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Autor: Guardini, Romano

Buch: Das Ende der Neuzeit

Titel: Das Ende der Neuzeit

Stichwort: Neuzeit; Freiheit - Macht (neuer Abschnitt der Geschichte);

Kurzinhalt: Das Kernproblem, um das die künftige Kulturarbeit kreisen, und von dessen Lösung alles, nicht nur Wohlfahrt oder Not, sondern Leben oder Untergang abhängen wird, ist die Macht.

Textausschnitt: 96a Der Mensch ist frei und kann seine Macht brauchen, wie er will. Ebendarin aber liegt die Möglichkeit, sie falsch zu brauchen; falsch im Sinne des Bösen wie des Zerstörenden. Was garantiert den rechten Gebrauch? Nichts. Es gibt keine Garantie dafür, daß die Freiheit sich richtig entscheide. Was es geben kann, ist nur eine Wahrscheinlichkeit, und sie liegt darin, daß der gute Wille zur Gesinnung, zur Haltung, zum Charakter wird. Die vorurteilslose Prüfung muß aber - wir haben es bereits bemerkt - feststellen, daß eine Charakterbildung, welche den richtigen Gebrauch der Macht wahrscheinlich machte, fehlt. Der neuzeitliche Mensch ist auf den ungeheuren Aufstieg seiner Macht nicht vorbereitet. Es gibt noch keine richtig durchdachte und wirksam geprägte Ethik des Machtgebrauchs; noch weniger eine Erziehung dazu, weder einer Elite noch der Gesamtheit. (Fs)

96b Mit alledem hat die konstitutive Gefahr, die in der Freiheit liegt, eine dringliche Form angenommen. Wissenschaft und Technik haben die Energien der Natur wie des Menschen selbst derart zur Verfügung gestellt, daß Zerstörungen schlechthin unabsehbaren Ausmaßes, akute wie chronische, eintreten können. Mit genauestem Recht kann man sagen, daß von jetzt an ein neuer Abschnitt der Geschichte beginnt. Von jetzt an und für immer wird der Mensch am Rande einer sein ganzes Dasein betreffenden, immer stärker anwachsenden Gefahr leben. Nimmt man dann noch die oben beschriebene, einschläfernde Vorstellung einer in sich gesicherten und Sicherheit schaffenden Kultur hinzu, so sieht man, wie wenig die heutige Menschheit vorbereitet ist, das Erbe des bisherigen Machterwerbs zu verwalten. Jederzeit kann die Situation sie überrennen. Und nicht nur die schlaffen Elemente in ihr, sondern auch, nein gerade die aktiven, die Eroberer, Organisatoren, Führer. Das erste ungeheure Beispiel dafür haben wir in den beiden vergangenen Jahrzehnten erlebt. Die Dinge sehen aber nicht so aus, als ob es wirklich und von hinreichend Vielen verstanden worden sei. Immer wieder gewinnt man den Eindruck, als ob das Mittel, mit welchem die flutartig ansteigenden Probleme bewältigt werden, im Letzten doch die Gewalt sei. Das hieße aber, daß der falsche Gebrauch der Macht zur Regel wird. (Fs)

97a Das Kernproblem, um das die künftige Kulturarbeit kreisen, und von dessen Lösung alles, nicht nur Wohlfahrt oder Not, sondern Leben oder Untergang abhängen wird, ist die Macht. Nicht ihre Steigerung, die geht von selbst vor sich; wohl aber ihre Bändigung, ihr rechter Gebrauch. Die Wildnis in ihrer ersten Form ist bezwungen: die unmittelbare Natur gehorcht. Sie kehrt aber innerhalb der Kultur selbst wieder, und ihr Element ist eben das, was die erste Wildnis bezwungen hat: die Macht selbst. In dieser zweiten Wildnis haben, sich alle Abgründe der Urzeit wieder geöffnet. Alles wuchernde und erwürgende Wachstum der Wälder dringt wieder vor. Alle Ungeheuer der Einöden, alle Schrecken der Finsternis sind wieder da. Der Mensch steht wieder vor dem Chaos; und das ist um so furchtbarer, als die meisten es gar nicht sehen, weil überall wissenschaftlich gebildete Leute reden, Maschinen laufen und Behörden funktionieren. (Fs)

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