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Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef

Buch: Enzyklika Veritatis splendor

Titel: Johannes Paul II., Veritatis splendor

Stichwort: Teleologie, Teleologismus; Sittlichkeit - Ziel, Zielgerichtetheit

Kurzinhalt: ... und das willentliche Streben nach diesem Gut machen die Sittlichkeit aus. Das menschliche Handeln kann also nicht allein deshalb als sittlich gut bewertet werden, weil es dazu dienlich ist, dieses oder jenes verfolgte Ziel zu erreichen, ...

Textausschnitt: 71. Die Beziehung zwischen der Freiheit des Menschen und dem Gesetz Gottes, die ihren tiefsten und lebendigen Sitz im sittlichen Gewissen hat, äußert und verwirklicht sich in den menschlichen Handlungen. Gerade durch seine Handlungen vervollkommnet sich der Mensch als Mensch, als Mensch, der berufen ist, aus eigenem Entschluß seinen Schöpfer zu suchen und in Zugehörigkeit zu ihm frei zur vollen und seligen Vollendung zu gelangen.1

Menschliche Handlungen sind sittliche Handlungen, weil sie das Gutsein oder die Schlechtigkeit des jene Handlungen vollziehenden Menschen selbst ausdrücken und über sie entscheiden.2 Sie rufen nicht nur Veränderungen in dem Menschen äußerlichen Sachverhalten hervor, sondern als freie Wahlakte qualifizieren sie in sittlicher Hinsicht die Person selbst, die sie vollzieht, und bestimmen ihr geistiges Tiefenprofil, wie der hl. Gregor von Nyssa eindrucksvoll feststellt: "Alle dem Werden unterworfenen Wesen bleiben niemals sich selbst identisch, sondern gehen durch eine dauernd wirkende Veränderung zum Guten oder zum Schlechten ständig von einem Zustand in einen anderen über ... Der Veränderung unterworfen sein, heißt also unablässig geboren werden ... Aber die Geburt erfolgt hier nicht durch einen äußeren Eingriff, wie es bei den leiblichen Wesen der Fall ist ... Sie ist das Ergebnis freier Wahl, und so sind wir gewissermaßen unsere eigenen Erzeuger, indem wir uns so erschaffen, wie wir wollen, und uns mit unserer Wahl die Gestalt geben, die wir wollen".3

72. Die Sittlichkeit der Handlungen bestimmt sich aufgrund der Beziehung der Freiheit des Menschen zum wahrhaft Guten. Dieses Gute ist als ewiges Gesetz durch Gottes Weisheit begründet, die jedes Wesen auf sein Endziel hinordnet: Erkannt wird dieses ewige Gesetz sowohl durch die natürliche Vernunft des Menschen (so heißt es "Naturgesetz") als auch - in vollumfänglicher und vollkommener Weise - durch die übernatürliche Offenbarung Gottes (dann nennt man es "göttliches Gesetz"). Das Handeln ist sittlich gut, wenn die der Freiheit entspringenden Wahlakte mit dem wahren Gut des Menschen übereinstimmen und damit Ausdruck der willentlichen Hinordnung der Person auf ihr letztes Ziel, also Gott selber, sind: Das höchste Gut, in dem der Mensch sein volles und vollkommenes Glück findet. Die Eingangsfrage in dem Gespräch des jungen Mannes mit Jesus: "Was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?" (Mt 19,16), verdeutlicht in direkter Weise den wesenhaften Zusammenhang zwischen dem sittlichen Wert einer Handlung und dem letzten Ziel des Menschen. Jesus bestätigt in seiner Antwort die Überzeugung seines Gesprächspartners: Das Tun des Guten, wie es von dem geboten ist, der "allein der Gute" ist, stellt die unerläßliche Voraussetzung und den Weg zur ewigen Seligkeit dar: "Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote" (Mt 19,17). Die Antwort Jesu und der Hinweis auf die Gebote machen auch offenkundig, daß der Weg zum Ziel von der Befolgung der göttlichen Gesetze, die das menschliche Wohl schützen, vorgezeichnet wird. Nur eine Handlung, die dem Guten entspricht, kann Weg zum Leben sein. (Fs)

Die vernunftgeleitete Hinordnung der menschlichen Handlungen auf das wahrhaft Gute und das willentliche Streben nach diesem Gut machen die Sittlichkeit aus. Das menschliche Handeln kann also nicht allein deshalb als sittlich gut bewertet werden, weil es dazu dienlich ist, dieses oder jenes verfolgte Ziel zu erreichen, oder einfach weil die Absicht des Handelnden gut ist.4 Das menschliche Handeln ist dann sittlich gut, wenn es die willentliche Hinordnung der menschlichen Person auf das letzte Ziel und die Übereinstimmung der konkreten Handlung mit dem wahren menschlichen Gut, wie es von der Vernunft in seiner Wahrheit erkannt wird, bestätigt und zum Ausdruck bringt. Wenn der Gegenstand der konkreten Handlung nicht mit dem wahren Gut der Person in Einklang steht, macht die Wahl dieser Handlung unseren Willen und uns selber sittlich schlecht und setzt uns damit in Gegensatz zu unserem letzten Ziel, dem höchsten Gut, das heißt Gott selber. (Fs)

73. Dank der Offenbarung Gottes und des Glaubens weiß der Christ um das "Neue", von dem die Sittlichkeit seiner Taten gekennzeichnet ist; diesen kommt es zu, bestehender oder nicht bestehender konsequenter Übereinstimmung mit jener Würde und Berufung Ausdruck zu geben, die ihm durch Gnade geschenkt worden sind: In Jesus Christus und seinem Geist ist der Christ eine "neue Schöpfung", Kind Gottes, und durch seine Handlungen bekundet er seine Übereinstimmung mit oder seine Abweichung von dem Bild des Sohnes, der der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist (vgl. Röm 8,29), lebt er seine Treue oder Untreue gegenüber dem Geschenk des Geistes und öffnet oder verschließt er sich dem ewigen Leben, der Gemeinschaft von Schau, Liebe und Seligkeit mit Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist.5 Christus "gestaltet uns so nach seinem Bild - schreibt der hl. Kyrillos von Alexandrien -, daß durch die Heiligung und die Gerechtigkeit und das gute und tugendmäßige Leben die Züge seiner göttlichen Natur in uns zum Leuchten kommen... Die Schönheit dieses Bildes erstrahlt in uns, die wir in Christus sind, wenn wir uns in den Werken als gute Menschen erweisen".6

In diesem Sinne besitzt das sittliche Leben einen wesenhaft "teleologischen" Charakter, weil es in der freien und bewußten Hinordnung des menschlichen Handelns auf Gott, das höchste Gut und letzte Ziel (telos) des Menschen, besteht. Das bestätigt wiederum die Frage des jungen Mannes an Jesus: "Was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?" Aber diese Hinordnung auf das letzte Ziel bewegt sich nicht in einer bloß subjektivistischen Dimension, die nur von der Absicht abhinge. Sie setzt voraus, daß diesen Handlungsweisen von sich aus die Eigenschaft zukommt, auf dieses Ziel hingeordnet werden zu können, weil sie nämlich dem durch die Gebote geschützten wahren sittlichen Gut des Menschen entsprechen. Genau das spricht Jesus in der Antwort an den reichen Jüngling an: "Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote!" (Mt 19,17). (Fs)

Offensichtlich geht es um eine vernunftgeleitete und freie, bewußte und überlegte Hinordnung, kraft welcher der Mensch für seine Handlungen "verantwortlich" und dem Urteil Gottes unterworfen ist, des gerechten und guten Richters, der das Gute belohnt und das Böse bestraft, wie der Apostel Paulus ausführt: "Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat" (2 Kor 5,10). (Fs)

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