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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Methode in der Theologie

Titel: Methode in der Theologie

Stichwort: Religion; Selbst-Transzendenz - Authentizität

Kurzinhalt: Der Mensch erlangt Authentizität durch Selbst-Transzendenz. Man kann in eben dem Maß in einer Welt leben und einen Horizont haben, in dem man nicht in sich selbst verschlossen ist. Ein erster Schritt zu dieser Befreiung ...

Textausschnitt: 2. Selbst-Transzendenz

10/4 Der Mensch erlangt Authentizität durch Selbst-Transzendenz. Man kann in eben dem Maß in einer Welt leben und einen Horizont haben, in dem man nicht in sich selbst verschlossen ist. Ein erster Schritt zu dieser Befreiung ist die Sinnlichkeit, die wir mit den höheren Tieren gemeinsam haben. Diese aber sind in ihren Lebensraum eingeschlossen, während der Mensch in einem Universum lebt. Über die Sinneswahrnehmung hinaus stellt der Mensch Fragen, und sein Fragen ist unbegrenzt. (112f; Fs)

11/4 Da sind zuerst die Fragen nach Einsicht. Wir fragen 'Was, Warum, Wie und Wozu'. Unsere Antworten vereinigen, verbinden miteinander, klassifizieren, konstruieren, reihen ein und verallgemeinern. Von dem schmalen Raum-Zeit-Streifen, der unserer unmittelbaren Erfahrung zugänglich ist, kommen wir allmählich zum Aufbau einer Weltsicht und zur Erforschung dessen, was wir selbst sein sollten und tun könnten. (113; Fs)

12/4 Auf die Fragen nach Einsicht folgen Fragen nach Reflexion. Wir gehen über Vorstellung und Vermutung, über Idee und Hypothese, Theorie und System hinaus um zu fragen, ob dies tatsächlich so ist oder ob jenes wirklich sein könnte - oder nicht. Nun erhält die Selbst-Transzendenz eine neue Bedeutung. Sie geht nicht bloß über das Subjekt hinaus, sondern sucht auch das, was vom Subjekt unabhängig ist. Denn ein Urteil, daß dies oder jenes so ist, berichtet nicht, was mir erscheint, nicht was ich mir vorstelle, nicht was ich denke, nicht was ich wünsche, nicht was ich geneigt wäre zu sagen, und nicht was mir so scheint, sondern was so ist. (113; Fs)

13/4 Noch ist solche Selbst-Transzendenz nur kognitiv. Sie gehört nicht der Ordnung des Tuns, sondern nur der des Wissens an. Doch auf der endgültigen Ebene der Fragen nach Entscheidung wird die Selbst-Transzendenz moralisch. Wenn wir fragen, ob dieses oder jenes lohnt, ob es nicht nur scheinbar, sondern wahrhaft gut ist, suchen wir nicht das, was uns Vergnügen oder Schmerz, Behaglichkeit oder Unbehagen bereitet, auch nicht die spontane Empfindungsfähigkeit, weder den individuellen noch den Gruppen-Vorteil, sondern wir suchen den objektiven Wert. Weil wir solche Fragen stellen können, weil wir sie beantworten und gemäß den Antworten leben können, deshalb können wir in unserem Leben eine moralische Selbst-Transzendenz bewirken. Diese moralische Selbst-Transzendenz ist die Möglichkeit von Güte und Wohltätigkeit, von aufrichtiger Zusammenarbeit und wahrer Liebe, und sie ermöglicht uns, aus dem Lebensraum des Tieres völlig auszuscheren und Person in einer menschlichen Gesellschaft zu werden. (113; Fs)

14/4 Die transzendentalen Notionen - das sind unsere Fragen nach Verstand, nach Reflexion und Entscheidung - machen unsere Fähigkeit zur Selbst-Transzendenz aus. Diese Fähigkeit wird zur Tatsächlichkeit, wenn man zu lieben beginnt. Dann wird unser Sein ein In-Liebe-Sein. Solches In-Liebe-Sein hat seine Vorgeschichte, seine Gründe, Bedingungen und Anlässe. Doch ist es einmal erblüht, und solange es dauert, übernimmt es die Leitung. Es wird zum ersten Prinzip, aus dem alles hervorgeht: eigene Wünsche und Befürchtungen, Freuden und Leiden, Weiterkenntnisse, Entscheidungen und Taten. (113; Fs)

15/4 In-Liebe-Sein ist unterschiedlicher Art. Es gibt die Liebe der innigen Vertrautheit von Mann und Frau, von Eltern und Kindern. Es gibt die Nächstenliebe, die ihre Früchte trägt zum menschlichen Wohl. Es gibt die Liebe zu Gott aus 'ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft' (Mk 12,30). Die Liebe Gottes ist 'ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist' (Rom 5,5). Sie begründet die Überzeugung des hl. Paulus: 'Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn' (Röm 8,38f). (114; Fs)

16/4 Wie die Gottesfrage in all unserem Fragen eingeschlossen ist, so ist das mit Gott In-Liebe-Sein die grundlegende Erfüllung unserer bewußten Intentionalität. Diese Erfüllung führt zu einer tief verwurzelten Freude, die Demütigung, Versagen, Entbehrung, Leid, Treuebruch und Verlassenheit überdauern kann. Diese Erfüllung führt zu tiefstem Frieden, einem Frieden, den die Welt nicht geben kann. Diese Erfüllung trägt Früchte in der Nächstenliebe, die machtvoll danach strebt, das Gottesreich auf diese Erde zu bringen. Fehlt diese Erfüllung, so ist der Weg frei zur Banalisierung des menschlichen Lebens im Streben nach Vergnügungen, zur Härte des Lebens, die sich aus gnadenloser Machtausübung ergibt, zur Verzweiflung am Wohle des Menschen, die der Überzeugung entstammt, das Universum sei absurd. (114; Fs) (notabene)

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