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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Vaikanum 2 - Traditionsbruch?; Ratzinger (Erfahrung als Professor);

Kurzinhalt: Ich habe als Professor selbst erlebt, wie der gleiche Bischof, der vor dem Konzil einen untadeligen Professor wegen seiner etwas groben Ausdrucksweise abgelehnt hatte, sich nach dem Konzil nicht imstande sah, einen anderen Professor abzulehnen, ...

Textausschnitt: 187c In diesen Feststellungen sind bereits wesentliche Aussagen bezüglich der Interpretation eines jeden, auch des 2. Vatikanischen Konzils, enthalten. Kardinal Ratzinger hat seinerzeit vor den chilenischen Bischöfen zu diesem Problem die folgenden, mit dem oben Gesagten innerlich kohärenten Sätze geäußert: (Fs)

188a "Es gibt eine unerleuchtete Isolierung des Zweiten Vatikanums... Manche Darstellungen erweckten den Eindruck, als ob nach dem Vatikanum II alles anders geworden sei und alles Vorherige gar nicht mehr oder nur noch im Lichte des Vatikanums II gelten könne. Das Zweite Vatikanum wird nicht als ein Teil der lebendigen Gesamttradition der Kirche behandelt, sondern geradezu als das Ende der Tradition und als ein völlig neuer Beginn. Obgleich es selbst kein Dogma erlassen hat und sich bescheidener im Rang als pastorales Konzil verstanden wissen wollte, stellen es manche so dar, als sei es gleichsam das Superdogma, das alles andere unwichtig mache. Dieser Eindruck wird vor allem durch Vorgänge im praktischen Bereich verstärkt. Was vorher das Heiligste war - die überlieferte Form der Liturgie - erscheint plötzlich als das Verbotenste und das einzig sicher Abzulehnende. Kritik an modernen Maßnahmen der Nachkonzilszeit wird nicht geduldet, wo aber die alten großen Wahrheiten des Glaubens im Spiele stehen, etwa die leibliche Jungfräulichkeit Marias, die leibliche Auferstehung Jesu, die Unsterblichkeit der Seele usw., erfolgen Reaktionen überhaupt nicht oder nur höchst gedämpft. Ich habe als Professor selbst erlebt, wie der gleiche Bischof, der vor dem Konzil einen untadeligen Professor wegen seiner etwas groben Ausdrucksweise abgelehnt hatte, sich nach dem Konzil nicht imstande sah, einen anderen Professor abzulehnen, der offen einige Grundwahrheiten des Glaubens leugnete. All dies bringt Menschen zu der Frage, ob denn die Kirche von heute eigentlich noch dieselbe Kirche sei wie die Kirche von gestern, oder ob man ihnen nicht, ohne sie zu fragen, eine andere untergeschoben habe. Wir können das Vatikanum II nur dann wirklich glaubhaft machen, wenn wir es ganz deutlich als das darstellen, was es ist: ein Stück der ganzen und einen Tradition der Kirche und ihres Glaubens." (notabene)

Soweit die Ausführungen Ratzingers. Diesen kann nur entsprochen werden, wenn die Dekrete des 2. Vatikanums nicht isoliert, sondern im Lichte der gesamten Tradition interpretiert werden. Dies war oftmals nicht so selbstverständlich, wie es hätte sein müssen. Es war in der Tat in den Nachkonzilsjahren modern, die Kirche mit einer Baustelle zu vergleichen, auf der Abbruch und Neu- bzw. Umbau erfolgte. Sehr häufig wurde in Predigten der Befehl Gottes an Abraham in Genesis 12 - "Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde ..." - als Aufforderung an die Kirche zum Verlassen ihrer Vergangenheit und ihrer Überlieferung interpretiert. Man sprach enthusiastisch vom Ablegen des Schiffes Petri und seiner Fahrt zu neuen Ufern. Aufbruch nach dem Unbekannten, Fernen, Neuen wurde gepredigt - und Tradition wurde zum Schimpfwort. Demgegenüber ist mit allem Nachdruck festzustellen, daß eine Interpretation des 2. Vatikanums im Widerspruch zur Tradition dem Wesen von katholischem Glauben, Kirche und Konzil widersprechen würde. Die Tradition, nicht der Zeitgeist ist das konstitutive Element des Interpretationshorizonts. (Fs)

189a Gewiß darf der Blick auf das Heute keinesfalls fehlen. Es sind die Fragen von heute, die beantwortet werden müssen. Aber die Elemente, aus denen diese Antwort besteht, können nirgendwo anders herkommen als aus der ein für allemal gegebenen göttlichen Offenbarung, die uns die Kirche unverfälscht durch die Jahrhunderte überliefert. Diese Überlieferung stellt dann auch das Kriterium dar, dem eine jede neue Antwort standhalten muß, wenn sie wahr und gültig sein soll. (Fs) (notabene)
189b Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die so beliebte Unterscheidung von "vorkonziliar" und "nachkonziliar" als theologisch wie historisch höchst fragwürdig. Ein Konzil ist niemals Endpunkt oder Ausgangspunkt, nach denen die Kirchengeschichte oder gar die Heilsgeschichte eingeteilt werden könnte. Ein Konzil ist Glied in einer Kette, deren Ende niemand kennt als der Herr der Kirche und der Geschichte. Es kann niemals Bruch herbeiführen, es muß in der geistgewirkten Kontinuität bleiben. (Fs)

Weder Anfang noch Schlußpunkt

189c Kontinuität hat nun freilich auch etwas mit Fortsetzung zu tun. Gibt es also ein 3. Vatikanum? Es verwundert nicht, wenn manche sogar eine solche Forderung erheben - und sie wird von den widersprüchlichsten Kräften erhoben. Meinen die einen, es müßte jetzt ein neues Konzil kommen, das endlich die Schranken zur Welt von heute niederreißt, die Demokratisierung der Kirche durchführt, denen, die nach einer gescheiterten Ehe eine neue Verbindung eingegangen sind, den Zugang zu den Sakramenten, den Frauen den Weg zum Priestertum und den Priestern den Weg zur Ehe eröffnet, und die Wiedervereinigung der getrennten Christen bringt, so meinen die anderen, der Wirrwarr und die Krise der aufgeregten Nachkonzilszeit bedürften dringend der ordnenden und lenkenden Hand eines 3.Vatikanums. (Fs)

190a Eines ist gewiß: auch dieses 3. Vatikanum, 1. Nairobinum oder gar 1. Moscovitanum, es stünde wiederum im Strom der Tradition, es wäre nur ein weiteres Glied dieser ehrwürdigen Reihe. Vielleicht hat sogar das 2. Vatikanum selbst, indem es sich als ein pastorales Konzil verstand und auf Definitionen wie auf Lehrurteile verzichtete, den Weg zu einem künftigen Konzil gewiesen, das gerade die Klärung wesentlicher und die Fundamente des Glaubens berührender Fragen der Lehre als seine Aufgabe erkennt? Wirft nicht der Zusammenbruch der sozialistischen Ideologien und Utopien, die fast hundert Jahre lang die Geister und die Völker gefesselt hatten, Fragen auf, die die Menschen in der Tiefe ihres Wesens bedrängen, von deren Lösung auch das irdische Schicksal einer immer enger zusammenwachsenden Welt abhängt? Und: Wer kann diese Fragen beantworten, wenn nicht die Kirche, durch deren Mund der erhöhte Christus zur Menschheit spricht?

190b Das 2. Vatikanum war jedenfalls weder der Anfang noch ist es der Schlußpunkt der Konziliengeschichte, und noch immer stehen wir vor der Aufgabe, es zu verwirklichen, ehe wir von Zukunft sprechen. (Fs)

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