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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Die Einsicht

Titel: Die Einsicht Bd. I und II

Stichwort: Transzendenz; Bejahung Gottes 2; Gottesbeweis 1; Sein - vollständig intelligibel; Identität: das Reale - Sein -> Gott; Gegenpositionen: Atheismus, Agnostizismus

Kurzinhalt: Wenn das Reale vollständig intelligibel ist, existiert Gott. Das Reale ist aber vollständig intelligibel. Also existiert Gott.

Textausschnitt: 755b Die Existenz Gottes wird also als die Konklusion eines Argumentes erkannt, und während solche Argumente viele sind, sind sie alle m. E. in die folgende allgemeine Form einbegriffen. (Fs)

Wenn das Reale vollständig intelligibel ist, existiert Gott. Das Reale ist aber vollständig intelligibel. Also existiert Gott. (Fs)

Um beim Untersatz zu beginnen, wird also argumentiert, daß das Sein vollständig intelligibel ist; daß das Reale das Sein ist; und daß deshalb das Reale vollständig intelligibel ist. (Fs)

755c Das Sein ist nun vollständig intelligibel. Denn das Sein ist das Zielobjekt des unvoreingenommenen, uneigennützigen und unbeschränkten Erkenntnisstrebens; dieses Streben besteht im intelligenten Untersuchen und kritischen Reflektieren; es (673) hat eine Teilerkenntnis zum Resultat, insofern die intelligente Untersuchung ein Verstehen ergibt und die kritische Reflexion das Verstehen als korrekt erfaßt; es erreicht aber sein Zielobjekt, das Sein, nur, wenn auf jede intelligente Frage eine intelligente Antwort gegeben worden ist und sich diese Antwort als korrekt herausgestellt hat. Das Sein ist also intelligibel; denn es ist das, was durch ein korrektes Verstehen erkannt wird; und es ist vollständig intelligibel, weil das Sein nur dann vollständig erkannt wird, wenn alle intelligenten Fragen korrekt beantwortet worden sind. (Fs)

755d Ferner, das Reale ist das Sein. Das Reale ist ja das, was mit dem Terminus "Reales" gemeint wird. Alles, was gemeint wird, ist aber entweder ein bloßes Gedankenobjekt oder sowohl ein Objekt des Denkens als auch ein Objekt des Bejahens. Das Reale ist nicht bloß ein Objekt des Denkens; deshalb ist es sowohl ein Objekt des Denkens als auch ein Objekt des Bejahens. Das Reale ist auch nicht bloß einige der Objekte des Denkens und des Bejahens, sondern deren alle. Und ähnlich ist das Sein alles, was durch intelligentes Erfassen und vernünftiges Bejahen erkannt werden kann. (Fs)

756a Wenn dieses Zusammenfallen des Realen mit dem Sein ein Akzeptieren der Positionen und eine Ablehnung der Gegenpositionen voraussetzt, wird doch der Leser auf diesem Stadium de Beweisführung kaum eine Wiederholung der Hauptpunkte erwarten, die immer wieder auf den vorhergehenden Seiten dieses Werkes erörtert worden sind. Die Positionen zu akzeptieren bedeutet, die eigene Intelligenz und Vernunft zu akzeptieren und zu dieser Akzeptanz zu stehen. Die Gegenpositionen zurückzuweisen bedeutet, das Sich-Einmischen anderer Wünsche in das richtige Funktionieren des unvoreingenommenen, uneigennützigen und unbeschränkten Erkenntnisstrebens zurückzuweisen. Folglich führt jede Gegenposition zu ihrer eigenen Umkehrung; denn sie verwickelt sich in Inkohärenz, sobald behauptet wird, daß sie intelligent erfaßt und vernünftig bejaht wird; und ein intelligentes und vernünftiges Subjekt kann nicht vermeiden, diese Behauptung zu machen. (Fs)

756b Es bleibt der Obersatz, nämlich: Wenn das Reale vollständig intelligibel ist, existiert Gott. Das Argument kann in folgenden Schritten dargelegt werden. (Fs)

Wenn das Reale vollständig intelligibel ist, dann existiert die vollständige Intel-ligibilität. Wenn die vollständige Intelligibilität existiert, existiert die Idee des Seins. Wenn die Idee des Seins existiert, existiert Gott. Wenn also das Reale vollständig intelligibel ist, existiert Gott. (Fs)

756b Es bleibt der Obersatz, nämlich: Wenn das Reale vollständig intelligibel ist, existiert Gott. Das Argument kann in folgenden Schritten dargelegt werden. (Fs)

Wenn das Reale vollständig intelligibel ist, dann existiert die vollständige Intelligibilität. Wenn die vollständige Intelligibilität existiert, existiert die Idee des Seins. Wenn die Idee des Seins existiert, existiert Gott. Wenn also das Reale vollständig intelligibel ist, existiert Gott. (Fs)

756c Wir wollen jede dieser Prämissen der Reihe nach kommentieren. (Fs)

Erstens, wenn das Reale vollständig intelligibel ist, dann existiert die vollständige Intelligibilität. Denn gerade so, wie das Reale nicht intelligibel sein könnte, wenn die Intelligibilität nicht existierte, könnte das Reale nicht vollständig intelligibel sein, wenn die vollständige Intelligibilität nicht existierte. Mit anderen (647) Worten, die vollständige Intelligibilität des Realen zu bejahen bedeutet, die vollständige Intelligibilität all dessen, was behauptet werden kann, zu behaupten. Man kann nun aber nicht die vollständige Intelligibilität all dessen bejahen, das bejaht werden soll, ohne die vollständige Intelligibilität zu bejahen. Und die vollständige Intelligibilität zu bejahen bedeutet, ihre Existenz zu erkennen. (Fs)

756d Zweitens, wenn die vollständige Intelligibilität existiert, dann existiert die Idee des Seins. Denn die Intelligibilität ist entweder materiell oder geistig oder abstrakt. Sie ist materiell in den Objekten der Physik, Chemie, Biologie und Sinnespsychologie; sie ist geistig, wenn sie mit dem Verstehen identisch ist; und sie ist abstrakt in den Begriffen von Einheiten, Gesetzen, idealen Häufigkeiten, genetischen Operatoren, dialektischen Spannungen und Konflikten. Die abstrakte Intelligibilität ist aber notwendigerweise unvollständig; denn sie entsteht nur dadurch, daß die geistige Intelligibilität sich selbst zum Ausdruck bringt. Wiederum, die geistige Intelligibilität ist unvollständig, solange sie untersuchen kann. Schließlich, die materielle Intelligibilität ist notwendigerweise unvollständig, weil sie in ihrer Existenz und in ihren Ereignissen, in ihren Gattungen und Arten, in ihren klassischen und statistischen Gesetzen, in ihren genetischen Operatoren und im tatsächlichen Lauf ihrer emergenten Wahrscheinlichkeit kontingent ist. Außerdem, sie schließt ein rein empirisches Residuum der Individualität, der nichtzählbaren Unendlichkeiten, der einzelnen Orte und Zeiten ein, und für die systematische Erkenntnis eine nichtsystematische Abweichung. Es folgt, daß die einzige Möglichkeit einer vollständigen Intelligibilität in einer geistigen Intelligibilität liegt, die nicht untersuchen kann, weil sie alles über alles versteht. Und ein solches unbeschränktes Verstehen ist die Idee des Seins. (Fs)

757a Drittens, wenn die Idee des Seins existiert, existiert Gott. Denn wenn die Idee des Seins existiert, existiert zumindest ihre primäre Komponente. Die Primärkomponente besitzt aber, wie wir gezeigt haben, alle Attribute Gottes. Wenn also die Idee des Seins existiert, existiert Gott. (Fs)

757b Derartig ist also der Beweisgang. Als eine Gesamtheit von Zeichen in einem Buch kann es nur die Materialien für ein reflektierendes Erfassen des virtuell Unbedingten angeben. Einen solchen Akt hervorzubringen ist die Arbeit, die der Leser selbst zu vollbringen hat. Ferner, insofern ein Leser wohl von der weit verbreiteten zeitgenössischen Ansicht beeindruckt worden ist, derzufolge die Existenz Gottes nicht bewiesen werden kann, wird er sich nun wundern, wo der Fehlschluß liegt, wann genau der ungerechtfertigte Schritt in diesem Versuch, das angeblich Unmögliche zu vollbringen, gemacht wurde. Wir wollen ihn auf seinem Reflexionsweg begleiten. (Fs)

757c Gewiß müßte es im Argument einen Fehlschluß geben, wenn es nicht einen vollständigen Bruch mit den verschiedenen Strömungen des modernen Denkens voraussetzte, die auf dem Atheismus oder dem Agnostizismus bestehen. Ein solcher vollständiger Bruch existiert aber in der völligen Ablehnung der Gegenpositionen und in einer ebenfalls vollständigen Annahme der Positionen. Zugegeben, daß das (675) Reale das Sein ist; zugegeben, daß das Sein durch intelligentes Erfassen und vernünftiges Bejahen erkannt wird; dann ist Gott eine Realität, wenn er ein Seiendes ist, und er ist ein Seiendes, wenn ein intelligentes Erfassen ihn konzipiert und die Vernunft bejaht, was die Intelligenz konzipiert. Wiederum, die Ausschließung jedes Obskurantismus zugegeben, ist die Intelligenz der Bemühung verpflichtet, eine Notion Gottes zu bilden; denn wenn das Reale das Sein ist, hat man sich der Frage: "Was ist das Sein?" zu stellen, und wie wir gesehen haben, schließt die Antwort auf diese Frage die Antwort auf die Frage "Was ist Gott?" mit ein. Die Antwort auf eine Frage nach Einsicht wirft aber notwendigerweise die entsprechende Frage nach Reflexion auf, und die Ausschließung des Obskurantismus verpflichtet uns erneut zur Bemühung um eine Antwort. Wenn die Antwort negativ ist, ist der Atheismus korrekt. Wenn keine Antwort möglich ist, ist der Agnostizismus korrekt. Wenn die Antwort affirmativ ist, ist der Theismus korrekt. Es geht also nur darum zu entscheiden, welche von den dreien die Antwort ist, die von der Einheit des empirischen, intelligenten und rationalen Bewußtseins, das ich selbst de facto bin, zu geben ist. Schließlich, wenn ich im intellektuellen Erfahrungsmuster operiere, wenn ich in meinem Akzeptieren der Herrschaft des unvoreingenommenen, uneigennützigen und unbeschränkten Strebens nach intelligenter Untersuchung und vernünftiger Reflexion echt bin, dann habe ich keinen Grund überrascht zu sein, wenn ich es unmöglich finde zu verneinen, daß es eine Realität gibt oder daß die Realität das Sein ist oder daß das Sein vollständig intelligibel ist oder daß die vollständige Intelligibilität ein unbeschränktes Verstehen ist oder daß das unbeschränkte Verstehen Gott ist. (Fs)

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