Datenbank/Lektüre


Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Konzil von Trient, Wunder (Jedin); im Strom der Überlieferung; Qualität der Texte; Verfahren des Konzils

Kurzinhalt: Trient hat hier konziliares Neuland betreten und ein Lehrdekret hervorgebracht, von dem der bedeutende protestantische Theologe der Jahrhundertwende, Adolf von Harnack, gesagt hat, ..

Textausschnitt: 121a Den Hintergrund, vor dem das historische Profil des Konzils von Trient (1545-1563) sich abzeichnet, bildet die Erfahrung, die die Kirche mit den vorausgegangenen Konzilien von Basel (1431-1437), Ferrara-Florenz (1438-1439) und dem nur dreißig Jahre zurückliegenden 5. Laterankonzil (1511-1517) gemacht hatte. Auf allen diesen Konzilien war die episkopale und petrinisch-primatiale Struktur der Kirche in Frage gestanden, wenn sie nicht gar das eigentliche Thema war. (Fs)

Schließlich war zu Florenz die erste eingehendere konziliare Definition des römischen Primats gelungen, und das 5. Lateranense hatte die konziliaristische Opposition gegen den Primat gesetzgeberisch wie politisch überwunden. Das Papsttum stand unter Julius II. (1503-1513) und Leo X. (1513-1521) als Sieger über den Konziliarismus da - ehe es im gleichen Jahr, da das Konzil schloß, durch den Protest des Mönches von Wittenberg in einer Weise und in einem Grade zur "Petra scandali" gemacht wurde, wie dies niemals, nicht einmal auf dem Höhepunkt der konziliaristischen Krise, der Fall gewesen war. (Fs)

In diesem zeitlichen wie sachlichen Zusammenhang erblickte auch der Kaiser, es war Karl V. (1519-1558), in einem neuerlichen Konzil das Heilmittel, mit dem dem Massenabfall von der Kirche sowie deren Zerstörung durch Glaubensunsicherheit, religiös-sittliche Zerrüttung und Spaltung zu begegnen war. Luther selbst rief nach einem Konzil, einem Konzil freilich, das er "gemein, frei und christlich" nannte und das in "deutschen Landen" abzuhalten sei. Damit meinte er, daß dieses Konzil frei von päpstlichem Einfluß sein, Laien, insbesondere die Fürsten, stimmberechtigte Mitglieder sein sollten und die Bibel allein als Entscheidungsgrundlage habe. (Fs)

122a Mit dieser im Sinne Luthers gewiß konsequenten Forderung war die einstige Idee von der Oberhoheit des Konzils über den Papst um vieles übertroffen. Ein solches Konzil war allerdings nach dem Glauben der Kirche völlig unannehmbar. Dieser Herausforderung mußte das bevorstehende Konzil begegnen, von ihr wurde auch seine Physiognomie mitgeprägt. Es stellte sich nicht theoretisch, wohl aber praktisch die Frage des rechten Zusammenspiels zwischen Papst, Konzil und Kaiser. (Fs)

122b Man sagt immer wieder, es sei die Furcht Roms vor einem Wiederaufleben des Konziliarismus gewesen, die Clemens VII. (1523-1534) und seine Nachfolger gehindert habe, der Konzilsforderung Karls V. anders denn höchst zögerlich und am Ende eher gezwungen zu entsprechen. Dies mag für Clemens VII. zutreffen. Indes muß historische Ehrlichkeit einräumen, daß es dann unter Paul III. (1534-1549) die politischen Umstände waren, insbesondere der französisch-habs-burgische Konflikt, die die Konzilsberufung mehrmals scheitern ließen. Erst der Friedensschluß Karls V. mit Franz I. von Frankreich (1515-1547) zu Crepy 1544 öffnete die Wege, die schließlich nach Trient führten. (Fs)
Im Strom der Überlieferung

122c Das Tridentinum reiht sich ein in den Strom der konziliaren Tradition. Kein Konzil, auch nicht das 2. Vatikanum, kann ebenso formal, hinsichtlich seiner Prozedur, wie was den Inhalt seiner Entscheidungen betrifft, einen völligen Neubeginn, einen Start vom Punkte 0 darstellen. (Fs)

Es genügt zu prüfen, welche Quellen von den Dekreten zitiert werden. Aus dieser Untersuchung ergibt sich nicht nur, in welchem Maße die früheren Konzilien nachgewirkt haben, es zeigt sich dabei auch die Ernsthaftigkeit des Bemühens der Väter von Trient, die eigenen Aussagen auf die authentische Tradition der Kirche zu gründen. (Fs)

Es sind die Allgemeinen Konzilien von Nicaea (I und II, 325 und 787) und (Chalkedon, 451) - aus der Antike -, die Laterankonzilien mit Ausnahme des ersten, Lyon II (1274), Vienne (1311/12) und Florenz, die genannt werden. In der Häufigkeit, mit der seine Texte herangezogen werden, übertrifft jedoch das 4. Lateranense (1215) Innozenz' III. alle übrigen. Die Väter des Tridentinums stützten sich in erstaunlichem Maße auf die Reformbestimmungen eines Konzils, das 350 Jahre zurücklag, und initiierten damit eine Reformbewegung, die in der Kirchengeschichte ihresgleichen sucht! Bezeichnend auch der Begriff von Reform, der aus einem solchen Vorgehen sichtbar wird. (Fs)

123a Daß im Zusammenhang mit der Fegfeuerlehre das Florentinum zitiert wird, und bezüglich des biblischen Kanons die Unionsbulle für die Kopten, kann nicht überraschen. Ebenso selbstverständlich, daß man für die Sakramentenlehre auf das Unionsdekret für die Armenier rekurriert. Erstaunlich ist es jedoch, daß selbst das so umstrittene Konzil von Konstanz (1414-1418) zu Wort kommt und damit höchste Bestätigung seiner Legitimität durch das Tridentinum erfährt. Es ist die Verurteilung der Notwendigkeit der Kommunion unter beiderlei Gestalt - "sub utraque" - und die Zurückweisung des Wiclifschen Irrtums, der die Wirksamkeit der Sakramente von der Würdigkeit des Spenders abhängig machen wollte, wofür man sich auf Konstanzer Dekrete berief. (Fs)

Auf diese Weise haben die Trienter Väter stillschweigend eine Aussage von großem konziliengeschichtlichen Gewicht gemacht. Natürlich wurden auch mehrere partikulare Konzilien - etwa Toledo III (527) und XI (675), Orange (441), Carthago II (416) und IV (424), Braga II (572) - zitiert. Nicht aber fand Basel Eingang in die Texte von Trient. All diese Beobachtungen zeigen, wie sehr den Vätern die gesamte konziliare Tradition der Kirche präsent war, als sie darangingen, dem dramatischen kirchlichen Zerfallsprozeß ihrer Gegenwart entgegenzutreten. (Fs)

In einem ganz zentralen Punkt seiner Arbeit sah das Konzil sich jedoch nicht in der Lage, eines der Vorgängerkonzilien zu zitieren. Einmal nur - und nur am Rande - wird das 2. Konzil von Orange (um 528) erwähnt. Es ist das Herzstück von Trient, das Dekret über die Rechtfertigung. Wohl war es die Neuheit des gestellten Problems, die es mit sich brachte, daß kein Konzil bisher darüber entschieden hatte. So sahen sich die Väter auf die Primärquelle aller Glaubenserkenntnis, auf die Heilige Schrift, verwiesen. Neben dem ausgiebig herangezogenen Neuen Testament sind es nur die Väter, und zwar häufig Augustinus, einmal auch Hieronymus und Tertullian, die zu Wort kommen. (Fs)

124a Trient hat hier konziliares Neuland betreten und ein Lehrdekret hervorgebracht, von dem der bedeutende protestantische Theologe der Jahrhundertwende, Adolf von Harnack, gesagt hat, es hätte die Reformation Luthers überflüssig gemacht, wäre es schon vom 5. Laterankonzil geschaffen worden. (Fs)

Die theologische Qualität der Texte

124b An dieser Stelle ist denn auch die theologische Qualität der Trienter Lehrdekrete im Vergleich mit früheren Konzilien zu würdigen. Konnten sich noch das 4. Lateranense (1215) und das Konzil von Vienne ganz unbefangen der scholastischen Terminologie bedienen, so hatte schon das Unionskonzil von Ferrara-Florenz in Argumentationsweise und Diktion auf die byzantinischen Gesprächspartner Rücksicht zu nehmen. Solche Rücksicht war es, die eine vermehrte Heranziehung der griechischen wie der lateinischen Väter notwendig gemacht hatte. Nun galt es in Trient, stets den Blick auf die reformatorischen Lehren zu richten, deren Vordringen das Konzil überhaupt erfordert hatte. So stützten sich die Väter in ganz besonderem Maße auf die Heilige Schrift, die ja die Protestanten als alleinige Glaubensquelle betrachteten. Dies gilt insbesondere für die Lehrdekrete. Selbstverständlich kam - vor allem in Gestalt der Konzilien - auch die authentische Überlieferung zu Wort. (Fs)
Darüber hinaus aber gelang es dem Konzil, eine Sprache zu finden, der bei hoher begrifflicher Präzision ein Klang eignete, der auch das fromme Empfinden der Leser zu berühren vermochte und erkennen ließ, daß es den Vätern um das Seelenheil der Gläubigen ging. Nicht zuletzt war es die zu hoher Blüte entfaltete humanistische Gelehrsamkeit zahlreicher Väter und Theologen gewesen, die durch die vermehrte Erschließung der patristischen Literatur eine solche Redeweise ermöglichte. (Fs)

Auch das Zustandekommen der Dekrete selbst vollzog sich zu Trient in einer Weise, die weder Antike noch Mittelalter gekannt hatten. Man kann heute mit großer Sicherheit sagen, daß gerade die großen Konzilien des Altertums keineswegs Versammlungen waren, aus deren Mitte in gemeinsamem Bemühen, in Rede und Gegenrede, die endgültigen Texte entstanden wären. In aller Regel war es Sache des Konzils, vorbereitete Texte durch Akklamation zu bestätigen und zu promulgieren. Diskutiert - kontrovers diskutiert - wurde, wenn das Konzil als Gerichtshof Streitsachen zu entscheiden hatte. In ähnlicher Weise verfuhren die Konzilien des Hoch- und Spätmittelalters, bis in Konstanz, Pavia-Siena (1423-1424) und Basel die weniger theologische als kanonistische Materie ein anderes Vorgehen verlangte. Ähnliches gilt von Ferrara-Florenz, wo der griechisch-lateinische Dialog zu führen war. (Fs)

Ein neues Verfahren

125a In Trient hingegen entstanden die Dekrete - sieht man von des Kardinallegaten Morone Parforceritt in der Schlußphase des Konzils einmal ab - aus dem gemeinsamen Ringen der Väter um die rechte Aussage. (Fs)

Besonders neu war hierbei das Verfahren, das vorsah, daß die jeweilige Materie erst in den Theologenkongregationen behandelt wurde. Dies geschah durch Vorträge der nicht stimmberechtigten Konzilstheologen vor den Vätern, die sich meist mit den Positionen der protestantischen Theologie befaßten. Sodann wurde über die von den Legaten vorgelegten Dekretentwürfe in der Generalkongregation abgestimmt, wobei die von den Vätern abgegebenen Voten durch Ad-hoc-Kommissionen in den Entwurf eingearbeitet wurden. Dieser Vorgang wiederholte sich so oft, wie es nötig war, um eine Mehrheit für den Entwurf zu finden. In der "Feierlichen Sitzung" wurden dann die fertigen Dekrete publiziert. Ein so intensives Verfahren bei der Meinungsfindung hatte es bisher auf keinem Konzil gegeben. Die Rolle der gelehrten Theologen darf dabei nicht unterschätzt werden, waren doch die Leuchten der zeitgenössischen Theologie in Trient versammelt. Auf diese Weise gewannen die Trienter Dekrete jenes geistige, geistliche und sprachliche Format, das noch immer Bewunderung verdient. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt