Datenbank/Lektüre


Autor: Beckmann, Jan P.

Buch: Wilhelm von Ockham

Titel: Wilhelm von Ockham

Stichwort: Universalien, das Universalienproblem; universalia sunt: ante res - in rebus - post res; Boethius, Abälard; Kommentar eg: Lonergan, sausage machine; Gegenstand; Partizipation: allgemeine Prädikation (Ockham=




Kurzinhalt: ... Frage nämlich, ob nach Ockham das Allgemeine eine verstandesunabhängige Realität darstellt, "welche demjenigen innewohnt und wesentlich ist, dem sie gemeinsam zukommt" ... 'Gegenstand' im Sinne des unmittelbar Gewußten sind die Begriffe ...

Textausschnitt: 98b Das sog. Universalienproblem stellt genaubesehen ein Bündel von Problemen dar, in welchem ontologische, erkenntnistheoretische, wissenschaftstheoretische und semantische Fragen miteinander eng verknüpft sind. Von der Ontologie her stellt sich die Frage nach dem Seinsstatus des Nicht-Individuellen; aus der Sicht der Erkenntnistheorie ist zu fragen, wieweit Allgemeinbegriffe reine Denkprodukte oder Gegenstandskonstitutiva sind, während von der Wissenschaftstheorie her der Status von Allgemeinaussagen (Regeln, Gesetze etc.) zu prüfen ist. Aus der Perspektive der Semantik schließlich ist zu fragen, wie sich, wenn man allgemeine Namen bzw. allgemeine Zeichen zuläßt, die Allgemeinheit der Bezeichnung zur Einheit der Bedeutung verhält. Auch wenn diese verschiedenen Zugänge eines gemeinsam haben, nämlich die Problematisierung des Nicht-Individuellen, tut man gut daran, die genannten Ebenen auseinanderzuhalten. Dies gilt insbesondere für die mittelalterliche Universaliendiskussion in ihrer platonistischen, gemäßigt realistischen wie nominalistischen Ausformung. (Fs)

99a Für die Tradition des Platonismus, der in neuplatonischer und augustinischer Färbung das ganze Mittelalter hindurch von großer Bedeutung gewesen ist, steht die ontologische These von der eigenen und vorrangigen Realität des Allgemeinen als Idee und als Gedanke Gottes im Vordergrund. Die Universalien sind den Einzeldingen vorgeordnete selbständige Wirklichkeiten ("universalia sunt ante res"). (Fs)

99b Deutlich realistisch orientiert ist auch die von Boethius skizzierte Fragestellung, welche den Anlaß zum eigentlichen Universalienstreit des Mittelalters gegeben hat: ob nämlich die Gattungen und Arten ('genera et species') (a) substantiell für sich existieren oder lediglich Begriffe sind, ob sie (b) etwas Körperliches oder etwas Unkörperliches darstellen und ob sie (c) von den sinnlich wahrnehmbaren Einzeldingen getrennt oder mit ihnen verbunden sind.1 Die von Boethius favorisierte Mischthese, die Universalien gehörten zur Wirklichkeit der Einzeldinge, ohne doch deren Selbständigkeitsstatus zu besitzen ("universalia sunt in rebus"), wird als gemäßigter Realismus bezeichnet. (Fs)
99c Aus der Sicht des Platonismus und des gemäßigten Realismus nimmt sich die These des Nominalismus, die Universahen seien den Dingen nachgeordnet ("universalia sunt post res"), rein negativ aus, so als ginge es lediglich um die Bestreitung der Denkunabhängigkeit der Realität des Allgemeinen. Mag dies noch von den ersten, extremen Reaktionen auf den Universalienrealismus eines Wilhelm von Champeaux seitens Roscelins von Compiegne (ca. 1050-1120/25) gelten, der in trotziger Opposition gegen den Realismus in jeder Form im Allgemeinen nichts anderes als einen 'Stimmhauch' ('flatus vocis') sieht, so ist diese Form des Nominalismus bereits bei Roscelins Schüler Abälard obsolet. Abälard hat als erster und für lange Zeit einziger auf die wissenschaftstheoretischen und semantischen Implikationen des Universalienproblems aufmerksam gemacht. Die Universalien haben ihren Ort im Denken; gleichwohl besitzen sie infolge ihrer Funktion als bedeutungstragende Termini einen besonderen Status, der nicht über den schlichten Leisten 'entweder real, dann nur extramental, oder aber rein mental, dann ohne Realität' zu schlagen ist. Es gibt, so Abälard, zwischen Dingwelt und Denken ein Drittes: den Bereich der Bedeutungen. Natürlich ist die Welt der Bedeutungen die Welt des Verstandes, doch arbeitet dieser mit einem festen Bezug zur Wirklichkeit: Die von ihm geschaffenen Universalien beruhen letztlich auf Ähnlichkeitsbeziehungen der Dinge. Die Realität der Universalien ist nach Abälard die Realität ihrer Referenz. Es ist "die Vielheit der Dinge selbst der Grund für die Allgemeinheit eines Namens".2 (Fs) (notabene)

Kommentar (23.12.09) Cf. zum Bereich der Bedeutung oben.

Lonergan, Being: "30/7 By your insight into the image you are able to formulate the conditions, the elements in the image, necessary to having the insight. If you see in this circle that the curve must be perfectly round if all of the radii are equal, if that is what insight grasps in the image, then you can proceed to the definition of a circle, which is something like a definition of man. But you can proceed in more abstract fashion. You can select simply what is grasped by insight, namely, necessity and the conditions for that necessity, and then you have an abstract essence. Implicit definitions are of this sort. You select the determining relations, the postulational elements in the definition, with respect to whatever common matter you may need, and you have an abstract essence. It is not inevitable that every time this act occurs there results a universal, because what is operative is not a sausage machine from which one can get only sausages, but an intelligent and rational consciousness. When you have the insight, you can express it from the viewpoint of abstraction, picking out the abstract essence. You can also express the intelligibility grasped in this particular image with all of its determinations, and you have a particularized essence. (165f; Fs)

Liddy, Light: "6/6 This misunderstanding of the human process of knowing as some kind of 'metaphysical mechanics' is a recurrent theme in Lonergan's writings. We already noted his statement in the Blandyke Papers where he opposes any 'mechanical' theory of reasoning on the analogy of a slot machine: 'Put in a penny, pull the trigger, and the transition to a box of matches is spontaneous, immediate and necessary.' Elsewhere he will say our process of coming to know is not a kind of 'metaphysical sausage machine, at one end slicing species off phantasm, and at the other popping out concepts.' And again, still later, our mind is not a 'black box' in which there is sensitive 'input' at one end and words emerge as 'output' at the other end. On the contrary, as Lonergan was increasingly to formulate it, our understanding is a conscious process of 'grasping the intelligible in the sensible.' And this fact about our human knowing can be grasped by concretely attending to our own human understanding in act. (93; Fs)

100a Dieser wissenschaftstheoretische und semantische Angang an das Universalienproblem kommt bei Ockham endgültig zum Durchbruch. Wissenschaft ist ohne die Verwendung universaler Prädikate nicht möglich. Die Universalien sind Zeichen; diese können für existierende Einzeldinge, aber auch für andere Zeichen verwendet werden. Da in Aussagen über die Wirklichkeit Termini Verwendung finden, die in identischer ("univoker") Bedeutung von einer Mehrheit von Einzeldingen prädiziert werden können, stellt sich mit Nachdruck die Frage nach dem ontologischen Status einer derartigen "gemeinsamen univoken Prädikationsmöglichkeit" ("commune univocum praedicabile". OP II, 99). Die Klärung dieser Frage gliedert Ockham in die folgenden fünf Schritte: (1) Gehört das Allgemeine zum Bereich der vom Denken unabhängigen Wirklichkeit? (2) Ist das Allgemeine vom Individuellen real verschieden? (3) Existiert das Allgemeine unabhängig vom Denken, ohne real vom Individuellen verschieden zu sein? (4) Gehört das Allgemeine in irgendeiner Weise zum Individuellen? (5) Besitzt das Allgemeine eine Realität eigener Art, und wenn ja, welche?

101a Die Diskussion dieser Fragen nimmt im Sentenzenkommentar nahezu 200 Druckseiten ein (OT II, 99-292) und kann hier nicht im einzelnen behandelt werden. Wir wollen uns statt dessen auf das Kernproblem konzentrieren, die Frage nämlich, ob nach Ockham das Allgemeine eine verstandesunabhängige Realität darstellt, "welche demjenigen innewohnt und wesentlich ist, dem sie gemeinsam zukommt". Zur Diskussion steht die klassische These des Universalienrealismus, das Allgemeine inhäriere den Einzeldingen. Danach ist z.B. die Gerechtigkeit in den einzelnen gerechten Handlungen "verwirklicht", d.h., das Universale 'Gerechtigkeit' gehört als Realität eigener Art zu den in der Wirklichkeit auftretenden gerechten Einzelhandlungen. (Fs)

101b Man mache es sich mit dieser These der Realisten nicht zu einfach. Selbstverständlich ist ihnen der Unterschied zwischen Begriff und Sache geläufig. Kein Realist von Rang hat behauptet, die Begriffe existierten außerhalb des Denkens wie Einzeldinge. Was der Realist behauptet, ist dies: Der Allgemeinbegriff, etwa derjenige der Gerechtigkeit, steht für etwas, das in den gerechten Dingen oder Handlungen real vorhanden ist. Das gemeinsame Prädikat bringt demnach eine gemeinsame reale Sacheigenschaft zur Sprache, die, weil eine Realität eigener Art, auch real von der ihr zugrundeliegenden Sache unterschieden werden kann. (Fs)

101c Was spricht zugunsten eines solchen Universalienrealismus? Da ist zum einen das Argument der Wesensdefinition. Bleiben wir bei unserem Beispiel der Gerechtigkeit. Man kann sie definieren als die Tugend, jedem das Seine zukommen zu lassen. Damit ist nicht, so das Argument der Realisten, diese oder jene gerechte Einzelhandlung definiert, sondern das allen gerechten Handlungen gemeinsame Wesen der Gerechtigkeit. Hat obige Definition einen wirklichen Gehalt, so muß es das in ihr Enthaltene auch geben, so das Argument der Realisten. Ockham entgegnet hierauf: Mit Definitionen wie der obigen wird nicht das Wesen des Definiendum, sondern die Art und Weise eines Tuns angegeben. Es wird nämlich nicht gesagt, was Gerechtigkeit an sich ist, sondern es wird festgestellt, was wir tun (müssen), damit von Gerechtigkeit gesprochen werden kann (vgl. OT II, 132). (Fs)

102a Ein weiteres Argument zugunsten des Realismus geht dahin, zu behaupten, das Allgemeine sei schon deswegen etwas Reales, weil es Gegenstand von Wissenschaft ist, und Wissenschaft handle nun mal von der Wirklichkeit. Ockhams Entgegnung hierauf kann nach demjenigen, was in Kap. III über sein Wissenschaftsverständnis gesagt worden ist, nicht überraschen: Unmittelbarer Gegenstand von Wissenschaft sind nicht die Dinge, sondern Aussagen über die Dinge. Über den Realbezug einer Wissenschaft entscheidet nicht die Realität ihres Gegenstandes, sondern die Art und Weise der Referenz der in der betreffenden Wissenschaft verwendeten Termini, welche Begriffe sind und als Zeichen fungieren. Wollte man die Realität des Allgemeinen aus dem Realbezug von Wissenschaft ableiten, würde man die 'significata' - die realen Einzeldinge - mit den 'significantia', den universalen Prädikaten, verwechseln. Kurz: Um den Realbezug von Wissenschaft sicherzustellen, ist es keineswegs erforderlich, den Universalien, d.h. den in wissenschaftlichen Aussagen verwendeten Allgemeinzeichen, eine mit den Einzeldingen verbundene Realität zuzuschreiben. Dies hieße eine semantische Konfusion begehen, nämlich Zeichen und Bezeichnetes konfundieren. "Es hat mit Realwissenschaft überhaupt nichts zu tun, ob die Terme einer Aussage denkunabhängig oder denkabhängig sind, solange sie für selbständige, real existierende Einzeldinge supponieren" (OT II, 137). Gewußt werden nicht Dinge, sondern Sätze. Die Realität des Gewußten ist mithin nicht von der Art der Dinge, sondern von der Art der Sätze. Der ontologische Status der Einzeldinge ist nicht die Basis des ontologischen Status des Allgemeinen, so wenig wie das Bezeichnete das Bezeichnende in seinem Status festlegt. (Fs)
Kommentar (14.01.10): Wiederum: Nach Ockham kann die Realität als solche nicht Gegenstand der Wissenschaft sein, weil es Wissenschaft nur in Allgemeinbegriffen gibt und Allgemeinbegriffen keine Realität zukommt. Ohne zu erklären, wie es zu einer Erkenntnis eines Dinges überhaupt kommen kann, nimmt er die Erkenntnis eines Dinges an; auf ähnliche Dinge verweist er dann mit einem Begriff, einem Allgemeinbegriff seinem Verständnis nach, wiederum ohne Erklärung, wie das möglich sei. So finden sich bei ihm zwei Erkenntnislücken: einmal, wie die Erkenntnis eines Dinges möglich, und dann, wie der Hinweis eines Terminus auf ein Ding möglich sein kann. Daraus ergbit sich auch die Unterscheidung (s. unten) zwischen Gegenstand als unmittelbar Gewusstem, die Begriffe, Sätze, und Gegenstand im Sinne eines Realbezugs, eben die Einzeldinge.

103a Ockhams These, Realwissenschaft handle von den Einzeldingen und nicht vom Allgemeinen, "denn für dieses gibt es keine Supposition" (OT II, 138), ist vielfach als Absage an die Möglichkeit von Wissenschaft verstanden worden. Dies ist jedoch ein Mißverständnis, das sich sogleich auflöst, wenn man sich die (oben im Kap. IV genannte) Unterscheidung zwischen dem Suppositionsterm ("quod supponit") und dem Suppositionsbezug ("pro quo supponit") in Erinnerung ruft. Ohne Zweifel werden Realwissenschaften um der realen Einzeldinge willen betrieben. Die Physik etwa soll die Phänomene erklären, wie sie sind. Doch artikulieren kann sich Wissenschaft nur im Medium von Begriffen und mit Hilfe von Sätzen, d.h. in grammatisch korrekten und logisch zulässigen Verknüpfungen von Begriffen. Begriffe funktionieren als Suppositionsterme, sie sind das, was supponiert. Wissenschaft geht also insofern nicht mit Dingen, sondern mit Begriffen um. Doch die Begriffe stehen für etwas, und das sind im Falle der Realwissenschaft die Einzeldinge. So sind die beiden Feststellungen Ockhams "Realwissenschaft handelt von den Einzeldingen, denn es sind die Einzeldinge, für die die Begriffe stehen" (OT II, 138) und "Realwissenschaft handelt nicht notwendig von den Dingen als dem unmittelbar Gewußten, sondern von etwas davon Verschiedenem, das für die Einzeldinge supponiert" (a.a.O. 134) gleichermaßen gültig, so sehr sie auf den ersten Blick einander im Wege zu stehen scheinen. Ihre Kompatibilität zeigt sich dann, wenn man Klarheit in den Begriff des 'Gegenstandes' von Wissenschaft bringt: 'Gegenstand' im Sinne des unmittelbar Gewußten sind die Begriffe bzw. die aus ihnen gebildeten Sätze; 'Gegenstand' im Sinne des Realbezugs von Wissenschaft hingegen sind die Einzeldinge. (Fs) (notabene)

103b Ockhams Unterscheidung zwischen Gegenstand im Sinne von Gewußtem und Gegenstand im Sinne von Existierendem läßt sich leicht plausibilisieren. So wird kein Physiker behaupten, unmittelbarer Gegenstand der Physik seien die beobachtbaren physikalischen Einzelphänomene; nicht sie, sondern die für sie geltenden mathematisch beschreibbaren Gesetzmäßigkeiten sind das unmittelbar in der Physik Gewußte. Und doch ist es der Physik um die real existierenden physikalischen Erscheinungen zu tun. (Fs)

104a Ockham sucht mit seiner Unterscheidung zwischen dem unmittelbar Gewußten und dem, wofür das Gewußte steht, den scheinbaren Widerspruch zur Lehre des Aristoteles aufzulösen, der bekanntlich festgestellt hat, Gegenstand von Wissenschaft sei das Allgemeine. Ockham deutet dies so: Wissenschaft handelt im Medium der Allgemeinbegriffe von den Einzeldingen. Zu behaupten, die Allgemeinbegriffe müßten deshalb Teil der Realität sein, hieße, Suppositionstermini und Supponate bzw. semantisch gesprochen: Zeichen und Bezeichnetes in eins zu setzen. Genau hier liegt der Fehler des entsprechenden Argumentes der Realisten. Ockham ist nicht entgangen, daß er sich hiermit in einen Gegensatz zu Aristoteles setzt. Der Stagirite hat nämlich seine Überzeugung, Wissenschaft handle vom Allgemeinen, damit begründet, das Allgemeine sei Bestandteil der Einzeldinge, in der Überzeugung, so den Realbezug von Wissenschaft sicherstellen zu können. Aus der Sicht Ockhams ist eine solche Annahme nicht nur überflüssig, sie ist auch irreführend, weil sie die Ebene der Prädikation und die der Wirklichkeit nicht konsequent auseinanderhält. (Fs)

104b Ein weiteres Argument der Realisten lautet: Man verwendet in den Wissenschaften häufig Allgemeinbegriffe, ohne damit ein bestimmtes konkretes Einzelding zu meinen. So kann man vom Menschen sprechen, ohne sich speziell auf Paul, Maria oder Johannes zu beziehen. Also können solche Allgemeinbegriffe auch für etwas Allgemeines stehen und dieses Allgemeine muß eine Realität eigener Art darstellen. Ockham hält dies für einen Fehlschluß infolge der Verkennung der Grammatik von Ausdrücken wie 'Mensch'. Natürlich kann man sagen "Der Mensch ist des Lachens fähig", ohne dabei speziell an Paul, Maria oder Johannes zu denken. Dennoch steht auch dann der Terminus 'Mensch' nicht für eine universelle Realität gleichen Namens, sondern für seine eigene allgemeine Prädizierbarkeit in dem Sinne, daß wo immer der Terminus 'Mensch' mit dem Prädikatterm ,ist des Lachens fähig' verknüpft wird, diese Verknüpfung für einen Einzelmenschen gilt. Nehmen wir zur Illustration ein weiteres Beispiel Ockhams: Daß Farbe generell etwas Sichtbares ist, heißt nicht, daß es so etwas wie 'Farbe an sich' gibt. Vielmehr besagt die entsprechende Feststellung: Wo immer Farbigkeit etwas Sichtbares ist, liegt dies an einzelnen farbigen Gegenständen. (Fs)

105a Zur Verifikation solcher Sachverhalte bedarf es nicht der Annahme eigenständiger Realitäten wie 'Mensch an sich', 'Farbe an sich' o.a.; es genügt vielmehr zu zeigen, daß Allaussagen von der Art "Der Mensch ist des Lachens fähig" oder "Farbe ist etwas Sichtbares" eine notwendige Verknüpfung zweier Termini im Satz darstellen, die in jedem einschlägigen Einzelfall Geltung besitzt; "allgemeine Realitäten (res universales) werden hier gänzlich ohne Grund angenommen" (OT II, 143). Mehr noch: Derartige Annahmen wären ein suppositionslogischer Fehler. Termini wie 'Mensch' und 'Farbe' stehen in personaler Supposition für einzelne Menschen bzw. farbige Einzeldinge. Stehen solche Ausdrücke hingegen für sich, also in einfacher Supposition, so bezeichnen sie keine Sache, sondern lediglich einen grammatisch verwendbaren Ausdruck, wie es in Aussagen von der Form "Farbe ist stets sichtbar" der Fall ist. (Fs)

Kommentar (15.01.10): Wiederum: Ockhams naiver Realismsu lässt ihn das Wesen des Allgemeinbegriffes nicht verstehen.

105b Wenn des weiteren die Argumentation zugunsten des Universalien-Platonismus dahin geht, zu behaupten, die Universalität der Referenz setze die Existenz des Universalen voraus, so ist dies nach Ockham nicht schlüssig: Universalität der Referenz ist eine Eigenschaft von Prädikaten, nicht von Dingen. Daß die Universalien als allgemeine Zeichen eine Vielheit von Dingen bezeichnen, macht aus ihnen keine Realität sui generis. Auch die Kernthese des gemäßigten Realismus, wonach das Allgemeine zwar keine selbständige Realität besitzt, wohl aber in den Dingen verwirklicht ist, stößt insoweit auf Ockhams Kritik: Daß eine Vielheit von Einzeldingen mit einem Allgemeinbegriff erfaßt werden kann, zwingt nicht zu der Annahme, der Allgemeinbegriff bezeichne eine der Vielheit dieser Einzeldinge gemeinsame und in ihnen verwirklichte Realität; es genügt festzustellen, daß die Gemeinsamkeit eine solche der Prädikation ist. (Fs) (notabene)

106a Ein weiteres, von den Realisten häufig angeführtes Argument zugunsten der Realität des Allgemeinen bedient sich eines Zitats aus Porphyrs Einleitungsschrift zu den aristotelischen Kategorien. Es heißt dort: "Aufgrund der Teilhabe an der Spezies 'Mensch' sind die vielen (Einzel-) Menschen Mensch".3 Hier ist offensichtlich der (neu-)platonische Gedanke der Partizipation im Spiel. Danach hat alles Singuläre (An-)Teil am Allgemeinen. Dieser vermeintlich ontologische Zusammenhang erweist sich jedoch nach Ockham bei näherem Hinsehen als ein prädikationslogischer: Partizipation heißt hier soviel wie 'allgemeine Prädikation': Von der Vielheit der Menschen läßt sich gemeinsam (nicht: etwas Gemeinsames) aussagen, daß ein jeder von ihnen Mensch ist. (Fs) (notabene)

106b Diese und weitere - Ockham diskutiert und widerlegt insgesamt 13 Argumente zugunsten des Universalienrealismus -laufen allesamt auf die Kernkritik hinaus, daß der Unterschied zwischen Zeichen und Bezeichnetem ontologisch keine Rückschlüsse vom Status des letzteren auf den Status des ersteren zuläßt. Die Einheit des Begriffs zwingt keineswegs zur Annahme einer dem Begriff entsprechenden eigenen Realität, die Allgemeinheit der Referenz impliziert keine Referenz auf Allgemeinheit. Ein weiterer Fehler der Vertreter des Universalienrealismus besteht darin, das Verhältnis von Gattung und Art als dasjenige zwischen einem Ganzen und seinen Teilen mißzuverstehen. Die verschiedenen Spezies befinden sich nicht "in" der ihnen übergeordneten Art, wie die Teile in einem Ganzen. Wenn es z.B. heißt, die Spezies 'Mensch' befände sich "in" der Gattung 'Lebewesen', so kann damit doch nicht gesagt sein, die Menschen befänden sich "in" den Lebewesen. Gemeint ist vielmehr, daß das allgemeine Prädikat 'ist Mensch' einer Teilgruppe der Prädikate 'ist ein Lebewesen' zugeordnet werden kann. (Fs) (notabene)

106c Die Position des Universalienrealismus ist nach Ockham nicht nur in sich fehlerhaft, sie führt darüber hinaus in Aporien, die ebenso hinderlich wie unnötig sind. Eine dieser Aporien besteht darin, daß der Versuch einer ontologischen Verortung des Allgemeinen in oder gar vor den Einzeldingen genau das verunmöglicht, was die Universalien leisten sollen, nämlich als Prädikate für eine Vielheit von Einzelfällen zu dienen. Denn wenn, wie die Realisten behaupten, das Allgemeine eine eigene extramentale Realität besitzt, dann beziehen sich die Allgemeinbegriffe sowohl auf Singuläres wie auf Universales, so daß Unklarheit entsteht, was im Einzelfall vorliegt. Versucht man, Klarheit zu schaffen, entsteht ein unendlicher Regreß. Denn das als real angesehene Allgemeine 'Mensch' und die realen Einzeldinge müßten durch einen neuen gemeinsamen Begriff 'Mensch III' erfaßt werden, etc. Der Unterschied zwischen Singularität und Universalität aber läßt eine solche Verortung der letzteren in ersterer grundsätzlich nicht zu. Eine weitere, nicht minder gewichtige Aporie besteht darin, daß der Universalienrealismus das Allgemeine zu einer Substanz hypostasiert. Schon Aristoteles hat mit Nachdruck daran festgehalten, daß das Allgemeine keine 'usia' ist.4 Das Gegenteil zu behaupten wäre ein Kategorienfehler. Nennt man das Allgemeine dennoch eine Substanz, dann verliert es seinen prädikativen Charakter. Soll es denselben behalten, kann es keine Substanz sein. (Fs) (notabene)
107a Selbst wenn der Universalienrealismus frei von den genannten Fehlern wäre, er ließe sich angesichts solcher Aporien nicht aufrechterhalten. Ockham resümiert daher: "Die Universalien sind keine Substanzen noch gehören sie zur Substanz des Einzeldinges; sie deklarieren vielmehr lediglich die Substanz der Dinge wie Zeichen" (OT II, 254). Gehörte das Allgemeine zur Substanz der Dinge, würde es in dem Maße vervielfältigt, wie es Einzeldinge gibt, auf die es anwendbar ist. Würde man, um dies zu verhindern, auf der Einheit des Allgemeinen bestehen, dann verlöre es seine allgemeine Prädizierbarkeit. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt