion Gottes zu konzipieren und zu behaupten, daß das Reale das Sein ist, und damit die Realität Gottes zu behaupten. (Fs) (notabene)

768b Unser Thema ist die Flucht vor dem Verstehen in der Scotosis des dramatischen Subjektes, in der dreifachen Befangenheit des Common Sense, in der Dunkelheit des mythischen Bewußtseins, in den Irrgängen der Gegenphilosophien gewesen. Es ist aber nicht der Forschungsgeist, der sich weigert zu fragen, was das Sein ist, und auch nicht die kritische Reflexion, die die Frage ignoriert, ob das Sein und nur das Sein das Reale sei. Es ist nicht die Flucht vor dem Verstehen, die die Notion eines unbeschränkten Verstehensaktes bildet, und auch nicht die Forderung des rationalen Bewußtseins nach dem Unbedingten, die sich alarmiert zurückzieht, wenn eine Forderung nach dem formell Unbedingten aufkommt. Es ist kraft der Positionen, daß die Notion von Gott entwickelt und die Bejahung Gottes aufrecht erhalten wird, und es ist wegen der Gegenpositionen, daß die Probleme falsch aufgefaßt und verworren werden. (Fs)

768b Kant sprach von einer tranzendentalen Illusion, und wenn auch gezeigt worden ist, daß das von ihm Gemeinte falsch ist, überlebt doch der Ausdruck und stiftet Mißtrauen. Es ist aber nicht das unvoreingenommene und uneigennützige Streben nach korrektem Verstehen, das eine Illusion genannt werden kann; denn es ist die Einmischung in dieses Streben, die an der Wurzel allen Irrtums liegt. Auch kann das unbeschränkte Streben nicht als transzendentale Illusion bezeichnet werden; denn es muß eine Illusion geben, ehe sie immanent oder transzendental sein kann. Und man kann auch nicht sagen, es gebe das reine Streben, es sei nicht illusorisch, aber in der Tat nicht uneingeschränkt. Schließlich stehen Kantianer und Positivisten nicht unter einer Illusion, sondern sie irren sich einfach, wenn sie sich bemühen, die menschliche Untersuchung innerhalb jener Grenzen einzuschränken, die jedermann natürlich und spontan überschreitet. (Fs)

769a Was ist denn die kritische Methode? Sie ist eine Methode im Hinblick auf das schlechterdings Letzte, eine Methode als auf die grundlegendesten Fragen angewandte. Wie wir nun gesehen haben, beruht die Methode der empirischen Wissenschaften auf der heuristischen Struktur des menschlichen Strebens und Vermögens, Daten richtig zu verstehen. Ähnlich bestand die Methode der Metaphysik darin, klassische und statistische, genetische und dialektische Methoden zu einem Ganzen zusammenzufassen und umzusetzen. Die kritische Methode unterscheidet sich von den anderen Methoden allein in ihrem Gegenstand. So wie diese, stützt sie sich auf das unvoreingenommene, uneigennützige und uneingeschränkte Streben nach korrektem Verstehen. So wie diese, erfaßt und bejaht sie ein Objekt, das korrelativ zum Streben ist. So wie diese, besteht sie darauf, daß sich allgemeine Aussagen über das Objekt machen lassen, ehe es tatsächlich verstanden wird, und daß solche Aussagen, wenn sie auch gültig und wahr und nützlich sind, hinter dem zurückbleiben, das erkannt wird, wenn das Verstehen einmal erreicht ist. Kurzum, die kritische Methode besteht nicht und kann auch nicht im sanften Verfahren (686) bestehen, transzendentale Fragen der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. So wie die wissenschaftliche Methode die Notion der Natur nicht zurückweist, sondern sie als die unbestimmte Funktion, die bestimmt werden soll, als die ideale Häufigkeit, von der die tatsächlichen Häufigkeiten nicht systematisch abweichen können, als den genetischen Operator, als die dialektische Spannung und Opposition zwischen dem reinen Streben und der menschlichen Sinnlichkeit expliziert und präzisiert, so weist die kritische Methode die Notion Gottes nicht zurück, sondern formuliert sie als den unbeschränkten Verstehensakt und arbeitet ihre allgemeinen Attribute aus. So wie die wissenschaftliche Methode nicht die Erkenntnis der Methode mit ihren Früchten verwechselt, so verwechselt die kritische Methode nicht unsere Formulierung des unbeschränkten Verstehens mit einer Behauptung, daß wir alles über alles verstehen. So wie der Wissenschaftler bereit ist, jede wissenschaftliche Hypothese und Theorie aufzugeben, ohne das Vertrauen in die Korrektheit der wissenschaftlichen Methode zu verlieren, so behauptet der Metaphysiker die Realität dessen, was der Wissenschaftler zu erkennen sucht, und der kritische Denker läßt es nicht zu, daß Entwicklungen in der Notion Gottes irgendwelchen Zweifel daran hervorrufen, daß es ein und dasselbe Seiende ist, auf das sich alle Menschen beziehen, ob sie nun mehr oder weniger erfolgreich sind im Begriff, den sie sich von ihm bilden, ob sie seine Existenz nun korrekt bejahen oder irrtümlich verneinen. (Fs)

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