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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Sein - Denken; Vernunft, Erkenntnis (Seinserfassung); intellectus et intelligibile in actu sunt unum; Phantasma: agenda instrumentalia; Verstand: intellectus possibilis - i. agens; Abstraktion (Schatz im Acker)


Kurzinhalt: ... der Ingrund des Dinges, soweit er verstehlicher Natur ist, fällt mit dem Inbild, als welches das Ding mein verstandenes ist, zusammen. Das Ding im Verstandenwerden und der Verstand im Verstehen schießen zu Einer Wirklichkeit ineinander.

Textausschnitt: LXVIIIa Thomas unterscheidet im Ding zwischen dem, was es zu diesem individuellen Ding hier macht (principium individuans) und dem, was ihm seine Natur oder Washeit ausmacht und dadurch es zum Ding einer bestimmten Art von Dingen macht (principium specificans). Obgleich nun der Verstand die wirklichen Dinge erkennt, in Abstreifung dessen, was ihre Einzelbesonderheit ausmacht (seclusis principiis individuantibus), so richtet sich doch die Weise, die Dinge zu erkennen, nach der Beschaffenheit des Erkennenden: gemäß seiner Eigentümlichkeit faßt er sie auf. Die scholastische Formel dafür lautet: Das Erkannte ist im Erkennenden nach Weise des Erkennenden (cognitum in cognoscente secundum modum cognoscentis). Oder, nach einem andern Satz bei Thomas: der Verstand faßt die Dinge nicht nach ihrer, sondern nach seiner Weise auf. Also erheben und gestalten wir aus der äußeren Wirklichkeit eine gedachte Wirklichkeit, die ein Erzeugnis unseres Denkens ist. Indem wir aber von der einen sinnlich mittels der Phantasmen Besitz nehmen, durch die andere aber die allgemeinen, artlichen Wesenheiten erheben, in denen das Einzelding gründet, sie mannigfach und je nach den Bedingungen des Wesungsstoffes in immer anderer Besonderheit darstellend, spiegelt unser Erkenntnisleben die Seinswelt völlig so wie sie geartet ist. (Fs)

LXIXa Spiegelt nur? Oder geschieht im Erkennen ein gegenseitiges Sichdurchdringen von Erkennendem und Erkanntem? Werden wir am Erkennbaren erst, sofern es uns in die Tätigkeit des Erkennens versetzt, eigentlich und wirklich wir selbst als Verstandwesen, und kommt auch das Ding erst durch das Dasein in uns zu dem Sein, das mit ihm und in ihm gemeint ist? In der Tat, für Thomas - hierin abhängig von seinem griechischen Meister - verhält es sich so. Was mittels des sinnlichen Eindrucks sich letztlich vom Ding uns mitteilt, das ist seine innere Wesungsform, seine Idee oder Intention. Das Verhältnis von Kunstwerk und Betrachter kann zum Beispiel dienen: das mit der Statue durch stoffliches Mittel Gemeinte, also die bedeutete Form, die innewohnende Idee, wird als die nämliche auch dem Betrachter wirklich, der für sie empfänglich ist, nämlich einer verstehenden Wesenheit, die frei aus sich herausgehen und in gewissem Sinne auch ein anderes, ja alles, wovon sie als Erkennendes sich ergreifen läßt, werden kann. Also der Ingrund des Dinges, soweit er verstehlicher Natur ist, fällt mit dem Inbild, als welches das Ding mein verstandenes ist, zusammen. Das Ding im Verstandenwerden und der Verstand im Verstehen schießen zu Einer Wirklichkeit ineinander. "Verstand und Verstehliches sind in der (Verstehungs-) Wirklichkeit Eines (intellectus et intelligibile in actu sunt unum)." "Die Tätigkeit des Verstandes besteht darin, daß das Wesen der verstandenen Sache im Verstehenden ist (actio intellectus consistit in hoc, quod ratio rei intellectae est in intelligente)." Dabei ist der Verstand sowohl in der passiven Rolle des Erfahrens gleich der leeren, aber beschreibbaren Tafel - "unser Verstehen ist gewissermaßen ein Erleiden (intelligere nostrum est pati quoddam)" - als in der aktiven des Lichtwerfens auf die sinnlichen Erfahrnisse, des Herausklärens ihrer unsinnlich-geistigen Gehalte. Die abbildlichen Phantasmen von den Außendingen sind werkzeuglich einwirkend (agenda instrumentalia) auf das erfahrende Vermögen der Verstehseele, und sie begegnet ihnen mit ihrem anwirkenden Vermögen, um aus der sinnlich-bildlichen Dingvertretung das unter den individuellen Bedingungen (condiciones individuales) vorhandene Verstehliche hervorzubringen. Der Verstand ist in der Möglichkeit zu allem (in potentia ad omnia), und insofern intellectus possibilis, aber er ist auch intellectus agens, als tätiger fähig, sich das Ding zur geistigen Leuchtung zu bringen in der Verstehung, sei es im einfachen Begriff, sei es im Urteil, so daß Verstand und Ding wie in einer Zündung mit und durch einander zu ihrer höchsten natürlichen Wirklichkeit gelangen. (Fs) (notabene)

LXXa Die Gezweiung des Seins in Denkbares und Denkendes schließt sich, wo und wann ein Verstand erkennt. Nichts anderes ist Erkenntnis als Aneinigung des erkannten Dings an den Erkennenden (unio rei cognitae ad cognoscentem), Kundwerdung dessen, was in der zur Erkenntnis gestellten Welt der Dinge gemeint ist, durch das innere Wort (verbum mentis) des verstehenden Verstandes, welches zwar nur in ihm vorhanden ist, aber für ihn wie für das Ding die Aussprechung ihrer urangelegten Sinnbezogenheit vollzieht. Im Denken wird die Welt inne ihrer selbst - in verschiedenen Stufen und Graden der Selbstdurchdringung, die nach einem Höchsten weisen, wo Verstand und Ding, Wesenheit und Dasein nicht mehr unterschieden sind. (Fs) (notabene)

LXXb So ist es schließlich die Abstraktion, die uns ins eigentlich Konkrete führt, in die bleibenden Artbilder der Dinge über der Flucht des - Konkreten. Sie sammelt aus der Zerstreuung, sie verfestigt das Fließende, sie findet den Schatz im Acker, sie erst ermöglicht uns das Glück, mit den Weltgehalten so innig übereinzukommen, als es unserer Natur in Raum und Zeit verstattet ist. Begriff und Definition sind der wahre Griff ans Ding (virtus comprehendens rem), das Urteil des Verstandes ist das Innewerden der Gültigkeit jener Beziehung zwischen Ding und Seele, die wir Wahrheit nennen. Durch unsere Sinne verbinden wir uns nur obenhin (superficialiter) den Dingen, der Verstand aber langt bis zur innersten Wesenheit durch (intellectus pertingit usque ad intimam rei quidditatem). Erkenntnis ist die edelste Weise, ein Ding zu haben oder zu behaupten, nämlich seiner unstofflichen Seinsform nach. (Fs) (notabene)

LXXc Und dennoch wäre Thomas verkannt, wollte man in seinem "Intellektualismus" die Melodie des "Wanderers" überhören, der unterwegs zum Ziel die Dinge auch bei klarster Sicht, gerade dieserhalb, in ihrer letzten Unergründlichkeit für das Auge seines Geistes liegen sieht. Wir können richtig definieren, die Washeit erfassen - aber wieviel können wir nicht definieren (das Nächste gerade, das Individuum, ist unaussagbar), und auch die erfaßte Washeit beläßt uns noch im Stande des Fragens und Suchens nach dem Letzten, in dem sie gründet. "Von allen Erkenntnisweisen ist die menschliche die niederste", weil sie auf die Zutracht der Sinne, auf Abstraktion und schlußfolgerndes Verfahren angewiesen ist. Unser Erkennen ist mühsam, in aller Mühsamkeit noch unvollkommen, und zu den festen Gewißheiten, die es uns eröffnet, gehört auch die Einsicht in die unausschreitbare Unendlichkeit dessen, was wir nicht wissen und doch zu wissen uns getrieben finden. "Die Erste Wahrheit liegt über die Seele hinaus (veritas prima est maior anima)." Dorthin sind wir gewiesen, und von dorther kommen uns Bescheide, die unserer Natur für sich allein versagt wären. "Aus alledem erhellt, daß die gerade den vornehmsten Dingen gegenüber so unvollkommene Erkenntnis doch auch die größte Vollkommenheit in die Seele bringt. Obgleich also die menschliche Vernunft das nicht völlig fassen kann, was über die Vernunft hinausgeht, so erwirbt sie sich immerhin ein reichliches Maß von Vollkommenheit, wenn sie diese Dinge irgendwie zum wenigsten im Glauben festhält." Der tiefste Drang in aller unserer Erkenntnisbemühung geht auf ein unmittelbares, wandelloses, alles völlig durchdringendes Schauen, und dieses eben ist dem "kleinen Lichte unserer Natur" (parvum lumen nobis connaturale), das freilich zu unserm Erkennen in Zeit und Raum genügt (sufficit ad nostrum intelligere), hienieden versagt. (Fs) (notabene)

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