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Autor: Menke, Karl-Heinz

Buch: Die Einzigkeit Jesu Christ

Titel: Die Einzigkeit Jesu Christ

Stichwort: Moderne Kunst - als Indikator d. Subjektivismus; Übergang: Mythos -> Logos; Unterschied d. Kunst: Antike - Mittelalter (Wert d. Vielen); das Göttliche im Geschöpflichen (Gedanke Gottes); Ikonenmalerei


Kurzinhalt: Dem Künstler des christlichen Mittelalters geht es anders als dem der griechischen Antike nicht um die Erreichung eines an unbedingter Einheit orientierten Ideals, sondern um die Entdeckung des göttlichen Gedankens oder Willens in jedem Geschöpf.

Textausschnitt: 37a Da die Kunst nicht weniger als die Philosophie Indikator des Zeitgeistes ist, soll in einem Exkurs gezeigt werden, daß die moderne Malerei alle Schritte der skizzierten Entwicklung widerspiegelt. Dabei sei im voraus eingeräumt, daß der im folgenden eruierte Zusammenhang die Kunst aus der Perspektive des Philosophen betrachtet und in diesem Sinne einseitig bleibt. (Fs)

a) Die moderne Malerei als Spiegel der philosophischen via moderna

37b Jedwede Kunst beruht auf der Unterscheidung, die den Übergang vom Mythos zum Logos kennzeichnet. In der vom Mythos bestimmten Welt ist alles einschließlich des Menschen mit all seinem Denken, Handeln und Planen Phänomen des Göttlichen. Das Göttliche wird nicht dargestellt oder abgebildet, sondern es erscheint in jedweder Gestalt von Welt und Geschichte. Erst wo der Mensch zu fragen beginnt1, was der Vielzahl der Götter und ihrer Phänomene als das Verbindende zugrundeliegt, kommt es zur Unterscheidung zwischen eigentlicher und uneigentlicher Wirklichkeit, zwischen Urbild und Abbild, zwischen Mythos und Logos. Die griechische Philosophie gründet in dem Primat der Einheit vor der Vielheit; und die Einheit ist der Logos bzw. das Gedachte (Ideelle), während die Vielheit das Materielle, das Vordergründige, Vorübergehende, Nichtige und also nur scheinbar Wirkliche ist. Das, was z. B. allen einzelnen Steinen als das Bleibende zugrundeliegt, ist die Idee «Stein». Der Logos ist das eigentlich Wirkliche und als solches «das Eine», das als «Weltseele»2 in allem Vielen erscheint - auch im einzelnen Menschen, in ihm aber so, daß er sich - seiner selbst bewußt - auf das Eine beziehen kann. Er kann sich selber im ethischen Sinne immer vollkommener zum Abbild des Logos (des Einen) machen; und er kann alle Dinge auf den Logos (auf das Eine) beziehen. Letzteres geschieht auch durch die Kunst. Eine antike Statue ist kein Porträt, sondern der Versuch, das vom Logos vorgegebene Ideal des Menschen darzustellen; je vollkommener dies gelingt, desto schöner ist das Kunstwerk. Der antike Künstler ist sich zwar bewußt, daß das von ihm erstellte Abbild nicht identisch ist mit dem Göttlichen, geht aber davon aus, daß er selbst und alles Viele nichts anderes ist als Beziehung zum Göttlichen, zum Logos, zum Einen. (Fs) (notabene)

38a Die Welt der griechischen Philosophie von den Vorsokratikern bis zu Plotin bleibt dem mythischen Weltbild verhaftet, weil auch in ihr alles, was ist, göttlich ist. Es wird zwar unterschieden zwischen der Einheit, die göttlich ist, und dem Vielen, das nicht göttlich ist; aber das Viele ist «an und für sich» nichts; es «ist» nur, indem es vom Einen her gedacht wird; es «ist» nur als Teilhabe am Logos bzw. Einen. Das Viele ist Abbild des Einen und deshalb in eben dem Maße wirklich, als es das Urbild abbildet. (Fs)

39a Erst auf der Basis des jüdisch-christlichen Schöpfungsgedankens ist das Viele nicht mehr das Nichtige. Der Schöpfer ist zwar der Grund aller Geschöpfe; dies aber nicht im Sinne des Aristoteles als Anfang einer Ursachenkette, sondern als die Liebe, die allmächtig ist, weil sie nicht abhängig, sondern frei macht. Weil der trinitarische Gott in sich selbst die unbedingte Anerkennung des Anderen als des anderen (keine monolithische Einheit, sondern Vater und Sohn und Geist, also nicht Einheit trotz Vielheit, sondern Einheit als Vielheit) ist, ist die Vielheit der Geschöpfe eine von Gott gewollte Vielheit. Die christliche Philosophie des Mittelalters relativiert die Phänomene der sinnlich wahrgenommenen Realität nicht auf eine gedachte Einheit hin, sondern eruiert in jedem Geschöpf das, was sich der Schöpfer gedacht hat, als er die Dinge schuf. Entsprechend läßt sich die Kunst des Mittelalters als Darstellung der Gedanken des Schöpfer- und Erlösergottes definieren. Die Kathedrale von Chartres z. B. sieht in jedem Tier eine Anrede des Schöpfers an den Menschen, einen Mosaikstein der von Gott geschaffenen und vom Menschen zu hütenden Ordnung. Dem Künstler des christlichen Mittelalters geht es anders als dem der griechischen Antike nicht um die Erreichung eines an unbedingter Einheit orientierten Ideals, sondern um die Entdeckung des göttlichen Gedankens oder Willens in jedem Geschöpf. Daß in diesem Horizont das Werk des Künstlers auch als quasi-reale Erscheinung des Abgebildeten verstanden werden kann, beweisen die Ikonen und Gnadenbilder, die zum Teil bis heute als wundertätig verehrt werden. Dennoch steht hinter der Ikonenmalerei nicht die mythische Vorstellung vom Erscheinen des Göttlichen im Endlichen, sondern die Auffassung, daß der Künstler das Göttliche im Geschöpflichen ebenso zum Ausdruck bringen kann wie der Philosoph hinter der «Physis» das «Meta-Physische» eruiert. (Fs)

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