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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Martin Luther - Reform oder Umsturz?; Galater-Kommentar; "Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche"

Kurzinhalt:
Damit war allerdings das Individuum zur obersten Instanz in Glaubensdingen proklamiert. Nichts anderes mehr war für Luther jetzt entscheidend, als das eigene private Urteil aufgrund persönlicher Einsicht und, wie er gelegentlich zu erkennen gab, ...

Textausschnitt: Martin Luther - Reform oder Umsturz?

108a Die Antwort auf diese Frage setzt eine Begriffsbestimmung von Reform voraus. Hierzu diene zuerst eine negative Abgrenzung: Reform kann nie zum Ergebnis haben, daß das Reformierte nicht mehr mit dem vorherigen zu Reformierenden identisch ist. Das heißt, Reform betrifft jeweils die konkrete Erscheinungsform, die konkrete Verwirklichung, nicht aber das Wesen des zu Reformierenden. Andernfalls würde eine Wesensveränderung eintreten, die das zu Reformierende zu etwas anderem machen würde, als es vorher war. Auf die Kirche bezogen, heißt Reform infolgedessen immer volleres Erfassen des überlieferten Glaubens, reineres, kraftvolleres Leben aus dem Glauben, in organischer Entfaltung des an Struktur und Inhalt eh und je Gegebenen. Jede Entwicklung, die einen Widerspruch, einen Gegensatz zu der von Anfang an grundgelegten Glaubensüberlieferung, zu der überlieferten sakramentalen und den Grundzügen der hierarchischen Struktur der Kirche mit sich bringen würde, wäre deshalb nicht als Reform, sondern als Revolution zu charakterisieren. Ein solcher Reformbegriff trägt auch in vollem Umfang der Geschichtlichkeit der Kirche Rechnung, die sich in der spannungsvollen Zuordnung von Wandel in der konkreten Erscheinungsform einerseits und Kontinuität im Wesentlichen andererseits ausdrückt. (Fs)

108b Nach dieser Klärung des Begriffes von Reform ist die Frage zu erörtern, ob Luthers Reformation mit diesem Begriff von Reform zu fassen sei. Etwas von dem grundsätzlichen und unerschütterlichen Ja zu der Kirche Jesu Christi, das sich aus solchen Überlegungen ergibt, läßt auch Martin Luther erkennen, wenn er noch 1519 betonte, es könne keine Ursache geben, die jemanden dazu berechtigte, sich von der römischen Kirche zu trennen. Im Galater-Kommentar dieses Jahres hat er das Verhalten der Hussiten als Abfall von der Kirche Christi qualifiziert und geschrieben: "Folglich kann auch der Abfall der Böhmen von der römischen Kirche auf keine Weise entschuldigt und verteidigt werden, als ob er etwa nicht gottlos und allen Gesetzen Christi entgegen wäre; verstößt er doch gegen die Liebe, in der alle Gesetze gipfeln. Denn das, was die Böhmen vorbringen, sie seien aus Furcht vor Gott und ihrem Gewissen abgefallen, damit sie nicht unter bösen Priestern und Päpsten leben müßten, - gerade das klagt sie am allermeisten an. Wenn nämlich die Päpste, Priester oder auch sonst irgend Menschen böse sind und du erglühtest in wahrer Liebe, dann würdest du nicht die Flucht ergreifen; du würdest vielmehr, und wärest du auch ,am äußersten Meer' (Ps 139,9), herbeieilen, klagen, mahnen, rügen, überhaupt alles tun, und der vorliegenden Lehre des Apostels folgend dir bewußt sein, daß du nicht die Vorteile, sondern die Lasten auf dich zu nehmen hast. Und so dürfte einleuchtend sein, daß es eitel Schein ist, wenn die Böhmen sich dieser Liebe rühmen, und daß es sich dabei um ,ein Licht' handelt, ,in das sich der Engel Satans verstellt' (2 Kor 11,14)". (Fs)

109a Das nun folgende Handeln Luthers stand aber in konträrem Widerspruch zu seinen eben zitierten Grundsätzen. Schon in der Leipziger Disputation (1519) wurde sichtbar, daß Luther den Weg von der Reform zur Reformation bereits beschritten hatte. Ob und in welchem Maße er sich dessen bewußt war, ob überhaupt und gegebenenfalls seit wann er den Bruch wollte oder nicht, das sind Fragen, die kontrovers und schwer zu beantworten sind. Bezeichnend für Luthers Standpunkt ist jedoch seine Aussage in Leipzig: "Daher will ich frei sein und kein Gefangener einer Autorität: weder des Konzils noch der Staatsgewalt noch der Universitäten. Nur das will ich vertrauensvoll bekennen, was ich als wahr erkannt, mag dies von einem Katholiken oder Häretiker behauptet werden, oder ob es von einem Konzil gebilligt oder verworfen wurde". Es ist ein schwer aufzulösender Widerspruch, wenn Luther wenige Monate später in seinem Galater-Kommentar die oben zitierten Ausfuhrungen machte. In der Leipziger Disputation dürfte jedoch, von Eck schroff und unerbittlich gefordert, der wahre, echte Luther gesprochen haben. Was er darum auch nach 1519 sagte und tat, war Ausdruck seines Nein zur Kirche, die er im Papst repräsentiert sah. (Fs) (notabene)

109b Das nun folgende Jahr 1520 brachte eine bedeutsame Verschärfung seiner Aussagen, da Luther in mehreren Äußerungen den Papst als Antichrist - also als den am Ende der Zeiten erwarteten satanischen Widersacher Christi - bezeichnete. Vor allem in der Schrift "Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche" vertrat er diese These. In einer weiteren Schrift, "Wider die Bulle des Endchrists", erklimmt Luthers Kampf gegen das Papsttum einen ersten Höhepunkt, wenn er erklärt: Wenn die Bulle, die ihm den Kirchenbann androhte, nicht vom Papst zurückgenommen werde, solle niemand daran zweifeln, daß der Papst ein Feind Gottes, Verfolger Christi, Zerstörer der Christenheit und der Antichrist selbst sei. Wenige Monate später schrieb er: "Wenn wir Diebe mit dem Strang, Mörder mit dem Schwert, Ketzer mit dem Feuer bestrafen, warum greifen wir nicht mit allen Waffen diese Lehrer des Verderbens an, diese Kardinale, die Päpste und die ganze Rotte des römischen Sodoma, welche die Kirche Gottes ohne Unterlaß verderben, und waschen unsere Hände in ihrem Blut...?"

110a Es war nur konsequent, daß Luther am 10. Dezember 1520 vor dem Elstertor zu Wittenberg das "Corpus Juris Canonici", das kirchliche Rechtsbuch, und die Bannandrohungsbulle in einem spektakulären Auftritt ins Feuer warf. "Auf, du fromme Studentenjugend", hatte er geschrieben, "sei Zeuge dieses heiligen und gottgefälligen Schauspiels. Denn vielleicht ist jetzt die Zeit, wo der Antichrist offenbar werden soll". Am Tag danach schrieb Luther an Staupitz: "Ich habe die Bücher des Papstes und die Bulle verbrannt, zuerst zitternd und bebend, aber jetzt bin ich fröhlicher als durch irgend eine andere Tat meines ganzen Lebens". (Fs)

"Damit", sagt der evangelische Lutherforscher Franz Lau, "war vor aller Welt klar, daß es Luther nicht um kirchliche Reform, sondern um fundamentalen kirchlichen Umsturz ging". Auch der gleichfalls evangelische Historiker Will Peukert ist zu dieser Auffassung gelangt, "daß Luther die neue Reformation von außen her durch einen revolutionären Akt geschehen lassen will... Das ist die kirchliche Revolution,... wenn man nach altem Maße mißt". (Fs)

110b Auf dieser Linie blieb der Wittenberger Professor bis ans Ende seines Lebens. Die Absage an das Papsttum bildete fortan den Generalbaß zu nahezu jedem anderen Thema. Selbst Hadrian VI., jenen von Frömmigkeit, Gelehrsamkeit und Reformeifer erfüllten Mann, der auf dem Nürnberger Reichstag von 1523 seinen Legaten ein ergreifendes Bekenntnis der Schuld Roms an der religiösen Lage in Deutschland verlesen ließ, bedachte Luther mit Schmähungen. "Der Papst", schrieb er, "ist ein Magister noster von Löwen; in dieser hohen Schule krönt man solche Esel". Aus Hadrian, sagte er, rede der Satan. Luthers Polemik erreichte ihren Gipfel in der Schrift "Wider das Papsttum zu Rom vom Teufel gestiftet". Der Titel sagt schon alles. Noch in seiner Todeskrankheit hat Luther, nach dem Bericht eines seiner Schüler, mit Kreide den Vers an die Wand geschrieben: "Pestis eram vivus, moriens ero mors tua, papa. - Pest war ich dir, Papst, im Leben, im Sterben werde ich dein Tod sein!" - Diese radikale und totale, aus existentiellen Tiefen hervorbrechende und - es muß wohl gesagt werden - haßerfüllte Absage galt dem Papsttum und mit ihm der ganzen hierarchisch-sakramental verfaßten Kirche. (Fs)

111a Dies kann nicht verwundern, hatte Luther doch schon in seinen berühmten Kampfschriften des Jahres 1520 zentrale Glaubensinhalte der Kirche geleugnet. Insbesondere galt sein Nein dem katholischen Kirchenbegriff. (Fs)

111b Mit dem berühmt gewordenen Wort, daß alles, was aus der Taufe gekrochen, damit auch schon zum Papst, Bischof oder Priester geweiht sei, proklamierte Luther das von ihm ausschließlich bejahte allgemeine Priestertum der Gläubigen. Zugleich war das eine Absage an die der Kirche wesentlich eigene, auf heiliger Weihe beruhende hierarchische Ordnung. Luther sagt: "wenn wir alle Priester sind, wie sollen wir denn nit auch Macht haben zu schmecken und urteilen, was do Recht oder Unrecht im Glauben wäre?... Wir haben alle einen Geist des Glaubens (2 Kor 4,13)... aus diesem allem und vielen anderen Sprüchen sollen wir mutig und frei werden und den Geist der Freiheit... nit lassen mit erdichten Worten der Päpste abschrecken, sondern frisch hindurch alles was sie tun oder lassen nach unserem gläubigen Verstand der Schrift richten und sie zwingen zu folgen dem bessern, nit ihrem eigenen Verstand." Damit war allerdings das Individuum zur obersten Instanz in Glaubensdingen proklamiert. Nichts anderes mehr war für Luther jetzt entscheidend, als das eigene private Urteil aufgrund persönlicher Einsicht und, wie er gelegentlich zu erkennen gab, aufgrund an ihn ergangener göttlicher Offenbarung. Die Selbstsicherheit, mit der Luther in der Folge seine persönliche Erkenntnis als Wort Gottes bezeichnete und verkündete und schließlich auch in der Auseinandersetzung mit den übrigen reformatorischen Theologen zum Kanon der rechten Lehre machte, ist schwer nachzuvollziehen. (Fs) (notabene)

111c Hatte Luther mit dieser Schrift in erster Linie das Lehramt der Kirche aus den Angeln heben wollen, so griff er mit analoger Absicht in "De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium" deren sakramentale Struktur an. Die Schrift erschien bereits Ende August 1520 in lateinischer Sprache, wurde aber sogleich ins Deutsche übersetzt. Ein oberflächlicher Blick mag sich mit der Feststellung begnügen, Luther wende sich darin nur gegen die Siebenzahl der Sakramente, gegen das Eherecht, gegen den Zölibat, gegen die Versagung des Laienkelchs. In Wirklichkeit aber wandte er sich hier gegen den überlieferten katholischen Sakramentsbegriff überhaupt. Den Höhepunkt der Schrift bildet die leidenschaftliche Ablehnung des Meßopfers, mit der Luther das religiöse Leben der alten Kirche in seiner Herzmitte traf. Selbst Luthers alter väterlicher Freund Staupitz zog sich nun von ihm zurück. Erasmus meinte, daß mit dieser Schrift die Brücken abgebrochen seien. Die Universität Paris erhob dagegen öffentlichen Protest, und Heinrich VIII. schrieb dagegen seine "Assertio septem sacramentorum". Indem Luther hier die objektive Heilswirksamkeit des sakramentalen Vollzugs leugnete, "formulierte er ein Christentum, das sich mehr und mehr als Größe der reinen innerlichen Gesinnung darstellt.... Ohne daß darüber auch nur ein Wort verloren würde, erklärte Luther mit dieser Schrift das auf sakramentaler Weihe beruhende Priestertum als abgeschafft, es war für ihn völlig irrelevant geworden". (Fs) (notabene)

112a Der literarisch-publizistischen Aussage entsprach das praktische Handeln. In tatkräftigem Zusammenwirken mit den Luther anhängenden Fürsten und Städten entstanden seit 1524 lutherische Landeskirchen. Allen übrigen Territorien ging Preußen voran, die hohenzollerischen Herrschaften in Franken folgten, Nürnberg hatte schon 1524 reformiert. Landesherrliche Kirchenordnungen wurden entworfen und ihre Durchführung durch strenge Visitationen erzwungen. (Fs)

112b So waren, als die Confessio Augustana des Jahres 1530 formuliert wurde, im Protest gegen die alte Kirche - gleichsam neben deren Trümmern - neue, überdies einander selbst im Wesentlichen widersprechende Kirchenwesen entstanden, die sich angelehnt an Fürsten und Magistrate mehr und mehr konsolidierten. Eigene Lehre, eigene Liturgie, eigene pastorale Strukturen, ja eigenes Recht - das sind zweifellos, ja eigentlich erschöpfend, die Elemente einer Kirchengründung. Seit 1532 richtete man allenthalben landeskirchliche Behörden, Superintendenturen oder Konsistorien, ein - der Glaubensspaltung war logisch konsequent die Kirchenspaltung gefolgt. (Fs)

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