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Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef

Buch: Enzyklika Veritatis splendor

Titel: Johannes Paul II., Veritatis splendor

Stichwort: Sittlichkeit: "Objekt"; Perspektive der handelnden Person; intrinsece malum (Beispiele);

Kurzinhalt: Zurückgewiesen werden muß daher die für teleologische und proportionalistische Theorien typische Ansicht, es sei unmöglich, die bewußte Wahl einiger Verhaltensweisen bzw. konkreter Handlungen nach ihrer Spezies - ihrem "Objekt" - als sittlich schlecht ...

Textausschnitt: 78. Der sittliche Charakter der menschlichen Handlungen ist zunächst einmal und fundamental von dem durch den freien Willen vernunftgemäß gewählten Gegenstand abhängig, wie es auch die scharfsinnige, noch immer gültige Analyse des hl. Thomas aufweist.1 Um den Gegenstand einer Handlung, der sie sittlich spezifiziert, erfassen zu können, muß man sich daher in die Perspektive der handelnden Person versetzen. Das Objekt des Willensaktes ist ja ein frei gewähltes Verhalten. Insofern es mit der Vernunftordnung übereinstimmt, ist es Ursache der Güte des Willens, macht es uns sittlich vollkommener und hilft uns, unser letztes Ziel im vollkommenen Guten, der ursprünglichen Liebe, zu erkennen. Unter "Objekt" einer bestimmten sittlichen Handlung kann man daher nicht einen Prozeß oder ein Ereignis rein physischer Ordnung verstehen, die danach zu bewerten wären, daß sie einen bestimmten Zustand in der äußeren Welt hervorrufen. Das Objekt ist das unmittelbare Ziel einer freien Wahl, die den Willensakt der handelnden Person prägt. In diesem Sinne gibt es, wie der Katechismus der katholischen Kirche lehrt, "konkrete Verhaltensweisen, die zu wählen immer falsch ist, weil ihre Wahl die Ungeordnetheit des Willens einschließt, das heißt ein sittliches Übel".2 "Es geschieht nicht selten - schreibt der hl. Thomas von Aquin -, daß der Mensch in guter Absicht, aber in nichtsnutziger Weise handelt, weil ihm der gute Wille fehlt. Zum Beispiel, wenn einer stiehlt, um einen Armen zu ernähren: Obwohl in diesem Fall die Absicht recht ist, fehlt hier die Richtigkeit eines angemessenen Willens. Kurz und gut, die gute Absicht entschuldigt keineswegs die Ausführung böser Werke. 'Einige legen uns in den Mund: Laßt uns Böses tun, damit Gutes entsteht. Diese Leute werden mit Recht verurteilt' (Röm 3,8)".3

Der Grund, warum die gute Absicht nicht genügt, sondern es auch der richtigen Wahl der Werke bedarf, liegt darin, daß die menschliche Handlung von ihrem Gegenstand beziehungsweise davon abhängt, ob dieser Gegenstand auf Gott, also den, der "allein 'der Gute' ist", hingeordnet werden kann oder nicht und so die Vollkommenheit der menschlichen Person bewirkt. Eine Handlung ist daher gut, wenn ihr Gegenstand (Objekt) dem Gut der Person, unter Respektierung der für sie sittlich bedeutsamen Güter, entspricht. Die christliche Ethik, die dem Gegenstand sittlicher Handlungen eine ganz besondere Beachtung schenkt, lehnt es also nicht ab, die innere "Teleologie" des Handelns in Betracht zu ziehen, insofern auf die Förderung des wahren Gutes der Person gerichtet; sie hält aber fest, daß letzteres nur dann wahrhaftig verfolgt wird, wenn die wesentlichen Aspekte der menschlichen Natur respektiert werden. Die ihrem Gegenstand nach gute menschliche Handlung besitzt auch die Eigenschaft, auf das letzte Ziel hingeordnet werden zu können. Eben diese Handlung erlangt dann ihre letzte und entscheidende Vollkommenheit, wenn der Wille sie durch die Liebe tatsächlich auf Gott hinordnet. In diesem Sinne lehrt der Patron der Moraltheologen und Beichtväter: "Es genügt nicht, gute Werke zu tun, sie müssen gut getan werden. Damit unsere Werke gut und vollkommen sind, müssen wir sie mit dem klaren Ziel tun, daß sie Gott gefallen".4

Das "in sich Schlechte": Man darf nicht Böses tun, damit Gutes entsteht (vgl. Röm 3,8). (Fs)

79. Zurückgewiesen werden muß daher die für teleologische und proportionalistische Theorien typische Ansicht, es sei unmöglich, die bewußte Wahl einiger Verhaltensweisen bzw. konkreter Handlungen nach ihrer Spezies - ihrem "Objekt" - als sittlich schlecht zu bewerten, ohne die Absicht, mit der diese Wahl vollzogen wurde, oder ohne die Gesamtheit der vorhersehbaren Folgen jener Handlungen für alle betroffenen Personen zu berücksichtigen. (Fs)

Das vorrangige und entscheidende Element für das moralische Urteil ist das Objekt der menschlichen Handlung, das darüber entscheidet, ob sie auf das Gute und auf das letzte Ziel, das Gott ist, hingeordnet werden kann. Ob dies so ist, erkennt die Vernunft im Sein des Menschen selbst, verstanden in seiner vollumfänglichen Wahrheit, und damit unter Berücksichtigung seiner natürlichen Neigungen, seiner Triebkräfte und seiner Zweckbestimmtheiten, die immer auch eine geistige Dimension besitzen: Genau das sind die Inhalte des Naturgesetzes und damit die geordnete Gesamtheit der "Güter für die menschliche Person", die sich in den Dienst des "Gutes der Person" stellen, des Gutes, das sie selbst und ihre Vollendung ist. Das sind die von den Geboten (des Dekalogs) geschützten Güter, der nach dem hl. Thomas das ganze Naturgesetz enthält.1

80. Nun bezeugt die Vernunft, daß es Objekte menschlicher Handlungen gibt, die sich "nicht auf Gott hinordnen" lassen, weil sie in radikalem Widerspruch zum Gut der nach seinem Bild geschaffenen Person stehen. Es sind dies die Handlungen, die in der moralischen Überlieferung der Kirche "in sich schlecht" (intrinsece malum), genannt wurden: Sie sind immer und an und für sich schon schlecht, d.h. allein schon aufgrund ihres Objektes, unabhängig von den weiteren Absichten des Handelnden und den Umständen. Darum lehrt die Kirche - ohne im geringsten den Einfluß zu leugnen, den die Umstände und vor allem die Absichten auf die Sittlichkeit haben -, daß "es Handlungen gibt, die durch sich selbst und in sich, unabhängig von den Umständen, wegen ihres Objekts immer schwerwiegend unerlaubt sind".2 Das Zweite Vatikanische Konzil bietet im Zusammenhang mit der Achtung, die der menschlichen Person gebührt, eine ausführliche Erläuterung solcher Handlungsweisen anhand von Beispielen: "Was zum Leben selbst in Gegensatz steht, wie jede Art von Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord; was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter und der Versuch, psychischen Zwang auszuüben; was immer die menschliche Würde angreift, wie unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person behandelt wird: all diese und andere ähnliche Taten sind an sich schon eine Schande; sie sind eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers".3

Über die in sich sittlich schlechten Handlungen und im Blick auf kontrazeptive Praktiken, mittels derer vorsätzlich unfruchtbar gemacht wird, lehrt Papst Paul VI.: "Wenn es auch in der Tat zuweilen erlaubt ist, ein sittliches Übel hinzunehmen, in der Absicht, damit ein größeres Übel zu verhindern oder ein höheres sittliches Gut zu fördern, ist es doch nicht erlaubt, nicht einmal aus sehr schwerwiegenden Gründen, das sittlich Schlechte zu tun, damit daraus das Gute hervorgehe (vgl. Röm 3,8), d.h. etwas zum Gegenstand eines positiven Willensaktes zu machen, was an sich Unordnung besagt und daher der menschlichen Person unwürdig ist, auch wenn es in der Absicht geschieht, Güter der Person, der Familie oder der Gesellschaft zu schützen oder zu fördern".4

81. Wenn die Kirche das Bestehen "in sich schlechter" Handlungen lehrt, greift sie die Lehre der Heiligen Schrift auf. Der Apostel stellt kategorisch fest: "Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben" (1 Kor 6,9-10). (Fs)

Wenn die Akte in sich schlecht sind, können eine gute Absicht oder besondere Umstände ihre Schlechtigkeit zwar abschwächen, aber nicht aufheben: Sie sind "irreparabel" schlechte Handlungen, die an und für sich und in sich nicht auf Gott und auf das Gut der menschlichen Person hinzuordnen sind: "Wer würde es im Hinblick auf die Handlungen, die durch sich selbst Sünden sind (cum iam opera ipsa peccata sunt) - schreibt der hl. Augustinus -, wie Diebstahl, Unzucht, Gotteslästerung, zu behaupten wagen, sie wären, wenn sie aus guten Motiven (causis bonis) vollbracht würden, nicht mehr Sünden oder, eine noch absurdere Schlußfolgerung, sie wären gerechtfertigte Sünden?".5
Darum können die Umstände oder die Absichten niemals einen bereits in sich durch sein Objekt sittenlosen Akt in einen "subjektiv" sittlichen oder als Wahl vertretbaren Akt verwandeln. (Fs)

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