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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Barock - geistesgeschichtliche Bestimmung; Konzil von Trient; Erbsünde; Natur - Sünde (Reformation - Kirche)


Kurzinhalt: "... Natur ist nicht schlechthin Sünde. Affekte können auch für sittliche Ideale eingesetzt werden. Hier liegt die Wurzel für die große katholische Kulturleistung des Barock" (H. Tüchle).

Textausschnitt: 130a Mit diesem Titel statt eines Buches einen Aufsatz zu überschreiben, mag vermessen erscheinen. Zu offenkundig ist doch die Vielschichtigkeit dessen, was man unter dem Begriff "Barock" zusammenfaßt. Nicht nur zeigen alle Lebensbereiche, alle Künste und Wissenschaften ihr epochenspezifisches Gesicht - durchmißt man den geographischen Rahmen, in dem sich barockes Leben entfaltet hat, von Moskau bis Mexiko und von Sizilien bis nach Skandinavien, so ergeben sich zudem nicht nur regional verschiedene Periodisierungen, sondern auch geographisch und damit auch konfessionell eigenständige Ausprägungen des Barock. All das verdiente natürlich eine differenzierte dementsprechend breite und eindringende Darstellung, die freilich nicht in einem Aufsatz geleistet werden kann. Daß Wilhelm Hausenstein recht hat, wenn er meint: "Mit einem Wort zu sagen, was Barock sei, ist ebenso verlockend wie unmöglich", steht außer Zweifel. Dieser Beitrag beabsichtigt dies auch keineswegs, er soll vielmehr dem Versuch dienen, an einem Ausschnitt aus dem gesamten Phänomen "Barock" die These zu verifizieren, daß die Quelle der barocken Kultur vorzüglich in der spannungsreichen Harmonie von Sinnenhaftigkeit und Rationalität im Lebensgefühl des Barock zu suchen sei. Daß dies vorwiegend vom Standpunkt des Kirchenhistorikers aus geschieht, ist wohl ebenso berechtigt wie die Feststellung: "Die ganze, bunte, tausendfältige Welt des Barock wird ... übergriffen von einem Denken, das nach der Theologie hin ausgerichtet ist, wird durchschaudert von einer Geistigkeit, die ihr Maß von den Letzten Dingen nimmt" (Benno Hubensteiner). (Fs)

Wurzeln im Konzil von Trient

131a Die Wurzeln hierfür sind in jenen beiden Dekreten des Konzils von Trient zu suchen, die eine christliche Rehabilitierung der Schöpfung, der Natur und damit auch der Sinne und ihrer Welt inaugurierten: dem Dekret über die Erbsünde und über die Rechtfertigung, die beide in der ersten Sitzungsperiode des Tridentinums, am 17. Juni 1546 und am 13. Januar 1547 verkündet wurden. In beiden Dekreten antwortete die aus der lähmenden Ohnmacht der ersten Reformationsjahrzehnte erwachte Kirche auf den Pessimismus der Reformation, die die Verderbnis der menschlichen Natur als Folge der Erbsünde scharf herausgestellt hatte. Daß damit auch - und das in der Zuspitzung eines augustinischen Ansatzes - eine negative theologische Einschätzung der Sinne des Menschen und ihrer Funktion verbunden war, zeigen die bekannten Erscheinungsformen des Calvinismus und des Puritanismus zur Genüge. Hinzu kam, daß die exklusive Betonung des rettenden Wortes Gottes jenen bilderstürmerischen Intellektualismus förderte, dem nicht nur die Fülle liturgischer Formen und volksfrommen Brauchtums, sondern auch die bildende Kunst und ihre Werke im Kirchenraum zum Opfer fielen. Genau dies läßt schon Schiller seinen Mortimer in "Maria Stuart" sagen: "Ich hatte nie der Künste Macht gefühlt: Es haßt die Kirche, die mich auferzog, der Sinne Reiz, kein Abbild |duldet sie, allein das körperlose Wort verehrend." (Fs)

132a Dieser pessimistischen Auffassung der Reformatoren stellte nun das Konzil in den erwähnten Dekreten die genuine katholische Lehre gegenüber. Schon in den Debatten um die Erbsünde und um die theologische Natur der "Concupiscentia" waren Auffassungen zutage getreten, die diese im Gegensatz zu Calvin noch mehr als zu Luther keineswegs als Sünde bzw. sündhaft bezeichnen wollten. So betonte etwa der Bischof der Canarischen Inseln, die "Concupiscentia" sei nicht Sünde, da nichts zur menschlichen Natur Gehöriges Sünde sein könne. Dabei ist weniger die Behauptung selbst für uns interessant als die dafür angeführte Begründung, die die Nicht-Sündhaftigkeit der menschlichen Natur scharf herausstellt. Diese negative Aussage ist schließlich in die positive Lehre des Konzils eingegangen, daß durch Rechtfertigung und Taufe aus dem Menschen weggenommen und getilgt werde "totum id, quod veram et propriam peccati rationem habet" - all das, was im eigentlichen Sinne Sünde ist. (Fs)

132b Ein weiterer Akzent wird durch die ebenfalls gegen die reformatorische Position gerichtete Betonung der Notwendigkeit menschlichen Mitwirkens zum Prozeß der Rechtfertigung gesetzt. "Für das sittliche Leben des einzelnen war es doch von weittragender Bedeutung, daß mit der Klarstellung der Rechtfertigungslehre der menschliche Wille nicht als vollkommen unfrei erklärt und die Rechtfertigung nicht ausschließlich als Gnade dargestellt wurde. Dabei erhielt und behielt die Gnade ihren Wert und ihre Würde als zuvorkommende und heiligmachende Gnade, durch die der Mensch aus seiner Passivität herauszutreten und gute Werke zu wirken vermag. Und wenn man in der Erbsündenlehre die Anschauung zurückgewiesen hatte, daß die Erbsünde der Hang zum Bösen sei, so hatte man damit eine generelle Verurteilung der Neigungen und Strebungen des Menschenherzens, die nach dem Calvinismus ausgerottet werden sollten, vermieden. Natur ist nicht schlechthin Sünde. Affekte können auch für sittliche Ideale eingesetzt werden. Hier liegt die Wurzel für die große katholische Kulturleistung des Barock" (H. Tüchle). (Fs)

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