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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Schule; Autorität Wahrheit; autonomen Moral - autonome Pädagogik

Kurzinhalt: Wenn man verneint, daß die Wahrheit über Lehrer wie Schüler hinausgeht, und die Erziehung auf Selbsterziehung reduziert, nimmt man der Pädagogik die Idee der Autorität.

Textausschnitt: 130. Unterweisung und Autorität. Die Katechese

306b Wenn man verneint, daß die Wahrheit über Lehrer wie Schüler hinausgeht, und die Erziehung auf Selbsterziehung reduziert, nimmt man der Pädagogik die Idee der Autorität. Autoritativen Charakter hat in der Tat ein Akt, der weder an die Subjektivität dessen, der ihn vollzieht, noch dessen, dem er gilt, gebunden sein kann, sondern unabhängig von Zustimmung und Ablehnung besteht. (Fs)

Es ist also nicht weiter verwunderlich, daß die Neuerer gegen die autoritäre Schule angehen und behaupten, das Autoritätsprinzip sei kein pädagogisches Prinzip. Ebenso wie im Falle der autonomen Moral der sich selbst das Gesetz gebende Wille kein Gesetz hat, fehlt auch bei der autonomen Pädagogik dem sich selbst Erziehenden die Autorität, der er sich unterordnet. Wenn jedoch jede Wahrheit den Intellekt überschreitet und die Zustimmung des Menschen gebietet, so überschreiten ihn in besonderem Maße die Glaubenswahrheiten, die Gegenstand der Katechese sind. Sie transzendieren den Menschen nicht nur nach Art jedweder Wahrheit, sondern in höchst eigener Art, insofern als sie geoffenbart sind und statt aufgrund einer Evidenz1 aus Gehorsam Gott gegenüber Zustimmung finden müssen. (Fs) (notabene)

307a Es gibt also eine besondere Unvereinbarkeit von Katechese und Selbsterziehung. Wenn die Wahrheit als Autorität zu Fall gebracht wird, hört die Katechese auf, Lernen der Wahrheit zu sein, um zum Suchen nach Wahrheit, einem Zustand absoluter Gleichheit mit jeder anderen Unterweisung, zu verkommen. (Fs)

Der gewaltige nachkonziliare Aufbruch zur Erneuerung der Katechese hat es bisher zuwege gebracht, jede Spur der traditionellen Katechese2 zu tilgen, hat aber weder eine gemeinsame doktrinale Ausrichtung gefunden noch sonstwie Positives verwirklicht3. In nicht wenigen Katechismen, die von den zuständigen Diözesanstellen veröffentlicht worden sind, wimmelt es von unbesonnenen Aussagen, dogmatischen Irrtümern und Verstiegenheiten. (Fs)

Möglicherweise glauben die Neuerer, eine Stütze für ihre Katechetik in der Rede Pauls VI. vom 10. Dezember 1971 zu erblicken, wo anscheinend die beiden Grundsätze der dem Modedenken gemäßen Pädagogik übernommen sind, und zwar erstens, es sei nötig, »die übermäßig autoritären Methoden bei der Darstellung der doktrinalen Inhalte aufzugeben und sich ein demütigeres und brüderlicheres Verhalten4 des Suchens nach der Wahrheit anzueignen«; zweitens: Lehren bedeute »aufgeschlossen für den Dialog mit den Schülern sein und deren Persönlichkeit achten«. (Fs)

308a Im ersten Passus der Rede werden offensichtlich Didaktik und Heuristik miteinander verwechselt, Vermittlung beherrschten Wissens und Wahrheitsfindung, Katheder und Disputation. Auch in diesem Fall zeigt sich wieder einmal, daß unbedacht von einer Essenz zu einer anderen übergegangen wird und dies die Absage an eine davon mit sich bringt. Sodann ist es natürlich klar, daß in die Lehrtätigkeit alle Triebe des menschlichen Gestrüpps, auch der Hochmut, eindringen können. Das ist kein Anlaß zur Verwunderung, wenngleich man ständig auf der Hut davor sein muß. Bei allem menschlichen Tun sprießt dieses Gestrüpp aus den verborgensten Schichten hervor. Schleicht sich der Hochmut etwa nicht auch in den Dialog ein, der dem Suchen nach Wahrheit gewidmet ist? Die Wahrheit kann man lehren, ohne von ihr durchdrungen zu sein, und in einem Geist, der die eigene Person in den Vordergrund rücken, sie in der Lehre darstellen will. Dennoch muß, wenn man auf menschliche Handlungen eingeht, deren Wesen berücksichtigt werden, anstatt als wesentlich hinzustellen, was zu den beiläufigen Unvollkommenheiten des Handelns zählt. (Fs)

Anzumerken wäre noch, daß die Ausschaltung der Autorität zu der Didaktik gehört, die sich als Autodidaxie versteht, bei der also der Geist das Wahre aus sich selbst bezieht. Da die Wahrheit aber über den Geist hinausgeht, ist sie unabhängig vom Intellekt, der ihr sein Denken widmet. Nicht weil der Mensch sie ausgedacht hätte, sondern weil Gott sie erdacht hat, wird sie für den Menschen durchdenkbar. In der nachkonziliaren Kirche hingegen ist die Vorstellung verbreitet, der Mensch sei, was er sich selbst schaffe, und daher redet man dort von Selbsterziehung, Selbstinstruktion, Selbststeuerung, Selbstevangelisation und sogar Selbsterlösung. Die Authentizität5, so meint man, bestehe in dieser Eigengesetzlichkeit. (Fs) (notabene)

Der Rollentausch zwischen Lehrer und Schüler, der einer Verfälschung des naturgegebenen Verhältnisses beider zueinander gleichkommt, wird unmißverständlich in einem Brief des Staatssekretariats verkündet. Er war gerichtet an den Straßburger Kongreß der Union nationale des Associations de Parents d'élèves de l'Enseignement Libre. Es heißt dort: »Ohne ihre schweren Verantwortungen aufzugeben, werden die Lehrkräfte zu Ratgebern, Richtungweisenden und - warum eigentlich nicht? - zu Freunden. Die Schüler werden, statt die Ordnung und Organisation systematisch abzulehnen, zu Mitverantwortlichen, Mitwirkenden und - in einem gewissen Sinne - zu Miterziehern« (OR, 21. Mai 1975). Aus dem Schüler den Lehrer machen und umgekehrt beinhaltet praktisch die Abschaffung jeder Pädagogik. Und einschlußweise wird auch das gesamte schulische Wirken der Kirche in der Geschichte heruntergesetzt. (Fs) (notabene)

309a Zur Philosophie des Dialogs äußern wir uns in § 156. Um auf die Rede Pauls VI. zurückzukommen, die den Eindruck erwecken könnte, daß die frühere Unterweisung der Kirche die Persönlichkeit nicht geachtet habe und die Unterrichtenden weder demütig noch bereit zum Dienen gewesen seien, mag es hier genügen, die Dinge auf ihren Wesensunterschied zu bringen: »Dialog führen« ist nicht dasselbe wie »lehren«. Außerdem darf kein Dienender sich jedwedem Dienst widmen (wenn man sich einbildet, zur allseitigen Dienstleistung fähig zu sein, ist dies Verblendung und Hochmut). Er sollte vielmehr nur den Dienst leisten, für den er eigens berufen, gerüstet und im Amt ist. (Fs)

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