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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Französische Revolution - Kirche, Neuanfang; Napoleon - Pius VI., VII.; gallikanische Kirche - Hinwendung zu Rom; Geschichte - Gnade; Konkordat

Kurzinhalt: Gottes Gnade und ihre Spuren entziehen sich dem Blick des kritischen Historikers, der sich auf nachprüfbare Quellenbelege bzw. Zeugnisse angewiesen weiß, wenn er der Strenge der Methode entsprechen will. Dennoch wird man nicht übersehen dürfen, ...

Textausschnitt: 156a Diesen Prozeß einer katholischen Wiederbelebung, der hier nur in einer groben Skizze vorgestellt werden konnte, gilt es nun zu analysieren. (Fs)

Bei einem solchen Versuch stellen wir zunächst zweierlei fest: Es sind durchwegs Rückgriffe auf die spirituelle Tradition der Vorrevolutionszeit, die unternommen werden. Es gibt kaum neue, inhaltliche Akzente in der Frömmigkeit, man schöpft aus den immer noch lebendigen Quellen des Grand siecle, aus den Quellen von Paray-le-Monial, von Saint-Sulpice, Saint-Lazaire etc. Aus ihnen war auch die Kraft geströmt, die zum Widerstand gegen Aufklärung und Revolution befähigt hatte. Neu und überaus fruchtbringend war allerdings die ultramontane Orientierung, die nahezu allen, selbst den legitimistisch geprägten Gruppen und Initiativen dieses Neubeginns eignete. Es war - wider all seinen Willen - Napoleon gewesen, der durch die brutale Behandlung, die er Pius VI. und Pius VII. angedeihen ließ, durch den Raub des Kirchenstaates, die Verschleppung der beiden Päpste nach Valence bzw. Fontainebleau auf einmal die Blicke der Gläubigen der bis dahin eher locker mit Rom verbundenen, selbstbewußten gallikanischen Kirche wieder auf den Papst als das sichtbare Zentrum und Fundament von Glaube und Kirche richtete. Daß die beiden Pius-Päpste sich trotz ihrer irdischen Ohnmacht dem rücksichtslosen Usurpator und Tyrannen mit unerschütterlichem Mut widersetzt hatten, hat ihnen die Bewunderung Europas eingebracht. Die Reise Pius' VII. zur Krönung Napoleons wurde trotz dessen bewußter Schikanen zu einem Triumphzug des Papstes, dem auf seinem Kreuzweg Wogen der frommen Begeisterung entgegenschlugen. Die für das 19. Jahrhundert so typische Liebe und Anhänglichkeit der Katholiken, insbesondere der französischen, gegenüber dem Nachfolger Petri hat in dem Erlebnis dieser Papstreise eine ihrer tieferen Wurzeln. Hinzu kommt der geschichtsträchtige Abschluß der Konkordats, als dessen Partner Napoleon nun gerade nicht den französischen Episkopat, den es als homogenes Corpus gar nicht mehr gab, sondern den Papst gewählt hatte. In dieser Hinwendung der ehemals so betont gallikanischen "ältesten Tochter der Kirche" nach Rom erkennen wir einen wesentlichen Faktor für die Rechristianisierung Frankreichs. (Fs)

157a Ein ebenso wichtiger Faktor war das schon mehrfach erwähnte Konkordat Napoleons mit dem Heiligen Stuhl auch hinsichtlich seines Inhalts. Nur eine spiritualistische Ausdünnung des Kirchenbegriffs könnte zur Geringschätzung eines Konkordats fuhren. Mögen funktionierende Bistums- und Pfarrverwaltungen auch kein Ersatz für Glaube, Hoffnung und Liebe sein, so sind sie doch wichtige Voraussetzungen für eine geordnete Verkündigung und Sakramentenspendung. Erst ihr Zusammenbruch macht oftmals ihre Bedeutung offenkundig. So wäre der religiöse Wiederaufbau ohne die "Konkordatskirche" kaum denkbar gewesen. Keinesfalls darf dabei auch das religiöse Erwachen des intellektuellen, literarischen Frankreichs vergessen werden. Was die Millionenauflagen religiös-apologetischen Schrifttums an aufbauender Wirkung erzielten, läßt sich allenfalls mit den geistigen Zusammenbrüchen vergleichen, die zuvor die aufklärerisch revolutionäre Publizistik zu bewirken vermocht hatte. In höchstem Grade bemerkenswert ist jedoch die geradezu explosionsartige Ausbreitung wiederbelebter oder neu gegründeter apostolischer Ordensgemeinschaften. Das bedeutet nicht weniger, als daß tausende von jungen Leuten sich zu einem Leben nach strengen aszetischen Grundsätzen entschlossen, was nicht ohne entsprechende religiöse Impulse möglich war. Was dabei besonders erstaunlich ist, ist, daß darunter eine Reihe von Gemeinschaften war, die sich ungeachtet der religiösen Situation der eigenen Heimat Frankreich sogleich der Heidenmission zuwandten. Wenn es je ein untrügliches Zeichen für die geistig-religiöse Vitalität der Kirche gibt, dann ist es der missionarische Elan. (Fs)

Nun drängt sich allerdings eine Frage auf, deren Beantwortung den Kirchenhistoriker zu einer wahren methodischen Gratwanderung zwingt, bei der die Gefahr des Absturzes nach der einen wie der anderen Seite gleich groß und allgegenwärtig ist: Es geht um die Frage nach den Ursachen dieses katholischen Wiedererwachens im nachrevolutionären Frankreich. Allzu schnell könnte der gläubige Theologe mit einer griffigen und dazu noch durch ihre Herkunft von Tertullian ehrwürdigen Formel zur Hand sein: "Sanguis martyrum semen christianorum" - das Blut der Märtyrer ist der Same für neue Christen. So einfach dürfen wir es uns aber nicht machen: Gottes Gnade und ihre Spuren entziehen sich dem Blick des kritischen Historikers, der sich auf nachprüfbare Quellenbelege bzw. Zeugnisse angewiesen weiß, wenn er der Strenge der Methode entsprechen will. Dennoch wird man nicht übersehen dürfen, daß das tausendfache todesmutige Glaubenszeugnis, das die Opfer der Revolution vor der breitesten Öffentlichkeit abgelegt haben, nicht ohne Eindruck auf die Zeitgenossen bleiben konnte, sofern sie nicht vollkommen verroht und abgestumpft waren. Viele, die solche Martyrien erlebt hatten, dürften die Ereignisse, deren Zeugen sie waren, ihr Leben lang nicht vergessen haben. Und: Erinnerungen entfalten oftmals ihre eigene Dynamik in der Seele. Weiterhin gilt: der Elan, der so viele der Franzosen zum religiösen Widerstand gedrängt und in der papsttreuen Untergrundkirche überdauert und letztendlich gesiegt hatte, vermochte sich nun unter den Bedingungen des Konkordats und während der Restauration in stets wachsendem Maße zu entfalten. Auch hier zeitigte das Beispiel heroischer Treue so vieler Priester und Katholiken jeden Alters, Geschlechts und Standes seine Wirkungen. (Fs)

158a In ähnlicher Weise stellt sich die Frage nach den Motiven, die den Ersten Konsul zur religiösen Befriedung Frankreichs bewogen. Meinen die einen, Napoleon sei nicht so areligiös gewesen, wie man allgemein annimmt, sondern habe sich durchaus von rudimentären religiösen Empfindungen leiten lassen, so sprechen die anderen doch von kühlen und nüchternen Erwägungen der Staatsräson, die den Ausschlag gegeben hätten. Letztere wären in jedem Fall nachvollziehbar und auch durch entsprechende Äußerungen Napoleons zu belegen. Wie es aber dazu kommt, daß solche Überlegungen überhaupt angestellt werden, wie es dazu kommt, daß gutes Beispiel - sei es der Märtyrer, sei es der Bekenner - wirklich zündet, das sind Fragen, auf die zu antworten dem Historiker die methodische Ehrlichkeit verbietet. Eines ist dabei gewiß: soziologische, psychologische, kulturmorphologische oder politisch-ökonomische Kategorien reichen für die Erklärung solcher historischer Entwicklungen auch nicht aus. Der Gläubige, der weiß, daß nichts Gutes ohne die Gnade Gottes möglich ist, und der auch weiß, daß Gottes Gnade durch Gebet und Opfer erfleht, ja verdient werden kann, wird nicht leicht umhin kommen, in all dem religiösen Neubeginn im nachrevolutionären Frankreich die Frucht jener Tränensaat zu erkennen, die zwischen 1789 und 1800 in die durch die Revolution aufgebrochenen Furchen gefallen war. (Fs) (notabene)

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