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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Methode in der Theologie

Titel: Methode in der Theologie

Stichwort: Religion; Dialektik der religiösen Entwicklung; mit Gott In-Liebe-Sein; Gegensatz von Authentizität und Nicht-Authentizität

Kurzinhalt: ... diese Liebe ist das Äußerste an Selbst-Transzendenz, und die Selbst-Transzendenz des Menschen ist immer prekär ... Daher ist die menschliche Authentizität niemals ein reiner, friedlicher und sicherer Besitz.

Textausschnitt: 5. Die Dialektik der religiösen Entwicklung

29/4 Religiöse Entwicklung ist nicht einfach die Entfaltung des dynamischen Zustands uneingeschränkten In-Liebe-Seins mit all seinen Konsequenzen. Denn diese Liebe ist das Äußerste an Selbst-Transzendenz, und die Selbst-Transzendenz des Menschen ist immer prekär. Schon per se involviert Selbst-Transzendenz die Spannung zwischen dem transzendierenden und dem transzendierten Ich. Daher ist die menschliche Authentizität niemals ein reiner, friedlicher und sicherer Besitz. Sie ist immer nur ein Rückzug aus der Unechtheit, und jeder erfolgreiche Rückzug zeigt bloß die Notwendigkeit weiterer Rückzüge. Unser Fortschritt im Verstehen ist immer auch Beseitigung von Versehen und Mißverstehen. Unser Fortschritt in der Wahrheit ist immer auch eine Korrektur von Fehlern und Irrtümern. Unsere sittliche Entwicklung erfolgt auch durch Reue über unsere Sünden. Echte Religion wird entdeckt und verwirklicht durch eine Befreiung aus den zahlreichen Fallstricken religiöser Verirrung. So ist uns geboten zu wachen und zu beten und unseren Lebensweg in Furcht und Zittern zu gehen. Daher sind es gerade die größten Heiligen, die sich selbst für die größten Sünder halten, obwohl ihre Sünden den weniger heiligen Leuten, denen es an Unterscheidungsgabe und Liebe fehlt, wirklich leicht erscheinen. (118f; Fs)

30/4 Dieser dialektische Charakter religiöser Entwicklung impliziert, daß den oben genannten sieben gemeinsamen Bereichen oder Zügen in der Geschichte der Religionen auch deren Gegensätze entsprechen. In-Liebe-Sein heißt, wie wir sagten, mit jemanden in Liebe zu sein. Es hat eine personale Dimension. Dies aber kann in einer Schule des Gebets und der Aszetik, die die Ausrichtung der religiösen Erfahrung auf das transzendente Mysterium besonders betont, übersehen werden. Das Transzendente ist nichts in dieser Welt. Das Mysterium ist das Unbekannte. Ohne die transzendentale Notion des Seins als des Zu-Erkennenden kann man dazu kommen, das transzendente Geheimnis das Nichts schlechthin zu nennen.1 (119; Fs) (notabene)

31/4 In einem viel früheren Stadium kann die Transzendenz auch überbetont und die Immanenz übersehen werden: Dann wird Gott weit entfernt, bedeutungslos und fast vergessen.2 Umgekehrt kann die Immanenz überbetont und die Transzendenz übersehen werden. Dann beraubt der Bezugsverlust zum Transzendenten das Symbol, den Ritus und die Lesung ihres eigentlichen Sinngehalts und macht sie zum bloßen Idol, zur Magie und zum Mythos.3 Dann kann man das Göttliche auch mit dem Leben als universalem Prozeß identifizieren, von dem der einzelne und die Gruppe ein Teil sind und an dem sie teilhaben.4 (119; Fs)

32/4 Ich habe das mit Gott In-Liebe-Sein als letzte Erfüllung menschlicher Fähigkeit zur Selbst-Transzendenz aufgefaßt; diese Sicht der Religion wird gestützt, wenn Gott als die höchste Erfüllung der transzendentalen Notionen, als höchste Intelligenz, Wahrheit, Wirklichkeit, Gerechtigkeit und Güte aufgefaßt wird. Umgekehrt aber wird die Liebe zu Gott, wenn sie nicht streng mit der Selbst-Transzendenz in Verbindung gebracht wird, tatsächlich leicht durch das Erotische, Sexuelle und Orgiastische verstärkt.5 Andererseits ist die Liebe zu Gott auch von Ehrfurcht durchdrungen. Gottes Gedanken und Wege unterscheiden sich sehr von denen der Menschen, und durch diese Differenz wird Gott erschreckend. Wenn Religion nicht gänzlich auf das Gute ausgerichtet ist, auf echte Nächstenliebe und auf eine Selbstverleugnung, die einer umfassenderen Güte in sich selbst untergeordnet ist, dann kann der Kult eines Gottes, der schrecklich und erschreckend ist, ins Dämonische hinübergleiten, in eine jubelnde Destruktivität seiner selbst und der anderen.6 (119f; Fs)

33/4 Das also ist gemeint, wenn wir sagen, die religiöse Entwicklung sei dialektisch. Es geht hierbei nicht um den Kampf zwischen irgendwelchen Gegensätzen, sondern um den präzisen Gegensatz von Authentizität und Nicht-Authentizität, von transzendierendem und transzendiertem Ich. Es geht nicht bloß um einen Gegensatz zwischen konträren Aussagen, sondern um einen Widerstreit innerhalb der Realität menschlicher Individuen und Gruppen. Eine solch dialektische Entwicklung läßt sich nicht einfach durch eine apriorische Konstruktion von Kategorien definieren, sondern ist auch durch ein unterscheidungsfähiges Studium der Geschichte a posteriori zu entdecken. Sie ist nicht auf die von uns skizzierten Gegensätze beschränkt, sondern erstreckt sich durch die Jahrhunderte auf die endlose Vielfalt institutioneller, kultureller, personaler und religiöser Entwicklung, auf Niedergang und Wiederbelebung. Wir werden darauf zurückkommen, wenn wir als funktionale Spezialisierung die Dialektik behandeln. (120; Fs)

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