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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Die Einsicht

Titel: Die Einsicht Bd. I und II

Stichwort: Transzendenz; Idee des Seins: Inhalt eines Verstehensaktes

Kurzinhalt: Das Sein ist das Zielobjekt des uneingeschränkten Erkenntnisstrebens. Die Idee des Seins ist deshalb der Inhalt eines uneingeschränkten Verstehensaktes.

Textausschnitt: 5. Die Idee des Seins

725b Eine Idee ist der Inhalt eines Verstehensaktes. So wie ein Sinnesdatum der Inhalt eines Aktes der Sinne ist, so wie eine imaginative Vorstellung der Inhalt eines Vorstellensaktes der Einbildungskraft ist, so wie ein wahrgenommener Gegenstand der Inhalt eines Wahrnehmungsaktes ist, so wie ein Begriff der Inhalt eines Aktes des Konzipierens, Definierens, Annehmens, Betrachtens ist, so wie das Urteil der Inhalt eines Urteilsaktes ist, so ist eine Idee der Inhalt eines Verstehensaktes. (Fs) (notabene)

725c Das Sein ist das Zielobjekt des uneingeschränkten Erkenntnisstrebens. Die Idee des Seins ist deshalb der Inhalt eines uneingeschränkten Verstehensaktes. (Fs)

726a Ferner, außer dem Sein gibt es nichts. Die Idee des Seins ist deshalb der Inhalt eines Verstehensaktes, der nichts zu verstehen übrig läßt, keine weitere Fragen zu stellen übrig läßt. Man kann aber nicht über einen Verstehensakt hinausgehen, der keine Fragen mehr übrig läßt, die noch zu stellen sind, und so ist die Idee des Seins absolut transzendent. (Fs)

726b Ferner, das Sein ist völlig universal und völlig konkret. Die Idee des Seins ist deshalb der Inhalt eines Verstehensaktes, der alles über alles erfaßt. Außerdem, (645) weil dieses Verstehen keine Fragen mehr übrig läßt, die noch zu stellen sind, kann kein Teil seines Inhalts implizit oder obskur oder undeutlich sein. (Fs)

Ferner, das Sein ist innerlich intelligibel. Die Idee des Seins ist deshalb die Idee des Gesamtbereichs der Intelligibilität. (Fs)

Ferner, das Gute ist mit dem Intelligiblen identisch. Die Idee des Seins ist deshalb die Idee des Guten. (Fs)

726c Ferner, der unbeschränkte Akt des Verstehens ist ein einziger Akt. Sonst wäre er ein Aggregat oder eine Reihenfolge von Akten. Wenn keiner dieser Akte das Verstehen von allem über alles wäre, dann bedeutete die Bestreitung der Einheit die Bestreitung des unbeschränkten Verstehens. Wenn einer dieser Akte das Verstehen von allem über alles wäre, dann wäre doch wenigstens dieser unbeschränkte Akt ein einziger Akt. (Fs)

Ferner, die Idee des Seins ist eine einzige Idee. Denn wären es viele, dann wären die vielen entweder intelligibel miteinander verbunden oder nicht. Wären sie intelligibel verbunden, dann wären die angeblich vielen intelligibel eine einzige, und deshalb gäbe es eine einzige Idee. Wären sie nicht intelligibel verbunden, dann gäbe es entweder nicht einen einzigen Akt, oder der einzige Akt wäre kein Akt des Verstehens. (Fs)

726d Ferner, die Idee des Seins ist eine, aber von vielen. In ähnlicher Weise ist sie immateriell, aber vom Materiellen; nicht-zeitlich, aber vom Zeitlichen; nicht-räumlich, aber vom Räumlichen. Es wurde ja gezeigt, daß die Idee eine ist; aber sie ist der Inhalt eines unbeschränkten Aktes, der zumindest die vielen Seienden versteht, die es gibt, in allen ihren Aspekten und Details. Ferner, sie ist der Inhalt eines Verstehensaktes, und es ist gezeigt worden, daß das Verstehen vom empirischen Residuum innerlich unabhängig ist; was aber innerlich vom empirischen Residuum unabhängig ist, kann weder materiell noch zeitlich noch räumlich sein; denn all diese hängen innerlich vom empirischen Residuum ab. Zugleich ist der zur Diskussion stehende Verstehensakt uneingeschränkt; er versteht vollständig alle die Seienden, die es gibt, und zumindest einige von diesen sind materiell, zeitlich und räumlich. (Fs)

727a Ferner, es ist kein Paradox zu behaupten, daß die Idee des Seins eine einzige, immateriell, nicht-zeitlich und nicht-räumlich ist, und doch von den vielen, den materiellen, den zeitlichen und den räumlichen. Denn was im Inhalt beschränkter Verstehensakte möglich ist, übersteigt nicht das, was das unbeschränkte Verstehen erreichen kann. Unser Verstehen ist nun eines und doch von vielen; denn wir verstehen in einem einzigen Akt die ganze Reihe der positiven ganzen Zahlen. Ähnlicherweise ist es ist immateriell, weil es vom empirischen Residuum abstrahiert, und doch vom materiellen, weil es im Verständnis des Universums voranschreitet. Ferner, es ist zwar in die Ordinalzeit eingebunden, weil es sich entwickelt; es ist aber nicht in die stetige Zeit der Ortsbewegung eingebunden, weil seine (646) Entwicklung nicht durch eine Reihenfolge nichtabzählbarer Stadien stattfindet. Schließlich, während es einem räumlich bedingten Subjekt zugehört, ist es doch nicht räumlich, weil es sich mit der nichtabzählbaren Vielfalt des Raumes durch Invariante beschäftigt, die von besonderen Raumstandorten unabhängig sind. (Fs)

727b Ferner, in der Idee des Seins ist eine Unterscheidung zu machen zwischen einer primären und einer sekundären Komponente. Denn das Eine ist nicht identisch mit den Vielen und das Immaterielle auch nicht mit dem Materiellen, noch das Nichtzeitliche mit dem Zeitlichen, noch das Nicht-räumliche mit dem Räumlichen. In der einen Idee aber sind viele Seiende zu erfassen; in der immateriellen, nicht-zeitlichen, nicht-räumlichen Idee werden das Materielle, das Zeitliche, das Räumliche erfaßt. Es muß deshalb eine primäre Komponente geben, die erfaßt wird, insofern es einen einzigen Verstehensakt gibt, und eine sekundäre Komponente, die verstanden wird, insofern die erste Komponente erfaßt wird. Denn so wie die unendliche Reihe der positiven ganzen Zahlen erfaßt wird, insofern das generative Prinzip der Reihe erfaßt wird, so wird auch der Gesamtbereich der Seienden erfaßt, insofern die eine Idee des Seins erfaßt wird. (Fs)

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