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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Die Einsicht

Titel: Die Einsicht Bd. I und II

Stichwort: Transzendenz; Notion von Gott 2; Korollarien (25 Bestimmungen)

Kurzinhalt: Es folgen eine Anzahl Konklusionen von beträchtlicher Wichtigkeit. Obwohl man sie oft für extrem schwierig hält, liegt die einzige Schwierigkeit darin, die Unterschiede zu erfassen, die Grammatik, Logik und Metaphysik trennen.

Textausschnitt: 743d Es folgen eine Anzahl Konklusionen von beträchtlicher Wichtigkeit. Obwohl man sie oft für extrem schwierig hält, liegt die einzige Schwierigkeit darin, die Unterschiede zu erfassen, die Grammatik, Logik und Metaphysik trennen. Die Grammatik beschäftigt sich mit Wörtern und Sätzen; die Logik beschäftigt sich mit Begriffen und Urteilen; die Metaphysik aber beschäftigt sich mit der Auflistung der notwendigen und hinreichenden Realitäten unter der Voraussetzung, daß Urteile wahr sind. (Fs)

743e Das erste Korollarium besagt, daß jede kontingente Aussage über Gott zugleich eine äußere Benennung ist. Mit anderen Worten, Gott bleibt innerlich derselbe, ob er nun versteht, bejaht, will verursacht oder nicht, daß dieses oder jenes Universum ist. Wenn er es nicht tut, dann existiert Gott und nichts anderes existiert. Wenn er es tut, existiert Gott und zugleich existiert das in Frage stehende Universum; diese beiden Existenzen genügen für die Wahrheit der Urteile, daß Gott das Universum versteht, bejaht, will, bewirkt; denn Gott ist in seiner Vollkommenheit (662) uneingeschränkt, und was in seiner Vollkommenheit uneingeschränkt ist, muß alles andere, was ist, verstehen, bejahen, wollen, bewirken. (Fs)

744a Das zweite Korollarium besagt, daß, obwohl die äußere Benennung zeitlich ist, die kontingente Aussage bezüglich Gott ewig sein kann. Denn ein ewiger Akt ist zeitlos; in ihm sind alle Augenblicke ein und derselbe Augenblick; und deshalb ist das, was in einem Augenblick wahr ist, in allen Augenblicken wahr. Wenn es nun in einem Augenblick wahr ist, daß Gott die Existenz von Alexanders Pferd Buke-phalus versteht, bejaht und will, dann sind die metaphysischen Bedingungen dieser Wahrheit die Existenz von Gott und die Existenz von Bukephalus; ferner, wenn Bukephalus auch nur während einer kurzen Zeit existiert, versteht, bejaht und will Gott doch ewig, daß Bukephalus für diese kurze Zeit existiert. (Fs)

744b Ein drittes Korollarium ist die göttliche Wirksamkeit. Es ist unmöglich für sie, daß es wahr ist, daß Gott die Existenz oder das Vorkommen von irgend etwas versteht, bejaht, will und bewirkt, ohne daß es wahr ist, daß das Ding existiert oder das Ereignis vorkommt, und zwar genau so, wie Gott es versteht, bejaht oder will. Denn eine und dieselbe metaphysische Bedingung ist notwendig für die Wahrheit beider Aussagen, nämlich das einschlägige kontingente Existieren oder Vorkommen. (Fs)
744c Das vierte Korollarium ist umgekehrt zum dritten und besagt, daß die göttliche Wirksamkeit ihren Folgen keine Notwendigkeit auferlegt. Im Lichte der göttlichen Wirksamkeit ist es durchaus wahr, daß es unmöglich ist, daß dieses oder jenes nicht existiert oder nicht vorkommt, wenn Gott die Existenz oder das Vorkommen von diesem oder jenem versteht oder bejaht oder will oder bewirkt. Die Existenz oder dieses Vorkommen ist aber eine metaphysische Bedingung der Wahrheit des Antezendens, und somit sagt die Konsequenz eigentlich nur das Prinzip der Identität aus, daß es nämlich die Existenz oder das Vorkommen gibt, wenn es die Existenz oder das Vorkommen gibt. Thomas' oft wiederholte Illustration dazu lautet bekanntlich: Socrates, dum sedet, necessario sedet, necessitate tamen non absoluta sed conditionata. (Fs)

744d Das fünfte Korollarium betrifft die scientia media. Weil der göttliche Verstehensakt uneingeschränkt und wahr ist, erfaßt er nicht allein jede mögliche Weltordnung, sondern auch die eben dargelegten vier Korollarien. Deshalb erkennt Gott unabhängig von jeder freien Entscheidung (in signo antecedente omnem actum voluntatis), daß, wenn er irgendeine Weltordnung wollte, diese Ordnung in jedem Aspekt und Detail realisiert würde; jede Weltordnung ist aber ein einzelnes, intel-ligibles Muster vollständig bestimmter Existierender und Ereignisse; und damit erkennt Gott exakt, völlig unabhängig von jeder göttlichen Entscheidung, was jeder freie Wille in jeder aufeinanderfolgenden Menge von Umständen, die in jeder möglichen Weltordnung enthalten sind, wählen würde. (Fs)

745a Die vorerwähnte scientia media schließt Molinas Notion der göttlichen (663) Weisheit ein, welche die Ordnung jedes möglichen Universums erfaßt; aber sie schließt Molinas Tendenz nicht ein, von den bedingten Futurabilien als Entitäten zu sprechen, die Gott zu seiner Orientierung anschaut. Ferner, sie beruht weder auf Molinas Super-Erfassung des menschlichen Willens, noch auf Suarez' unerklärter objektiver Wahrheit, sondern auf Thomas' bekannten Behauptungen zur Unveränderlichkeit Gottes und zur bedingten Notwendigkeit dessen, was Gott erkennt oder will oder verursacht. Sie steht schließlich in radikalem Gegensatz zum Scotistischen Voluntarismus und zu den voluntaristischen decreta hypotheticepraedeterminantia. (Fs)

745b Neunzehntens, Gott wäre der Schöpfer. Denn wenn Gottes Wirkursächlichkeit die Existenz irgendeiner Materie voraussetzte und auf das Gestalten und Ordnen derselben beschränkt wäre, dann bliebe die Existenz dieser Materie unerklärt; was aber letztlich unerklärt ist, gehört nicht zum Sein; und damit erwiese sich die angebliche Materie als Nichts. (Fs)

745c Es kann behauptet werden, daß es in diesem Universum tatsächlich ein rein empirisches Residuum gibt, das unerklärt ist. Man kann dagegen antworten, daß das empirische Residuum der Individualität, des Kontinuums, der einzelnen Orte und Zeiten und der nichtsystematischen Divergenz der tatsächlichen Häufigkeiten zwar durch die Einzelwissenschaften unerklärt bleibt, jedoch in der Erkenntnistheorie und der Metaphysik teilweise verstanden und letztlich durch Gottes schöpferische Entscheidung erklärt wird. Denn die erste Potenz der Individualität ist die Bedingung der Möglichkeit der allgemeinen Erkenntnis und der allgemeinen Naturen; die erste Potenz des Raum-Zeit-Kontinuums ist die Bedingung der Möglichkeit von abstrakten und invarianten Gesetzen, von konreten Wahrscheinlichkeiten und ihrer Anhäufung in einer Weltordnung der emergenten Wahrscheinlichkeit; das Nicht-systematische schließlich wird durch einen unbeschränkten Verstehensakt transzendiert. Ferner, das empirische Residuum begründet das Mannigfaltige des potentiell Guten, und insofern es unter der Weltordnung steht, besitzt es den Wert, der dem Kontingenten durch die Vernünftigkeit der Freiheit eines vollständig weisen und guten Seienden erwächst. (Fs)

745d Zwanzigstem, Gott wäre der Erhalter. Seine Wirkursächlichkeitwürde nicht ein Universum schaffen und es dann sich selbst überlassen, sondern im Gegenteil ausgeübt werden, solange das Universum oder irgendwelche Teile desselben existieren. Denn die metaphysische Bedingung für die Wahrheit der Aussage, daß A B verursacht, ist die Realität einer Abhängigkeitsrelation (ut a quo) in B in bezug auf A. Sie ist nicht, wie die Gegenpositionen behaupten würden, ein in der Einbildungskraft vorstellbarer "Einfluß", der den zwischen A und B liegenden Raum besetzt hielte. Sie ist nicht eine Veränderung in A\ denn das Feuer verändert sich nicht, wenn es aufhört, die Kartoffeln zu kochen, und beginnt, das Steak zu braten. Sie (664) ist B, insofern es in intelligibler Abhängigkeit von A entsteht oder existiert oder vorkommt. Nun ist aber kein kontingent Seiendes selbst-erklärend, und damit befindet sich jedes kontingent Seiende, so lang es ist, in intelligibler Abhängigkeit vom selbst-erklärenden Sein. (Fs)

746a Einundzwanzigstens, Gott wäre der erste Urheber jedes Ereignisses, jeder Entwicklung, jeder Emergenz. Denn jedes dieser Vorkommnisse ist bedingt, und entweder divergieren die Bedingungen und zerstreuen sich durch das Universum, oder sie bilden ein rekursives Schema, das allerdings nur aufgrund von Bedingungen entsteht und überlebt, die divergieren und sich durch das Universum zerstreuen. Es folgt, daß allein die Ursache der Weltordnung der zureichende Grund für das Vorkommen jedes Ereignisses sein kann. Ferner, weil jede Entwicklung und jede Emergenz von einem Komplex von Ereignissen abhängt, kann allein der Grund der Weltordnung der zureichende Grund für jegliche Entwicklung oder Emergenz sein. (Fs)

746b Es folgt weiter, daß Gott jede kontingente Ursache zu ihrem Handeln bringt. Denn die Wirkursache handelt in Übereinstimmung mit dem Muster der Weltordnung, wenn die Bedingungen des Handelns erfüllt sind; die Bedingungen sind aber erfüllt, wenn andere Ereignisse vorkommen; und Gott ist je erste Wirkursache jedes dieser Vorkommnisse. Zudem folgt, daß jede geschaffene Wirkursache ein Instrument in der Ausführung des göttlichen Plans ist; ihre Handlung ist ja die Erfüllung einer Bedingung für andere Ereignisse; und damit wird sie von einer höheren Wirkursache zu einem weiteren Ziel verwendet. Schließlich folgt, daß Gott durch seine Intelligenz alle Dinge auf ihre passenden Zwecke hinbewegt; denn Gott verursacht jedes Ereignis, bringt jedes Handeln zu seinem Handeln und verwendet jede Handlung, insofern er die Ursache der Ordnung des Universums ist. (Fs)

746c Es soll bemerkt werden, daß sich diese Erklärung der göttlichen Kontrolle über die Ereignisse von den Erklärungen von Baflez und Molina unterscheidet. Sie schreiben nämlich die göttliche Kontrolle aller Ereignisse der Tatsache zu, daß Gott durch eine spezielle Aktivität jedes Ereignis kontrolliert. Nach der obigen Analyse hingegen kontrolliert Gott jedes Ereignis, weil er alle kontrolliert, und er kontrolliert alle, weil er allein die Ursache der Ordnung des Universums sein kann, von der jedes Ereignis abhängt. Außerdem, obwohl unsere Analyse in zeitgenössischen Termini formuliert worden ist, braucht man nur die moderne Physik durch die Aristotelische zu ersetzen, um zum Denken und zur Sprache des Thomas von Aquin zu gelangen1. (Fs)

747a Zweiundzwanzigstens, Gott wäre die schlechthin letzthe Zielursache jedes Universums, der Grund seines Wertes und das schlechthin letze Zielobjekt allen zielgerichteten Strebens. Denn, wie wir gesehen haben, wäre das Primärintelligible unvollständig, wenn in ihm nicht jedes andere Intelligible erfaßt werden könnte; das Primärseiende wäre unvollkommen in seinem Sein, wenn es nicht andere Seiende (665) hervorbringen könnte; und das Primärgute wäre in seiner Gutheit mangelhaft, wenn es steril wäre und nicht die Quelle anderer Fälle des Guten sein könnte. Umgekehrt sind dann die Sekundärintelligiblen intelligibel wegen der Vollständigkeit des Primärintelligiblen; die kontingent Seienden wegen der Vollkommenheit des Primärseienden möglich; und andere Fälle des Guten können wegen der Exzellenz des Primärguten entstehen. Was aber wegen der Vollkommenheit und Exzellenz eines anderen möglich ist, wird auch wegen dieser Vollkommenheit und Exzellenz wirklich sein; und deshalb muß Gottes Vollkommenheit und Exzellenz die Zweckursache alles anderen sein. (Fs)
747b Außerdem, ein Wert ist das Objekt einer vernünftigen Wahl, und der Grund des Wertes ist so der Grund der Möglichkeit in den Objekten und der Vernünftigkeit im Wählen. Jede mögliche Weltordnung wird nun aber im Primärintelligiblen erfaßt und aus ihm abgeleitet; und jede aktuelle Weltordnung wird von einem Wollen gewählt, das nicht nur mit einem unbeschränkten Verstehen übereinstimmt, sondern auch mit ihm identisch ist. Gott wäre damit der Grund des Wertes jeglicher Weltordnung und in der Tat ein Grund, der mit dem Maßstab dessen, was wahrer Wert ist, identisch ist. (Fs)

747c Weiter, wir haben gesehen, daß die immanente Ordnung dieser Welt eine zusammengesetzte bedingte Reihe von Dingen und rekursiven Schemata ist, die in Übereinstimmung mit aufeinanderfolgenden Wahrscheinlichkeitstabellen realisiert werden; und es wurde hinzugefügt, daß vom Gesichtspunkt des unbeschränkten Verstehens her das Nicht-systematische verschwindet, um einem völlig bestimmten und absolut wirksamen Plan und einer entsprechenden Intention Platz zu machen. Es folgt, daß die Finalität noch genauer aufgefaßt werden muß. Anstelle einer aufwärts aber unbestimmt gerichteten Dynamik gibt es die beabsichtigte Zuordnung jeder Potenz zur Form, welche sie erhält, jeder Form zum Akt, welchen sie erhält, jeder Menge niedriger Akte zu den höheren Einheiten und Integrationen, unter denen sie subsumiert werden. So kommt es, daß jede Tendenz und Kraft, jede Bewegung und Veränderung, jeder Wunsch und jedes Streben dazu bestimmt ist, die Ordnung des Universums herbeizuführen, und dies in der Art und Weise, in der sie zu diesem Ziel beitragen; und weil die Ordnung selbst des Universums - wie gezeigt worden ist - wegen der Vollkommenheit und Exzellenz des Primärseienden und Primärguten existiert, so zielt alles, was für die Ordnung des Universums ist, letztlich auf die Vollkommenheit und Exzellenz hin, welche ihre Primärquelle und ihr Primärgrund ist. (Fs)

748a Dreiundzwanzigstens, es folgt eine Transformation der Metaphysik, wie wir sie aufgefaßt haben. Denn die Metaphysik des proportionierten Seins wird zu einem untergeordneten Teil einer allgemeineren Metaphysik, welche die transzendente Idee des Seins in Betracht zieht. (Fs)

748b Vierundzwanzigstens, (666) es folgt eine Transformation der auf die beschränkte Metaphysik aufgebauten Ethik. Diese Ethik beschäftigte sich ja mit der Übereinstimmung von Erkennen und Tun im rationalen Selbstbewußtsein des Individuums. Jetzt ist es aber klar geworden, daß wahre Erkenntnis nicht bloß wahr ist, sondern auch ein Erfassen der göttlich bestellten Ordnung des Universums, und daß das mit dem Erkennen übereinstimmende Tun nicht bloß mit dem Erkennen übereinstimmt, sondern auch die Zusammenarbeit des Menschen mit Gott in der Realisierung der Ordnung des Universums darstellt. Umgekehrt erweist sich der Irrtum als eine Abweichung nicht nur von der Wahrheit, sondern auch von Gott, und falsches Tun nimmt den Charakter der Sünde gegen Gott an. (Fs)
748c Fünfundzwanzigstens, etwas muß über das Böse und die Sünde gesagt werden. Es scheint ja, daß Gott, weil er die wirksame Ursache von allem im Universum ist, der Autor aller seiner Übel und verantwortlich für all seine Sünden sein muß. Bevor wir aber zu dieser Konklusion springen, wollen wir zwischen dem physischen Übel, dem moralischen Übel und der Grundsünde unterscheiden. (Fs)

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