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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Die Einsicht

Titel: Die Einsicht Bd. I und II

Stichwort: Transzendenz; Bejahung Gottes 1; ontologisches Argument (Anselm, Descartes, Leibniz);

Kurzinhalt:
... zu behaupten, daß Gott existiert, bedeutet nicht, ihm die Existenz oder das subtil gezeichnete Dasein des existentialistischen Denkens zuzuschreiben. Denn eine solche Existenz ist die Existenz des Menschen ...

Textausschnitt: 10. Die Bejahung Gottes

752a Unsere Erkenntnis vom Sein geschieht durch intelligentes Erfassen und vernünftiges Bejahen. Indem wir fragten, was das Sein sei, sind wir zum Erfassen und Konzipieren dessen gelangt, was Gott ist. Weil wir gezeigt haben, daß das Sein der Kern aller Bedeutung ist, folgt, daß unser Erfassen und Konzipieren der Notion Gottes das bedeutungsvollste aller möglichen Objekte unseres Denkens ist. Nun wirft aber jedes Gedankenobjekt eine weitere Frage auf; denn wenn die Aktivität des intelligenten Bewußtseins einmal vollendet ist, setzt die Aktivität des reflektierenden Bewußtseins ein. Ist Gott denn ein reines Gedankenobjekt? Oder ist Gott wirklich? Ist er ein Objekt vernünftigen Bejahens? Existiert er?

752b Diese vier Fragen sind eigentlich ein und dieselbe. Denn das Reale ist das Sein, und außerhalb des Seins gibt es nichts. Das Sein wird nicht ohne vernünftiges Bejahen erkannt, und die Existenz ist der Aspekt, unter dem das Sein erkannt wird, genau insofern es vernünftig bejaht wird. Es ist also ein und dasselbe zu sagen, Gott sei real, er sei ein Objekt einer vernünftigen Bejahung und er existiere. (Fs)

752c Wiederum, zu behaupten, daß Gott existiert, bedeutet nicht, ihm die Existenz oder das subtil gezeichnete Dasein des existentialistischen Denkens zuzuschreiben. Denn eine solche Existenz ist die Existenz des Menschen, nicht als intelligent erfaßter und vernünftig bejahter, sondern als erfahrender, untersuchender und reflektierender, aber keine definitiven Antworten auf seine Fragen über sich selbst erhaltender. (Fs)

Kommentar (16.04.10) zu oben: die menschliche Existenz ist immer eine de facto Existenz.

752d Ferner, während sowohl die Existenz eines proportionierten Seienden und die Existenz Gottes durch ein rational gefälltes "Ja" erkannt werden, folgt nicht, daß (670) beide Existenzen gleich wären. Denn die Bedeutung des "Ja" ändert sich mit der Frage, die es beantwortet. Wenn gefragt wird, ob ein kontingent Seiendes existiert, bedeutet eine bejahende Antwort ein kontingent Seiendes. Wird aber gefragt, ob ein selbst-erklärendes Seiendes existiert, bedeutet eine bejahende Antwort eine selbst-erklärende Existenz. (Fs) (notabene)

752e Ferner, in der Selbsterkenntnis eines selbsterklärenden Seienden würde es für es selbst dasselbe sein, zu erkennen, was es ist und ob es ist. Denn seine Erkenntnis dessen, was es ist, würde in einem Verstehen des formell Unbedingten bestehen, und wie das Verstehen die Frage: "was?" beantwortet, so beantwortet das Unbedingte die Frage: "ob?"

752f Es folgt aber nicht, daß die beiden Fragen in unserer Erkenntnis eine einzige Antwort haben. Denn wenn wir erfassen, was Gott ist, ist unser Erfassen nicht ein unbeschränkter Verstehensakt, sondern ein beschränktes Verstehen, das von sich selbst auf einen unbeschränkten Akt extrapoliert, und indem es immer weitere Fragen stellt, zu einer Liste von Attributen des unbeschränkten Aktes gelangt. Was also erfaßt wird, ist nicht der unbeschränkte Akt, sondern die Extrapolation, die aus den Eigenschaften eines beschränkten Aktes zu den Eigenschaften eines unbeschränkten Aktes fortschreitet. Wenn die Extrapolation abgeschlossen ist, bleibt deshalb die weitere Frage, ob der unbeschränkte Akt ein Gedankenobjekt oder eine Realität ist. (Fs)

753a Es folgt, daß alle Formen des ontologischen Argumentes falsch sind. Denn sie argumentieren vom Begriff Gottes auf dessen Existenz. Nun aber ergeben unsere Konzeptionen nicht mehr als analytische Aussagen. Und wie wir gesehen haben, läßt sich der Übergang von den analytischen Aussagen zu den analytischen Prinzipien nur insofern bewerkstelligen, als die Termini und Relationen der Aussage in konkreten Tatsachenurteilen vorkommen. Wenn es also nicht schwierig ist, Gott so aufzufassen, daß die Verneinung seiner Existenz eine contradictio in terminis bedeutete, ergibt diese Auffassung doch nicht mehr als eine analytische Aussage; und die fragliche Aussage kann nur dann zu einem analytischen Prinzip werden, wenn wir in einem konkreten Tatsachenurteil behaupten können, daß Gott existiert. (Fs) (notabene)

753b Dem Argument Anselms muß deshalb durch eine Unterscheidung der Prämisse, Deus est quo maius cogitari nequit, begegnet werden. Man räumt ein, daß sie durch geeignete Definitionen und syntaktische Regeln zu einer analytischen Aussage gemacht werden kann. Aber man fragt nach dem Beweis, daß die Termini, so wie sie definiert sind, in konkreten Tatsachenurteilen vorkommen. (Fs)
753c Das Cartesische Argument scheint vom Begriff auf die Existenz eines vollkommenen Seienden zu schließen. Dies wäre dann gültig, wenn Konzipieren Anschauen wäre und Anschauen Erkennen. Diese Auffassung enthält aber die Gegenpositionen; und wenn man zu den Positionen wechselt, findet man, daß Begriffe nur (671) durch das reflektierende Erfassen des Unbedingten zu Erkenntnissen werden. (Fs)

753d Leibniz argumentiert von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit Gottes. Wie wir gesehen haben, ist Gott entweder notwendig oder unmöglich. Er ist aber nicht unmöglich, weil die Notion Gottes keinen Widerspruch in terminis enthält. Also existiert er notwendig. Der Obersatz ist nun bloß eine analytische Aussage, und deshalb kann die Konklusion nicht mehr sein als eine analytische Aussage. Außerdem verlangt der für den Untersatz angegebene Grund eine Unterscheidung. Wenn es einen allmächtigen Gott gibt und wenn die Allmacht im Vermögen besteht, alles hervorzubringen, was nicht einen inneren Widerspruch einschließt, dann beweist die Abwesenheit eines inneren Widerspruchs die Möglichkeit. Wenn wir aber die Existenz der göttlichen Allmacht nicht voraussetzen, dann beweist die Abwesenheit eines inneren Widerspruchs nicht mehr als die Kohärenz eines Gedankenobjekts. (Fs)

754a Wenn das ontologische Argument aber als trügerisch angesehen werden muß, gibt es scheinbar keine Möglichkeit, die Existenz Gottes rational zu behaupten. Denn unsere Unterscheidung zwischen analytischen Aussagen und analytischen Prinzipien entspricht dem Verifikationsprinzip der logischen Positivisten. Es scheint aber keine Möglichkeit zu geben, einen unbeschränkten Verstehensakt entweder in unserer äußeren oder in unserer inneren Erfahrung zu verifizieren. Und selbst wenn diese Erfahrung möglich wäre, bedürfte es erst der Tatsache, ehe die Existenz Gottes vernünftig bejaht werden könnte. (Fs)

754b Dieser Einwand beruht allerdings auf einer Gleichsetzung der Notionen von Verifikation und von Erfahrung. Wenn das Fallgesetz nun aber verifiziert wird, wird es offensichtlich nicht erfahren. Was erfahren wird, ist ein breites Aggregat von Inhalten von Beobachtungsakten. Nicht die Erfahrung, sondern das Verstehen bringt das Aggregat zusammen, indem es diese Inhalte auf ein hypothetisches Gesetz der fallenden Körper bezieht. Nicht die Erfahrung, sondern die kritische Reflexion fragt, ob die Daten mit dem Gesetz übereinstimmen und ob die Übereinstimmung genügt für die Bejahung des Gesetzes. Nicht die Erfahrung, sondern ein reflektierendes Erfassen der Erfüllung der Bedingungen einer wahrscheinlichen Bejahung macht den einzigen Verifikationsakt aus, den es für das Gesetz der fallenden Körper gibt; und ähnlich ist es ein reflektierendes Erfassen des Unbedingten, das jedes andere Urteil begründet. (Fs)

754c Außerdem, bei der Forderung nach einem Übergang von den analytischen Aussagen zu den analytischen Urteilen geht es primär um eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen des Unbedingten, und nur sekundär schließt diese Forderung eine Ähnlichkeit mit dem Verifikationsprinzip ein. Es gibt ein virtuell Unbedingtes, dessen Bedingungen sich schon durch Akte des Definierens und Postulierens erfüllen lassen; dies ist die analytische Aussage. Zu diesem virtuell Unbedingten kann eine weitere Erfüllung hinzukommen, insofern das, was die analytische Aussage definiert und was sie postuliert, sich ebenfalls als virtuell unbedingt herausstellt; solcherart ist das analytische Prinzip. Diese weitere Erfüllung kommt in konkreten Tatsachenurteilen vor, wie sie im Verifikationsprozeß stattfinden; und in dieser Hinsicht ist unsere Position der der logischen Positivisten ähnlich. Ähnlichkeit braucht aber nicht Identität zu sein. Denn wir unterscheiden uns von den logischen Positivisten darin, daß wir uns von der Illusion völlig befreit haben, das Reale zu erkennen sei, irgendwie das anzuschauen, was jetzt schon da draußen ist. Im Gegensatz zu ihnen haben wir viel über das Unbedingte zu sagen, und wir siedeln gerade im Unbedingten die ganze Bedeutung und Kraft der Verifikation an. (Fs)

755a Einerseits muß also das ontologische Argument zurückgewiesen werden, weil der Begriff allein eine unzureichende Grundlage für das Urteil darstellt. Andererseits ist das, was dem bloßen Begriff hinzugefügt werden muß, nicht eine Gotteserfahrung, sondern ein Erfassen des Unbedingten. Bejahen ist ein innerlich rationaler Akt; es geht mit rationaler Notwendigkeit aus dem Erfassen des Unbedingten hervor; und das zu erfassende Unbedingte ist nicht das formell Unbedingte, das Gott ist und das vom uneingeschränkten Verstehen erfaßt wird, sondern das virtuell Unbedingte, das darin besteht, Gottes Existenz aus Prämissen herzuleiten, die wahr sind. Es bleibt nur noch eine Vorbemerkung. Wir haben es schon bemerkt, aber wir müssen nochmals daraufhinweisen, daß ein Beweis kein automatischer Prozeß ist, der ein Urteil zum Resultat hat, so wie das Einnehmen eines Aspirins vom Kopfschmerz befreit oder das Einschalten den Computer auf seinen unfehlbaren Weg schickt. Alles, was auf diesen Seiten niedergelegt werden kann, ist eine Anzahl von Zeichen. Die Zeichen können ein relevantes virtuell Unbedingtes darstellen. Aber es zu erfassen und das daraus folgende Urteil zu fällen, ist ein immanenter Akt des rationalen Bewußtseins, den jeder für sich selbst zu vollziehen hat und den niemand sonst für ihn vollziehen kann. (Fs) (notabene)

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