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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Gott ist uns nah

Titel: Gott ist uns nah

Stichwort: Eucharistie; Realpräsenz; dies "ist" mein Leib; Augustinus, Kommunionfrömmigkeit; Brot, Assimilierung

Kurzinhalt: ... wie die Gegenwart Jesu Christi zu verstehen ist. Sie ist nicht etwas in sich Ruhendes, sondern sie ist eine Macht, die auf uns ausgreift, die uns aufnehmen, in sich hineinführen will.

Textausschnitt: 76a Der heilige Thomas von Aquin hat in seiner Fronleichnamspredigt das Wort aus dem fünften Buch Mose aufgenommen, in dem sich die Freude Israels über seine Erwählung, über das Geheimnis des Bundes ausspricht. Dieses Wort heißt: "Wo wäre noch einmal eine große Nation, der ihre Götter so nahe sind wie uns unser Gott?" (Dtn 4,7).1 Man kann spüren, wie bei Thomas eine triumphale Freude darüber aufklingt, daß dieses Wort des Alten Bundes in der Kirche, im neuen Volk Gottes, erst seine volle Größe gefunden hat. Denn wenn in Israel Gott sich durch sein Wort zu Mose herabgebeugt hatte und so seinem Volk nahe geworden war, dann hat er jetzt selbst Fleisch angenommen, ist Mensch unter Menschen geworden und geblieben, so sehr geblieben, daß er sich im Geheimnis des verwandelten Brotes in unsere Hände und in unsere Herzen legt. Aus dieser Freude heraus, daß damit wahrhaft "Volk Gottes" geworden ist, Gott so nahe ist, daß er nicht näher sein könnte, ist im 13. Jahrhundert das Fronleichnamsfest entstanden als ein einziger Hymnus des Dankes ob solchen Geschehens. Aber wir alle wissen, daß, was eigentlich Grund der Freude ist und sein sollte, zugleich Stein des Anstoßes ist, der Punkt der Krise, und dies von Anfang her. Denn in der Lesung aus dem Johannes-Evangelium haben wir gehört, wie schon bei der ersten Ankündigung der Eucharistie die Menschen murrten und sich auflehnten. Dieses Murren geht seither durch die Jahrhunderte hindurch und es hat gerade auch die Kirche unserer Generation tief verwundet. Wir wollen Gott gar nicht so nahe; wir wollen ihn nicht so klein, sich herabbeugend; wir wollen ihn groß und ferne haben. So stehen Fragen auf, die solche Nähe als unmöglich erweisen möchten. Wenn wir in der folgenden Besinnung über ein paar dieser Fragen nachdenken, soll es nicht darum gehen, der Lust am Problem nachzuhängen, sondern darum, das Ja des Glaubens wieder tiefer zu lernen, seine Freude wieder zu empfangen und so auch das Beten, die Eucharistie selbst wieder neu zu erlernen. Es sind hauptsächlich drei Fragen, die sich dem Glauben an die wirkliche Nähe des Herrn entgegenstellen. Die erste: Sagt denn eigentlich die Bibel solches? Legt sie uns derlei auf oder ist dies nicht erst das naive Mißverständnis einer späteren Zeit, die das Hohe und Geistige des Christentums ins Kleine und ins Kirchliche heruntertransponiert? Die zweite Frage lautet: Kann denn das eigentlich sein, daß ein Leib sich mitteilt an allen Orten und zu allen Zeiten? Widerspricht dies nicht einfach der Grenze, die dem Leib wesentlich ist? Die dritte Frage heißt: Hat nicht die moderne Naturwissenschaft mit allem, was sie über "Substanz" und über die Materie sagt, die betreffenden Dogmen der Kirche so augenscheinlich überholt, daß wir sie in der Welt der Wissenschaft endgültig zum alten Eisen werfen müssen, sie gar nicht mehr vereinbar mit dem Denken von heute halten können?

77a Wenden wir uns der ersten Frage zu: Sagt die Bibel solches? Wir wissen, daß im 16. Jahrhundert dieser Streit leidenschaftlich geführt worden ist als Streit um ein Wort, um das "Ist": "Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut." Meint dieses "Ist" wirklich die volle Kraft leiblicher Anwesenheit? Oder weist es nicht doch nur auf ein Sinnbild hin, so daß es auszulegen wäre: "Dies bedeutet meinen Leib und mein Blut"? Inzwischen haben sich die Gelehrten an diesem Wort müde gestritten und begriffen, daß der Disput um ein einziges, aus dem Zusammenhang herausgeschnittenes Wort nur in eine Sackgasse führen kann. Denn so wie in einer Melodie der Ton seine Bedeutung nur vom Gefüge des Ganzen erhält und allein aus ihm heraus zu verstehen ist, so können wir auch Wörter eines Satzes nur verstehen aus dem Sinngefüge des Ganzen, in dem sie ihren Platz haben. Wir müssen nach dem Ganzen fragen. Tun wir dies, so ist die Antwort der Bibel sehr klar. Wir haben ja gerade die dramatischen, an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Worte Jesu aus dem Johannes-Evangelium gehört: "Wer mein Fleisch nicht ißt und mein Blut nicht trinkt, kann das Leben nicht haben ... Mein Fleisch ist wahre Speise ..." (6,53-55) Als das Murren der Juden anhob, hätte der Widerspruch leicht gestillt werden können durch die Versicherung: Freunde, regt euch nicht auf; dies war nur eine bildliche Rede; die Speise bedeutet nur das Fleisch, ist es aber nicht! - Nichts davon im Evangelium. Jesus verzichtet auf solche Besänftigung, er sagt nur mit neuer Nachdringlichkeit, daß dies Brot leibhaftig gegessen werden muß. Er sagt, daß der Glaube an den menschgewordenen Gott einen leibhaftigen Gott glaubt und daß dieser Glaube zum wahren, erfüllten Glauben, zum Einswerden erst wird, wenn er selbst leibhaftig ist, wenn er sakramentales Geschehen ist, in dem der leibhaftige Herr unsere leibhaftige Existenz ergreift. Paulus vergleicht das Geschehen der heiligen Kommunion mit der leiblichen Vereinigung, die zwischen Mann und Frau geschieht, um die ganze Intensität und Wirklichkeit dieser Verschmelzung auszusagen. Er verweist zum Verständnis der Eucharistie auf das Wort der Schöpfungsgeschichte: "Die zwei (= Mann und Frau) werden ein Fleisch sein" (Gen 2,24). Er fügt hinzu: "Wer sich dem Herrn verbindet, wird ein Geist (das heißt: eine einzige neue Existenz aus dem Heiligen Geist) mit ihm sein" (1 Kor 6,16). (Fs)

78a Wenn wir dies hören, erfahren wir zugleich schon etwas darüber, wie die Gegenwart Jesu Christi zu verstehen ist. Sie ist nicht etwas in sich Ruhendes, sondern sie ist eine Macht, die auf uns ausgreift, die uns aufnehmen, in sich hineinführen will.2 Augustinus hat dies in seiner Kommunionfrömmigkeit tief verstanden. In der Zeit vor seiner Bekehrung, in seinem Ringen um die Leiblichkeit des Christlichen, die ihm vom platonischen Idealismus her ganz unzugänglich war, hatte er eine Art Vision, in der er eine Stimme hörte, die zu ihm sagte: "Ich bin das Brot der Starken, iß mich! Doch nicht du wirst mich in dich verwandeln, sondern ich werde dich in mich verwandeln."3 Beim gewöhnlichen Essen ist es so, daß der Mensch der Stärkere ist. Er nimmt die Dinge auf und sie werden in ihn assimiliert, so daß sie Teil seiner eigenen Substanz werden. Sie werden in ihn umgewandelt und bauen seine leibliche Existenz auf. Aber im Zueinander mit Christus ist es umgekehrt; er ist die Mitte, er ist der Eigentliche. Wenn wir wahrhaft kommunizieren, heißt dies, daß wir aus uns herausgenommen werden, daß wir in ihn hineinassimiliert werden, daß wir eins werden mit ihm und durch ihn mit der Gemeinschaft der Brüder. (Fs) (notabene)

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