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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Martin Luther; Reformation und Überlieferung; Dekadenztheorie; Petrus - Fels


Kurzinhalt: Die nun zu beantwortende Frage heißt: Ist ein solcher kirchlicher Umsturz theologisch, das heißt vor Gottes Angesicht, vertretbar?

Textausschnitt: 113a Die nun zu beantwortende Frage heißt: Ist ein solcher kirchlicher Umsturz theologisch, das heißt vor Gottes Angesicht, vertretbar? Dabei sei betont, daß auch hier nicht über den persönlichen guten Glauben Luthers und seiner Gefolgschaft geurteilt werden soll, sondern über den objektiven Tatbestand. (Fs)

Zunächst wird als Argument für die Notwendigkeit bzw. Unausweichlichkeit der kirchlichen Revolution Luthers das Scheitern der kirchlichen Reformen des Spätmittelalters angesichts der großen Mißstände der damaligen Kirche angeführt. Dieses Scheitern sei wiederum durch einen grundsätzlichen Traditionalismus der Kirche verursacht worden, durch den "die zahlreichen Kritiker und Reformer der spätmittelalterlichen Kirche" gezwungen waren, "ihre Prinzipien nur immer wieder einer der zahlreichen Traditionen aus früheren Jahrhunderten des Mittelalters selbst zu entnehmen". Sie hätten sich darum gleichsam nur im Kreise gedreht und seien mit wenigen Ausnahmen nur innerhalb der Möglichkeiten derselben Kirche verbheben, die zu reinigen sie sich berufen fühlten. Dieser Traditionalismus habe den unmittelbaren, befreienden Rückgang auf den Ursprung und die Quellen der christlichen Religion versperrt und damit eine gründliche Erneuerung der Theologie, der Frömmigkeit und des kirchlichen Lebens unmöglich gemacht (G.A. Benrath). (Fs)

113b Dieses Argument wirft indes eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf, nämlich die Frage nach der Bedeutung von Tradition, griech. paradosis, für die Kirche. Kann, darf der Rahmen der "Möglichkeiten der Kirche", das heißt der Rahmen ihrer Glaubenslehre und ihrer hierarchisch-sakramentalen Verfassung, überhaupt jemals gesprengt werden? Ist nicht dieser Rahmen der Möglichkeiten der Kirche von Jesus Christus selbst festgelegt und damit menschlicher Verfügung entzogen? Paulus jedenfalls erblickt in der ungebrochenen Überlieferung die genuine Wesensverwirklichung der Kirche. Er drückt dies im ersten Korintherbrief (11,23) in klassischer Prägnanz aus: "Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe". (Fs)

113c Aus diesem Grunde kann er auch im Galaterbrief (1,6-9) schreiben: "Ich bin erstaunt, daß ihr ... euch einem anderen Evangelium zuwendet. Doch es gibt kein anderes Evangelium, es gibt nur einige Leute, die euch verwirren und die das Evangelium Christi verfälschen wollen. Wer euch aber ein anderes Evangelium verkündigt, als wir euch verkündigt haben, der sei verflucht, auch wenn wir selbst es wären oder ein Engel vom Himmel. Was ich gesagt habe, das sage ich noch einmal: Wer euch ein anderes Evangelium verkündigt, als ihr empfangen habt, der sei verflucht."
114a Jede Veränderung der empfangenen und überlieferten Botschaft ist darum ein Angriff auf deren Unversehrtheit, Veränderung ist Verdrehung, ist ausgeschlossen. Wer dies täte, wäre verflucht. Der Apostel ist selbst an das Evangelium gebunden, es ist seinem verfügenden Zugriff entzogen, es ist "eine unantastbare geheiligte Sache" (F. Mussner). (Fs)

114b Nun aber ist die Kirche selbst nicht bloß Organ der Verkündigung, sondern auch Inhalt des Evangeliums. Aus ihm erfahren wir, was Kirche sei. Das heißt, daß die Grundelemente nicht nur ihrer Lehre und ihres Auftrages, sondern auch die Grundelemente ihrer hierarchisch-sakramentalen Struktur im Neuen Testament enthalten sind. Damit sind auch sie "eine unantastbare geheiligte Sache". Indem nun die Kirche den Dienst ihrer kontinuierlichen Verkündigung leistet, ihre hierarchische Struktur ungebrochen bewahrt und sakramental handelt, macht sie für jede Generation der Menschheit den jeweils neuen unmittelbaren Anschluß an die heilsgeschichtlichen Ursprünge möglich und vermittelt so das Heil in Christus, bis er wiederkommt. Ein Bruch in dieser Kontinuität, die ihren hierarchisch-sakramentalen Ausdruck und zugleich ihr bewirkendes Instrument in der apostolischen Sukzession hat, würde einen Abbruch der Verbindung zu den Ursprüngen von Bethlehem und Golgotha bedeuten. Kirchlicher Umsturz, der die authentisch überlieferte Glaubenslehre, die überlieferte auf heiliger Weihe und Sendung beruhende Kirchenstruktur und die überlieferten Sakramente angreift, trifft also die von der Kirche empfangene und getreulich zu überliefernde Offenbarung Gottes in Jesus Christus. (Fs)
(notabene)

114c Noch viel tiefer und grundsätzlicher greift jedoch der nun zu behandelnde klassische reformatorische Einwurf, die Papstkirche sei in einem jahrhundertelangen Prozeß des Abfalls vom Evangelium zur Synagoge Satans, zur babylonischen Hure entartet. Erst Luthers Tat habe das Evangelium wieder auf den Leuchter gestellt. Diese sogenannte Dekadenztheorie hat seit den Magdeburger Zenturien des Matthias Flacius Illyricus die evangelische Kirchengeschichtsschreibung bestimmt: Kirchengeschichte des Mittelalters wurde und wird als Geschichte des Abfalls von der Wahrheit verstanden. (Fs) (notabene)

115a Nun freilich ist die kritische Frage zu stellen, ob ein solches Kirchengeschichtsverständnis dem Wort der Heiligen Schrift standhält. Diese aber sagt uns, daß die Kirche, auf Petrus als den Felsen gebaut, von keiner Macht dieser oder jener Welt überwunden werden könne. Der Matthäus-Text "Ich sage dir, du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen" muß wohl zusammen mit dem Gleichnis vom Hausbau gesehen werden, das Matthäus in seinem 7. Kapitel und Lukas im 6. Kapitel berichten. Der kluge Mann baut sein Haus nicht auf Sand, sondern auf Felsen, damit Wolkenbrüche und Stürme es nicht zum Einsturz bringen können. Auch Jesus baut seine Kirche auf Felsen, damit sie den Stürmen der menschlichen Geschichte und den Angriffen Satans standhalte, solange dieser Äon dauert. Dieses Standhalten ist allerdings nicht Verdienst von Menschen: Es ist die Anwesenheit Jesu durch seinen Geist, die den Bestand der Kirche bis zum Ende garantiert. Jesus überträgt den Aposteln seine Sendung und seinen Geist: "Gehet hin und lehret alle Völker" (Mk 16,15) - "wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" (Joh 20,21) - "ich will euch einen anderen Beistand senden, der euch in alle Wahrheit einführen wird" (Joh 15,13) - "siehe ich bin euch bis ans Ende der Zeit" (Mt 28,20). (Fs) (notabene)

115b Nun möchte man diese Worte da und dort ihres vollen Anspruches in etwa entkleiden, indem man sagt, Jesus habe dies nur ganz persönlich und unverwechselbar zu Petrus und den Zwölfen gesagt, und diese hätten jene Verheißungen mit ins Grab genommen. Jesus hat aber selber davon gesprochen, daß er bei seinen Jüngern bleiben werde bis ans Ende der Welt. Es ist auch unerheblich, ob diese Worte ipsissima verba Jesu sind oder ob sie auf Grund des Selbstverständnisses der Urgemeinde formuliert wurden: Sie sind Bestandteil des kanonischen Textes des Neuen Testaments und darum Wort Gottes. (Fs)

Aus diesen Texten geht doch wohl hervor, daß Jesus seine Kirche in ihrer konkreten geschichtlichen Gestalt zwar mehr oder weniger schwachen und auch sündhaften Menschen überantwortet hat, daß er aber durch sein Bleiben in ihrer Mitte durch den an Pfingsten gesandten Geist die Garantie dafür schafft, daß diese seine Kirche ihrer von ihm selbst übertragenen Sendung, das Evangelium zu verkünden und das Werk der Erlösung fortzuführen, in dem Maße treu bleibt, daß sie vom Morgen des Pfingsttages bis zur Parusie des Herrn mit sich selbst identisch bleibt. Auch wird im ersten Timotheusbrief (3,15) die Kirche des lebendigen Gottes nicht deshalb eine "Stütze und Grundfeste der Wahrheit" genannt, weil damit Instabilität und Hinfälligkeit von ihr ausgesagt werden sollten. Gewiß geschieht das Bleiben in der Wahrheit auf jene Weise, die Paulus im zweiten Korintherbrief beschreibt, wenn er von seinem eigenen Apostelamt sagt: "Diesen Schatz tragen wir freilich in irdenen Gefäßen. So soll die überreiche Fülle der Kraft nicht uns, sondern Gott zugeschrieben werden. Allenthalben sind wir bedrängt, doch nicht erdrückt, im Zweifel, aber nicht in Verzweiflung, verfolgt, aber nicht im Stich gelassen, niedergeworfen, aber nicht vernichtet. Allzeit tragen wir Jesu Sterben am Leibe herum, auf daß auch Jesu Leben an unserem Leibe sich offenbare. So werden wir ständig mitten im Leben um Jesu willen dem Tod ausgeliefert, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleische offenbar werde."

116a So wird auch die Kirche zwar ständig in der Geschichte "dem Tode ausgeliefert", dennoch wird immerdar an "ihrem sterblichen Fleische", das heißt an ihrer menschlichen Hinfälligkeit und Armseligkeit, das Leben Jesu offenbar. Das aber geschieht in Erfüllung jener Verheißungen, die der Herr seiner Kirche mit auf den Weg durch die Geschichte gegeben hat. (Fs)

116b Es ist wiederum erstaunlich und doch kohärent mit der Aussage des Galater-Kommentars von 1519, daß Luther selbst in seiner Antwort auf Prierias vom August 1518 nichts anderes lehrt, wenn er schreibt, mit dem Glauben, den die Römische Kirche bekennt, müsse der Glaube aller übereinstimmen. Er danke Christus, daß diese einzige Kirche auf Erden - nämlich die römische - den wahren Glauben so bewahrt habe, daß sie davon in keinem ihrer Dekrete je abgewichen sei und daß der Teufel es trotz allen Sumpfes der Laster nicht habe hindern können, daß in ihr, der Kirche von Rom, die Autorität der kanonischen biblischen Bücher, der Kirchenväter und ihrer Erklärer unversehrt erhalten geblieben und anerkannt worden sei. (Fs)

Im Zusammenhang mit der Interpretation der Kirchengeschichte als Prozeß des Abfalls vom Evangelium wird dann Luthers Tat weiterhin als "unmittelbarer befreiender Rückgriff auf den Ursprung und die Quellen der christlichen Religion" bezeichnet, der allein im Stande gewesen sei, diese in ursprünglicher Reinheit wieder herzustellen (Benrath). (Fs)

117a Ohne Zweifel ist dies ein faszinierender Gedanke. Die Vorstellung vom Staub und Schutt der Jahrhunderte, der die ursprüngliche Gestalt der Kirche überlagert, überdeckt und dadurch entstellt habe, ist eingängig. Plausibel auch die Folgerung, man müsse eben diesen Schutt wegräumen, um die ursprüngliche Gestalt der Kirche wiederzuentdecken. Nichts anderes habe Luther getan. (Fs)

Aber die Kirche, von der wir hier reden, ist nicht ein Bau des ersten Jahrhunderts, den es archäologisch zu erforschen und zu restaurieren gilt - der Vergleich stimmt nicht und damit auch nicht die daraus abgeleitete Folgerung. Wenn schon ein Bild gebraucht werden soll, dann jenes von der Heilung eines Kranken, die ja auch nicht darin bestehen kann, daß man die Zeit der Krankheit aus dem "Filmstreifen des Lebens" einfach herausschneidet und die beiden Enden wieder zusammenfügt. Vielmehr muß die Krankheit durch neue Lebenskräfte innerlich überwunden und so in neue Gesundheit hinübergeführt werden. (Fs)

117b Die Kirche ist nämlich nichts Totes, Museales, sondern eine durch die Geschichte hindurch lebendige und zwar durch Gottes Geist lebendige Gemeinschaft. Daß Jesus sie nach Johannes mit einem Weinstock und Paulus sie mit einem lebendigen Leibe vergleicht, gestattet, ja fordert die Anwendung der Kategorie des Organischen auf die Kirche. Lebendiges - und das gilt schon vom einfachsten organischen Leben - läßt sich aber niemals auf sein Anfangsstadium zurückbringen. Der Baum, in dessen Ästen und Zweigen die Vögel des Himmels wohnen, kann nicht mehr in das Senfkorn zurückverwandelt werden, aus dem er erwachsen ist. (Fs)

In analoger Weise ist es auch nicht möglich, zu irgendeinem Zeitpunkt der Kirchengeschichte den Beschluß zu fassen, alle seither durchlaufenen Entwicklungsstadien der Kirche nach rückwärts zu überspringen und neu anzufangen. Geschichte ist als Geschichte einer Einzelperson ebenso wie als Geschichte einer Gemeinschaft schlechthin irreversibel. Aus eben demselben Grund war auch eine zunächst faszinierende ökumenische Idee von vornherein zum Scheitern verurteilt, die Idee vom "Consensus quinquesaecularis". Bedeutende Ireniker der Jahre um den Westfälischen Frieden, wie etwa der Lutheraner Georg Calixt oder schon früher der konfessionelle Grenzgänger Georg Witzel, der als Katholik gestorben ist, meinten, es genüge, gemeinsam zu dem Zustand von Lehre und Disziplin der Kirche zurückzukehren, der am Ende des 6. Jahrhunderts bestand, um zur Einheit zu finden, denn über die bis dahin erreichte Entwicklung bestehe zwischen Lutheranern und Katholiken keine Kontroverse. (Fs)

118a Auch die Architekten dieses Unionsplans waren aber, wie gesagt, einem falschen Begriff von Geschichte erlegen. Geschichte ist nämlich nur in die Zukunft, in Richtung des Zieles, offen, niemals nach rückwärts zum Anfang. Darum kann es den zitierten "befreienden Rückgang auf die Ursprünge" ebensowenig geben wie Rückgang auf irgendeine andere Entwicklungsstufe der Vergangenheit. Solche Versuche sind per definitionem reaktionär und darum zerstörerisch, nicht aufbauend. (Fs)

118b Da nun drängt sich eine weitere Überlegung auf. Wenn Paulus schon im Blick auf das Gottesvolk des Alten Testamentes sagt: "Gottes Gnadengaben und Berufungen sind unwiderruflich" (Rom 11,29), so gilt das doch in hervorragendem Maße von dem Israel des Neuen Bundes, der Kirche. Mochte das alte Israel durch das neutestamentliche Bundesvolk heilsgeschichtlich überholt und abgelöst werden, so ist dies hinsichtlich der Kirche nicht mehr denkbar. Die Geschichte Gottes mit den Menschen ist vielmehr mit dem Kommen Jesu Christi in die Fülle der Zeiten, in ihr unwiderruflich letztes Stadium eingetreten: Wir, die wir nach den Worten des Apostels Paulus "in den letzten Zeiten" leben, leben auch in der letzten Kirche, die infolgedessen niemals von einer wahreren, besseren, heiligeren, anderen Kirche abgelöst werden kann, sondern nur noch von dem Anbruch der endgültigen Gottesherrschaft überholt und zugleich vollendet werden wird. Die wahre Kirche Jesu Christi ist deshalb nicht nur zahlenmäßig eine einzige, sie ist es auch in der historischen Dimension: Sie ist und bleibt die eine durch die Jahrtausende, durch alles Ungenügen und Versagen ihrer Glieder und Hirten und durch allen geschichtlichen Wandel hindurch ungebrochen mit sich selbst identische Stiftung Jesu Christi, dessen ungeachtet, daß dieses ihr Wesen zu jedem Zeitpunkt ihrer Geschichte authentischer verwirklicht werden könnte und sollte, als dies in dieser Weltzeit je geschehen kann. (Fs)

119a Da Martin Luther dies bestritt und eben diese Kirche nicht etwa nur infolge der Sünden ihrer Glieder, sondern infolge eines grundsätzlichen Abfalls vom Evangelium als zur babylonischen Hure entartet erblickte, muß man ihm im Hinblick auf die oben angeführten Worte der Heiligen Schrift sagen, was er selbst 1529 zu Marburg Zwingli entgegengehalten hatte: "Das Wort steht zu gewaltig da"! Und wie er damals Kreide genommen und auf den Tisch geschrieben hat: "Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut", so muß in diesem Falle der Katholik seine Kreide nehmen und auf den Tisch schreiben, was Michelangelo in das Rund der Kuppel von St. Peter in Rom geschrieben hat: "Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen!" Auch dieses Wort steht zu gewaltig da, als daß man darüber hinweglesen könnte. (Fs)

119b Deswegen kann es in der Tat niemals einen objektiv gültigen Grund geben, der zu einer Trennung von der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche berechtigen würde. Der Luther des Galater-Kommentars von 1519 hatte in vollem Umfang recht gehabt. Wollte man wirklich sagen, daß die konkrete Kirche des Jahres 1517 nicht mehr die wahre, von Christus gestiftete Kirche gewesen, weil sie vom Evangelium abgefallen sei - was wären dann die Verheißungen des Herrn an seine Kirche anderes als bloßes, trügerisches Menschenwort, als pathetisches Geschwätz! - So argumentiert bereits der katholisch gewordene, ehemals lutherische Prediger Laurentin Albert in seiner Konversionsschrift "Propositiones aliquot, in quibus ... demonstratur, cur L. A. in gremium Catholicae Ecclesiae se receperit, Ingolstadii 1570". Gleichlautende Argumente finden sich noch früher auch bei Thomas Morus und Georg Witzel. (Fs)

119c Diese Feststellungen zielen, dies sei noch einmal gesagt, auf den objektiven historisch-theologischen Tatbestand. Ein Urteil über die subjektive, religiös-moralische Seite des Geschehens "Reformation" ist damit keineswegs ausgesprochen. Objektiv Gutes kann wegen sittlich minderwertiger Motive den, der es tut, mit Schuld beladen, objektiv Schlechtes aus subjektiv edlen Beweggründen geschehen. Daß sich im Geflechte menschlicher Motive Erhabenes mit Banalem, und religiös-sittlicher Ernst mit Schuld, für uns oftmals unentwirrbar, durchdringen, gehört zur condition humaine. Zweifellos waren darum auch die Beweggründe Luthers und seiner Anhänger ebenso wie die seiner katholischen Gegner in Hierarchie, Wissenschaft und Politik vielfältig und komplex. Ein moralisches Urteil darüber steht nicht dem Erforscher, nur dem Herrn der Geschichte zu. (Fs)

120a Vor allem aber muß betont werden, daß die vorstehenden Ausführungen ausschließlich eine objektiv-historisch-theologische Beurteilung des Geschehens von 1520 ff. zum Gegenstand hatten. Das Thema hieß keineswegs "Die heute bestehenden Kirchen der Reformation in katholischer Sicht". Hierüber wäre anderes zu sagen gewesen. Die evangelischen Christen von heute - sieht man von individuellen Fällen eines Übertritts ab - haben sich ja niemals von der Kirche getrennt. Sie sind vielmehr in ihre kirchliche Gemeinschaft hineingeboren, haben dort geistliche Heimat gefunden und auch Wahrheit und Gnade von Jesus Christus empfangen. Wie sehr die Kirche sie alle trotz Trennung als Brüder und Schwester im Herrn betrachtet, geht zur Genüge aus dem Okumenismusdekret des 2. Vatikanischen Konzils hervor. (Fs)

120b Mit ihnen zur wirklichen und vollen Glaubens- und Kirchengemeinschaft zu gelangen, ist das Ziel, dem unser aller Bemühen zu gelten hat. Dazu gehört es freilich auch, die Geschichte der Trennung mit aller nüchternen Sachlichkeit historisch und theologisch aufzuarbeiten. (Fs)

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