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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Methode in der Theologie

Titel: Methode in der Theologie

Stichwort: Religion; Glaube, Hoffnung; Pascal; Objektivierung der Gottesfrage

Kurzinhalt: Ohne den Glauben ist der Mensch selbst der Ursprungswert, und Zielwert ist das menschlich Gute, das der Mensch schafft. Im Licht des Glaubens aber ist der Ursprungswert das göttliche Licht und die göttliche Liebe, ...

Textausschnitt: 7. Glaube in der Religion

43/4 Glaube ist Erkenntnis, die aus religiöser Liebe geboren wird. Es gibt also erstens eine Erkenntnis, die aus der Liebe hervorgeht. Von ihr sprach Pascal in seiner Bemerkung, das Herz habe seine Gründe, die der Verstand nicht kennt. Unter 'Verstand' würde ich hier die Zusammensetzung der Aktivitäten auf den ersten drei Ebenen kognitiver Tätigkeit, nämlich des Erfahrens, Verstehens und Urteilens, verstehen. Unter den 'Gründen des Herzens' würde ich Gefühle verstehen, die intentionale Antworten auf Werte sind; und ich möchte die beiden Aspekte solcher Antworten in Erinnerung bringen: den absoluten Aspekt, der in der Anerkennung des Wertes besteht, und den relativen Aspekt, nämlich den Vorzug, den man einem bestimmten Wert vor einem anderen gibt. Und schließlich verstehe ich unter 'Herz' das Subjekt auf der vierten, existentiellen Ebene des intentionalen Bewußtseins und im dynamischen Zustand des In-Liebe-Seins. Demnach wäre der Sinn jener Bemerkung Pascals folgender: Neben dem Faktenwissen, das man durch Erfahren, Verstehen und Verifizieren erlangt, gibt es noch eine andere Art der Erkenntnis, die durch die Wertwahrnehmung und die Werturteile einer liebenden Person erreicht wird. (123f; Fs) (notabene)

44/4 Demzufolge ist der Glaube solch eine erweiterte Erkenntnis, wenn die Liebe Gottes Liebe ist, die unser Herz überflutet. Zu unserer Erfassung der vitalen, sozialen, kulturellen und personalen Werte kommt die Erfassung des transzendenten Wertes hinzu. Diese Erfassung besteht in der erfahrenen Erfüllung unseres unbegrenzten Dranges nach Selbst-Transzendenz, in unserer verwirklichten Ausrichtung auf das Mysterium der Liebe und Ehrfurcht. Da dieser ein Drang der Intelligenz nach dem Intelligiblen ist, ein Drang der Vernunft nach dem Wahren und dem Wirklichen, sowie der Freiheit und Verantwortlichkeit nach dem wahrhaft Guten, kann die erfahrene Erfüllung jenes Dranges in seiner Unbegrenztheit als eine verhüllte Offenbarung der absoluten Intelligenz und Intelligibilität, der absoluten Wahrheit und Wirklichkeit, der absoluten Güte und Heiligkeit objektiviert werden. (124; Fs) (notabene)

45/4 Mit dieser Objektivierung wiederholt sich die Gottesfrage in neuer Form. Denn jetzt ist sie in erster Linie eine Frage der Entscheidung. Werde ich Gott nun auch meinerseits lieben oder werde ich mich verweigern? Werde ich aus dem Geschenk seiner Liebe leben oder werde ich mich zurückhalten, abwenden und ganz entziehen? Hier erheben sich die Fragen nach Gottes Existenz und Wesen erst in zweiter Linie, und dann sind es entweder die Fragen eines Liebenden, der Gott zu erkennen sucht, oder Fragen eines Ungläubigen, der ihm entkommen möchte. Das ist die Grundoption des existentiellen Subjekts, sobald es einmal von Gott gerufen ist. (124; Fs) (notabene)

46/4 Wie andere Wertwahrnehmungen so hat auch der Glaube einen relativen und einen absoluten Aspekt. Er stellt alle anderen Werte in das Licht und in den Schatten des transzendenten Wertes. In den Schatten, weil der transzendente Wert der höchste und unvergleichliche Wert ist. In das Licht, weil sich der transzendente Wert mit allen anderen Werten verbindet, um sie zu verwandeln, groß zu machen und zu verherrlichen. Ohne den Glauben ist der Mensch selbst der Ursprungswert, und Zielwert ist das menschlich Gute, das der Mensch schafft. Im Licht des Glaubens aber ist der Ursprungswert das göttliche Licht und die göttliche Liebe, während der Zielwert das ganze Universum ist. Dadurch wird das menschlich Gute in ein allumfassend Gutes aufgenommen. (124; Fs)

47/4 Während zuvor eine Darstellung des menschlich Guten die Menschen aufeinander und auf die Natur bezog, reicht jetzt das Anliegen des Menschen über die Welt des Menschen hinaus bis zu Gott und seiner Welt. Menschen kommen zusammen, doch nicht nur um beieinander zu sein und menschliche Angelegenheiten zu regeln, sondern auch um anzubeten. Menschliche Entwicklung gibt es nicht nur bei Fertigkeiten und Tugenden, sondern auch in der Heiligkeit. Die Kraft der Gottesliebe bringt eine neue Energie und Wirksamkeit in alles Gutsein, und die menschliche Erwartung geht nun bis über das Grab hinaus. (124f; Fs)

48/4 Gott als Ursprungswert und die Welt als Zielwert zu verstehen schließt ein, daß auch Gott sich selbst transzendiert und die Welt die Frucht seiner Selbst-Transzendenz ist, Ausdruck und Kundgabe seiner Güte und Wohltätigkeit, ja seiner Herrlichkeit. Wie die Vortrefflichkeit des Sohnes die Ehre seines Vaters ist, so ist auch die Vortrefflichkeit der Menschheit die Ehre Gottes. Sagt man, Gott habe die Welt zu seiner Ehre geschaffen, so sagt man, daß er sie nicht um seinetwillen, sondern unseretwegen geschaffen hat.1 Er schuf uns nach seinem Bilde, denn unsere Authentizität besteht darin, ihm ähnlich zu sein, uns selbst zu transzendieren, Ursprung von Werten und in wahrer Liebe zu sein. (125; Fs) (notabene)

49/4 Ohne Glauben, ohne die Augen der Liebe ist die Welt zu böse, als daß Gott gut sein könnte, als daß ein guter Gott existierte. Der Glaube aber anerkennt, daß Gott dem Menschen seine Freiheit gewähret daß er ihn als Person will und nicht bloß als seinen Automaten, und daß er ihn zu jener höheren Authentizität beruft, die das Böse durch das Gute überwindet. So ist der Glaube mit dem menschlichen Fortschritt verbunden und muß der Herausforderung menschlichen Niedergangs begegnen. Denn Glaube und Fortschritt haben eine gemeinsame Wurzel in der kognitiven und moralischen Selbst-Transzendenz des Menschen. Wer eines von beiden fördert, der fördert indirekt auch das andere. (125; Fs) (notabene)

50/4 Der Glaube versetzt alle menschliche Bemühung in ein freundliches Universum; er enthüllt die letzte Bedeutung aller menschlichen Leistung und stärkt neue Unternehmungen mit Zuversicht. Umgekehrt verwirklicht der Fortschritt die Möglichkeiten von Mensch und Natur; er zeigt, daß der Mensch existiert, um in dieser Welt eine immer vollkommenere Leistung zu vollbringen, und daß diese Leistung, weil sie ein Gut des Menschen ist, auch der Ehre Gottes dient. Vor allem aber hat der Glaube die Kraft, den Niedergang rückgängig zu machen. Der Niedergang zerbricht eine Kultur mit widerstreitenden Ideologien. Er belastet die einzelnen mit sozialen, ökonomischen und psychologischen Zwängen, die angesichts der menschlichen Schwäche einem Determinismus gleichkommen. Er vervielfacht und häuft die Mißbräuche und Absurditäten, aus denen Empörung, Haß, Wut und Gewalt hervorgehen. Nicht durch Propaganda und nicht durch Argumente wird menschliche Vernunft aus ihren ideologischen Gefängnissen befreit, sondern durch religiösen Glauben. Nicht Versprechungen von Menschen, sondern die religiöse Hoffnung macht den Menschen fähig, den ungeheuren Zwängen des sozialen Verfalls zu widerstehen. (125f; Fs) (notabene)

51/4 Wenn Leidenschaften abklingen und Ungerechtigkeiten sich nicht verschlimmern sollen, wenn sie nicht ignoriert und nicht bloß bemäntelt werden dürfen, sondern zugegeben und beseitigt werden müssen, dann sind menschliche Besitzgier und menschlicher Stolz durch religiöse Nächstenliebe zu ersetzen, durch die Nächstenliebe des leidenden Gottesknechts, durch aufopfernde Liebe. Menschen sind Sünder. Wenn menschlicher Fortschritt nicht für immer entstellt und zerstört werden soll aus Unachtsamkeit, aus Mißverstehen und durch die Irrationalität und Verantwortungslosigkeit des Niedergangs, dann muß der Mensch an seine Sündhaftigkeit erinnert werden. Er muß seine wirkliche Schuld erkennen und eingestehen und muß sich bessern. Er muß in Demut lernen, daß sich die religiöse Entwicklung dialektisch vollzieht und daß die mühevolle Aufgabe der Reue und Umkehr ein Leben lang dauert. (126; Fs) (notabene)

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