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Autor: Guardini, Romano

Buch: Das Ende der Neuzeit

Titel: Das Ende der Neuzeit

Stichwort: Kirche der Zukunft: Wahrheit, Tapferkeit, Askese

Kurzinhalt: Die zweite Tugend wird die Tapferkeit sein ... und hat, wie alle wirklich große Tapferkeit, die Vielen gegen sich, die Öffentlichkeit, die in Parolen und Organisationen verdichtete Unwahrheit.

Textausschnitt: 98a Vielleicht ist durch das Gesagte deutlicher geworden, warum wir erwogen haben, ob wir nicht die Bezeichnung der »nicht-kulturellen Kultur« anwenden sollten. Wenn das, was der Mensch der vergangenen Jahrhunderte hervorbrachte und worin er wohnte, Kultur war, dann ist das, womit wir es heute zu tun haben, tatsächlich etwas anderes. Der existentielle Raum, in dem es steht, ist ein anderer; anders ist sein Charakter und anders, was von ihm abhängt. (Fs)

Die tragende Tugend wird vor allem der Ernst sein, der die Wahrheit will. Vielleicht dürfen wir in der Sachlichkeit, die ja in vielem zu spüren ist, eine Vorbereitung auf ihn sehen. Dieser Ernst will wissen, worum es wirklich geht, durch alles Gerede von Fortschritt und Naturerschließung hindurch, und übernimmt die Verantwortung, welche die neue Situation ihm auferlegt. (Fs)

98b Die zweite Tugend wird die Tapferkeit sein. Eine unpathetische, geistige, personale Tapferkeit, welche sich dem heraufdrohenden Chaos entgegenstellt. Sie muß reiner und stärker sein, als die vor Atombomben und Bakterienstreuern, denn sie hat den universellen Feind, das im Menschenwerk selbst aufsteigende Chaos zu bestehen - und hat, wie alle wirklich große Tapferkeit, die Vielen gegen sich, die Öffentlichkeit, die in Parolen und Organisationen verdichtete Unwahrheit. Und ein Drittes muß hinzukommen: die Askese. Für die Neuzeit war Askese etwas, vor dem ihr ganzes Gefühl zurückscheute; ein Inbegriff alles dessen, von dem sie sich lösen wollte. Ebendadurch ist sie aber innerlich eingeschlafen, sich selbst verfallen. Der Mensch muß lernen, durch Überwindung und Entsagung Herr über sich selbst zu werden - und dadurch auch Herr zu werden über seine eigene Macht. Die so gewonnene Freiheit wird den Ernst auf die wirklichen Entscheidungen richten, während wir heute eine schier metaphysische Gravität an Lächerlichkeiten gewandt sehen. Sie wird den bloßen Mut zur wirklichen Tapferkeit machen, und die Schein-Heroismen entlarven, in denen der heutige Mensch, von Schein-Absolutheiten gebannt, sich opfern läßt. Aus alledem muß schließlich eine geistige Regierungskunst hervorgehen, in welcher Macht über die Macht ausgeübt wird. Sie unterscheidet Recht und Unrecht, Ziel und Mittel. Sie findet das Maß und schafft in den Anstrengungen der Arbeit und des Kampfes Raum für den Menschen, daß er in Würde und Freude leben könne. Das erst wird die eigentliche Macht sein. (Fs)

99a Ich habe wohl deutlich machen können, daß hier kein Pessimismus verkündet werden soll. Besser gesagt, kein falscher Pessimismus, denn es gibt auch einen richtigen, und ohne ihn wird nichts Großes. Er ist die bittere Kraft, die das tapfere Herz und den schaffensfähigen Geist zum dauernden Werk befähigt. Dieser sollte allerdings vertreten - und es sollte auf die eine und eigentliche Entscheidung hingewiesen werden, die hinter den vielen Einzelentscheidungen liegt, wie sie sich überall aufdrängen. Ihre Möglichkeiten lauten: Untergang in einer inneren wie äußeren Zerstörung - oder aber eine neue Weltgestalt als Raum für eine ihres Sinnes bewußte und zukunftsfähige Menschlichkeit. (Fs)

100a Auf die Frage nach dem Wesen und dem Charakter dieser Weltgestalt soll hier nicht eingegangen werden. Wenn man die an vielen Stellen sich zeigenden Ansätze miteinander in Verbindung brächte; die Eigenart der werdenden Formen und Ordnungen untersuchte und sich bemühte, die wirkenden Motive und Haltungen zu verstehen, wäre wohl manches zu sagen. Es würde aber den Rahmen dieser kleinen Schrift überschreiten; so muß es für eine andere Gelegenheit zurückgestellt sein. (Fs)

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