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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Gott ist uns nah

Titel: Gott ist uns nah

Stichwort: Eucharistie, Opfer; Passahaggada; Umwandlung des Todes in das Wort;

Kurzinhalt: Israel fängt an zu begreifen, daß das gottgemäße Opfer der gottgemäße Mensch ist, und daß daher das wahre Opfer das Gebet, die dankende Rühmung Gottes ist, in der wir uns selbst ihm zurückgeben und damit auch uns und die Welt erneuern.

Textausschnitt: 46a Auch das Zweite - wir schenken - gilt in aller Wahrheit und nicht bloß fiktiv. So ist nun zu fragen: Wie soll dies zugehen, daß einerseits, da wir nichts zu geben haben, Gott schenkt, und daß wir andererseits dabei doch nicht zu bloß passiven Objekten werden, die nur beschämt dastehen können, sondern wahrhaft ihn beschenken dürfen? Um das zu verstehen, müssen wir noch einmal in die Geschichte Israels zurückgehen, dessen glaubende Menschen ja leidenschaftlich und tief darum gerungen haben, was das eigentlich sei - ein Opfer, und wie es wirklich gottgemäß und menschengemäß geschehen könne. Durch solches Ringen ist in der Frömmigkeit der Psalmen und der Propheten immer tiefer eine Einsicht gereift, die sich etwa ausdrückt in solchen Worten: Ein zerknirschter Geist ist das wahre Opfer vor dir. Unsere Gebete mögen aufsteigen wie Weihrauch zu dir hin. Mehr als Tausende von fetten Widdern möge unser Gebet wiegen vor dir. (Fs)

47a Israel fängt an zu begreifen, daß das gottgemäße Opfer der gottgemäße Mensch ist, und daß daher das wahre Opfer das Gebet, die dankende Rühmung Gottes ist, in der wir uns selbst ihm zurückgeben und damit auch uns und die Welt erneuern. Immer schon war der Kern des Kultes in Israel das, was wir mit einem lateinischen Wort "Memoriale" nennen: das Gedenken. Bei dem Begehen des Pascha wurde, ehe man das Lamm aß, vom Hausvater die Passahaggada gesprochen, das heißt, eine rühmende Erzählung der Großtaten Gottes an Israel. Der Hausvater preist die Geschichte, die Gott mit dem Volk gemacht hat, damit die Nachkommenden es hören. Aber er erzählt dies alles nicht wie eine vergangene Geschichte, sondern er rühmt darin die Gegenwart Gottes, der uns trägt und führt, dessen Tun also an uns und in uns gegenwärtig ist. In der Zeit, in der Jesus lebte, war immer mehr das Bewußtsein gewachsen, daß diese Passahaggada die eigentliche Mitte der Liturgie Israels, das eigentliche Opfer an Gott sei. Darin traf sich die Frömmigkeit Israels mit der neuen Frömmigkeit, die auch in der heidnischen Welt gewachsen war, in der ebenfalls immer mehr der Gedanke aufbrach, daß das wahre Opfer das Wort ist oder vielmehr: der Mensch, der im Wort des Dankes die Dinge und sich selbst vergeistigt, reinigt und so gottgemäß wird. (Fs)

48a Jesus hat nun seine Abendmahlsworte in diese Passahaggada, in das Gebet des Dankes hineinverflochten, das damit über seine in Israel entwickelte Gestalt hinaus eine ganz neue Mitte gewann. Es blieb vorher eben doch bloß Wort, mit der Gefahr, bloße Rede zu werden; es blieb Wort in einer Geschichte, in der Gottes Sieg nicht offenkundig ist, trotz aller seiner großen Taten. Erst Jesus Christus gibt diesem Gebet die Mitte, die die verschlossene Tür aufstößt; diese Mitte ist seine Liebe, in der Gott siegt und den Tod besiegt. Der Kanon der römischen Messe ist direkt aus diesen jüdischen Lobpreisungsgebeten entstanden; er ist der unmittelbare Nachfahre und die direkte Fortsetzung dieses Abendmahlsgebetes Jesu Christi und damit der Kern der Eucharistie. Er ist der eigentliche Träger des Opfers, denn Jesus Christus hat darin seinen Tod in Wort umgewandelt - in Gebet - und er hat so die Welt verändert.1 Denn das hat zur Folge, daß dieser Tod vergegenwärtigungsfähig ist, weil er in dem Gebet lebt und das Gebet nun durch die Jahrhunderte hindurchgeht. Es hat weiterhin die Folge, daß dieser Tod mitteilbar ist, weil wir in dieses verwandelnde Gebet eintreten, es mitbeten können. Dies also ist das neue Opfer, das er uns geschenkt hat, in das er uns alle aufnimmt: Weil er den Tod zum Wort des Dankes und der Liebe machte, kann er nun durch alle Zeiten hindurch anwesend werden als Quelle des Lebens, können wir im Mitbeten in ihn eintreten. Er sammelt sozusagen das Armselige unserer Leiden, unseres Liebens, unseres Hoffens und Wartens in dieses Gebet hinein zu einem großen Strom, in dem es mitlebt, so daß wir darin wahrhaft Mitopfernde sind. Christus steht nicht isoliert uns gegenüber. Er ist als Weizenkorn allein gestorben, aber er steht nicht allein auf, sondern in seiner Auferstehung ist er Ähre, die die Gemeinschaft der Heiligen mitnimmt. Christus steht seit der Auferstehung nicht mehr allein, sondern er ist - wie die Kirchenväter sagen - immer "caput et corpus": Haupt und Leib, geöffnet auf uns alle hin. So macht er sein Wort wahr: "Wenn ich am Kreuz erhöht sein werde, werde ich alles an mich ziehen" (Joh 12,32). Deswegen brauchen wir die Furcht nicht zu hegen, die Luther zum Protest gegen den katholischen Meßopfergedanken veranlaßte, es werde dadurch die Ehre Christi gemindert; das "Meßopfer" beruhe auf dem Gedanken, daß Christi Opfer nicht genügt habe und wir noch etwas danebensetzen müßten und könnten. Solch irrige Meinung mag es durchaus gegeben haben, mit dem wirklichen Sinn des Meßopfergedankens hat sie nichts zu tun. Die Größe von Christi Werk besteht eben darin, daß er nicht in einem getrennten Gegenüber zu uns bleibt, das uns in die bloße Passivität verwiese; er erträgt uns nicht nur, sondern er trägt uns, identifiziert sich so mit uns, daß ihm unsere Sünde, uns sein Sein zugehört: Er nimmt uns wirklich an und auf, so daß wir mit ihm und von ihm her selbst aktiv werden, selbst zu Mithandelnden und so zu Mitopfernden werden, zu Teilhabern des Geheimnisses. So kann auch unser Leben und Leiden, Hoffen und Lieben fruchtbar werden in der neuen Mitte, die Er uns geschenkt hat. (Fs) (notabene)

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