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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Der Geist der Liturgie

Titel: Der Geist der Liturgie

Stichwort: Kult 2: kosmisch - gesachichtlich; Anbetung; Opfer: Zerstörung - Vereinigung mit Gott; Kreisbewegung: exitus - reditus; Pfeil (Chardin); Gnosis

Kurzinhalt: Die wahre Übereignung an Gott muß doch wohl ganz anders aussehen. Sie besteht ... in der Vereinigung des Menschen und der Schöpfung mit Gott.

Textausschnitt: 23a Damit stehen wir erneut vor der Frage: Was ist das eigentlich - Anbetung? Was geschieht da? Als Kern des Kultes erscheint praktisch in allen Religionen das Opfer. Aber dies ist ein Begriff, der von einem wahren Schuttberg von Mißverständnissenüberlagert ist. Die allgemeine Auffassung geht dahin, Opfer habe etwas mit Zerstörung zu tun. Es bedeute die Übereignung einer dem Menschen irgendwie kostbaren Wirklichkeit an Gott; diese Übereignung setze aber voraus, daß sie dem Gebrauch des Menschen entzogen wird, und das eben könne nur durch ihre Zerstörung geschehen, mit der sie endgültig aus dem Verfügen des Menschen ausscheidet. Aber da ist sofort die Gegenfrage zu stellen: Welche Freude sollte Gott eigentlich an der Zerstörung haben? Ist ihm durch Zerstörung denn irgend etwas übergeben? Man antwortet, in dem Zerstören verberge sich immerhin der Akt der Anerkennung von Gottes Oberhoheit über alle Dinge. Aber kann ein solch formaler Akt wirklich der Herrlichkeit Gottes dienen? Offenbar nicht. Die wahre Übereignung an Gott muß doch wohl ganz anders aussehen. Sie besteht - so sehen es die Väter der Kirche im Anschluß an biblisches Denken - in der Vereinigung des Menschen und der Schöpfung mit Gott. Gottzugehörigkeit hat nichts mit Zerstörung oder Nichtsein zu tun, wohl aber mit einer Weise des Seins: Sie bedeutet das Heraustreten aus dem Status der Trennung, der scheinbaren Autonomie, des Seins nur für sich selber und in sich selber. Sie bedeutet jenes Sich-Verlieren, das die einzig mögliche Weise des Sich-Findens ist (vgl. Mk 8,35; Mt 10,39). Deswegen konnte Augustinus sagen, das wahre »Opfern sei die civitas Dei, das heißt die zur Liebe gewordene Menschheit, die die Schöpfung vergöttlicht und die Übereignung des Alls an Gott ist: Gott alles in allem (1 Kor 15,28) - das ist das Ziel der Welt, das ist das Wesen von »Opfer« und Kult. (Fs)

24a So können wir nun sagen: Das Ziel des Kultes und das Ziel der Schöpfung im ganzen ist dasselbe - Vergöttlichung, eine Welt der Freiheit und der Liebe. Damit erscheint aber im »Kosmischen« selbst das Geschichtliche: Der Kosmos ist nicht eine Art von einem geschlossen hingestellten Gebäude, er ist nicht ein in sich ruhender Behälter, in dem sich allenfalls Geschichte abspielen kann. Er ist selbst Bewegung, von einem Anfang zu einem Ziel hin. Er ist in gewisser Weise selbst Geschichte. (Fs)

Das kann in mehrfacher Weise vorgestellt werden. Auf dem Hintergrund der modernen evolutionären Weltanschauung hat zum Beispiel P. Teilhard de Chardin den Kosmos als einen Prozeß des Aufstiegs, als einen Weg der Vereinigungen beschrieben. Vom ganz Einfachen führe dieser Weg zu immer größeren und komplexeren Einheiten, in denen Vielfalt nicht aufgehoben, aber in eine wachsende Synthese hinein verschmolzen werde, hin zur Noosphäre,in der der Geist und sein Verstehen das Ganze umgreife, zu einer Art von lebendigem Organismus verschmelze. Vom Epheser- und Kolosserbrief her betrachtet Teilhard Christus als jene zur Noosphäre vorwärtstreibende Energie, die schließlich alles in ihrer »Fülle« einbegreift. Von da aus vermochte Teilhard den christlichen Kult auf seine Weise neu zu deuten: Die verwandelte Hostie ist für ihn die Antizipation der Verwandlung der Materie und ihrer Vergöttlichung in der christologischen »Fülle«. Die Eucharistie gibt für ihn sozusagen die Richtung der kosmischen Bewegung an; sie nimmt ihr Ziel voraus und treibt sie damit zugleich an. (Fs)

25a Die ältere Überlieferung geht begreiflicherweise von einem anderen Modell aus. Ihr Bild ist nicht der aufsteigende Pfeil, sondern sie denkt eher an eine Art Kreisbewegung, als deren beide wesentliche Richtungselemente exitus und reditus, Auskehr und Einkehr, benannt werden. Dieses der allgemeinen Religionsgeschichte wie auch dem christlichen Altertum und Mittelalter gemeinsame »Paradigma« läßt aber sehr verschiedene Ausgestaltungen zu. Der Kreis kann als eine große kosmische Bewegung verstanden werden - so bei den christlichen Denkern -; er kann - so in den Naturreligionen und in vielen nichtchristlichen Philosophien - als eine immer neu sich wiederholende Bewegung gedacht sein. Der Gegensatz dieser beiden Sichtweisen ist, bei Licht betrachtet, nicht so ausschließend, wie es beim ersten Zusehen erscheinen mag. Denn auch für die christliche Ansicht der Welt sind in den einen großen Kreis der Geschichte, die von exitus zu reditus geht, die vielen kleinen Kreise des individuellen Lebens eingeschrieben, die alle den großen Rhythmus des Ganzen in sich tragen, ihn je neu verwirklichen und ihm so überhaupt die Kraft seiner Bewegung geben. Und es sind in den großen einzigen Kreis auch die vielen Lebenskreise der verschiedenen Kulturen und Geschichtsgemeinschaften eingeschrieben, in denen sich immer neu das Drama von Anfang, Aufstieg und Ende abspielt: In ihnen wiederholt sich immer wieder das Mysterium des Beginns; in ihnen trägt sich aber auch immer wieder Ende der Zeit und Untergang zu, der auf seine Weise neuem Aufgang den Boden bereiten kann. Die Summe der Kreise spiegelt den großen Kreis; beide Kreise sind aufeinander verwiesen und greifen ineinander. Und so hat auch der Kult mit allen drei Dimensionen dieser Kreisbewegungen zu tun: mit der persönlichen, mit der sozialen, mit der universalen. (Fs)

25b Bevor wir das näher zu klären versuchen, müssen wir aber noch auf die zweite und in vieler Hinsicht wichtigere Alternative achten, die sich im Schema von exitus und reditus verbirgt. Da gibt es zunächst die Vorstellung, die vielleicht am eindrücklichsten bei dem spätantiken Philosophen Plotin ausgearbeitet ist, aber in verschiedenen Formen weite Teile der nichtchristlichen Kulte und Religionen bestimmt. Der exitus, durch den überhaupt nichtgöttliches Sein erscheint, wird nicht als Ausgang, sondern als Fall, als ein Absturz aus der Höhe des Göttlichen verstanden, der den Fallgesetzen entsprechend in immer größere Tiefen, in immer weitere Entfernung vom Göttlichen hinuntertreibt. Das bedeutet: Das nichtgöttliche Sein ist selbst und als solches gefallenes Sein; die Endlichkeit ist selbst schon eine Art Sünde, das Negative, das geheilt werden muß durch die Rückholung ins Unendliche. Die Heimkehr- der reditus - besteht dann eben darin, daß in der letzten Tiefe der Sturz abgefangen wird, daß nun der Pfeil nach oben weist. Am Ende löst sich die »Sünde« des Endlichen, des Nicht-Gott-Seins auf, und in diesem Sinne wird »Gott alles in allem«. Der Weg des reditus bedeutet Erlösung, und Erlösung bedeutet Befreiung von der Endlichkeit, die als solche die eigentliche Last unseres Seins ist. Der Kult hat dann mit der Kehre der Bewegung zu tun: Er ist das Innewerden des Sturzes, gleichsam der Augenblick der Reue des verlorenen Sohnes, das Wieder-Hinschauen zum Ursprung hin. Weil nach vielen dieser Philosophien Erkenntnis und Sein überhaupt ineinander fallen, ist der neue Blick auf den Anfang zugleich auch schon neuer Aufstieg dorthin. Kult als Aufschauen zu dem, was vor allem Sein und über allem Sein ist, ist seinem Wesen nach Erkenntnis und als Erkenntnis Bewegung, Heimkehr, Erlösung. Freilich gehen da dann auch die Wege der Kultphilosophien auseinander. Es gibt nun die Theorie, nur die Philosophen, nur die zu höherem Denken befähigten Geister seien zu der Erkenntnis fähig, die Weg ist. Nur sie seien fähig zum Aufstieg, zur vollen Vergöttlichung, die Erlösung und Befreiung von der Endlichkeit ist. Für die anderen, die einfacheren Seelen, die den vollen Aufblick noch nicht vermögen, gebe es die verschiedenen Liturgien, die ihnen eine gewisse Erlösung zu bieten vermöchten, ohne sie ganz auf die Höhe der Göttlichkeit führen zu können. Über diese Unterschiede tröstet dann häufig die Lehre von der Seelenwanderung hinweg, die ja die Hoffnung gibt, daß irgendwann in der Wanderung der Existenzen der Punkt erreicht werde, an dem endlich der Ausweg aus der Endlichkeit und ihrer Qual gelinge. Weil hier Erkenntnis (= Gnosis) die eigentliche Macht der Erlösung und damit auch die höchste Form von Erhebung, nämlich Vereinigung mit der Gottheit ist, nennt man die so gearteten-im einzelnen sehr verschiedenenDenk- und Religionssysteme »Gnosis«. Für das werdende Christentum bedeutet die Auseinandersetzung mit der Gnosis das entscheidende Ringen um seine eigene Identität. Denn die Faszination solcher Anschauungen ist groß, und sie scheinen so leicht mit der christlichen Botschaft identifizierbar. Die »Erbsünde« zum Beispiel, sonst so schwer verstehbar, wird mit dem Sturz ins Endliche selbst identisch, und so erscheint auch klar, daß sie allen anhaftet, die im Kreislauf der Endlichkeit stecken. Erlösung als Befreiung aus der Last der Endlichkeit wird einsichtig usw. Auch heute ist auf vielfache Weise die Faszination des Gnostischen neu am Werk: Die fernöstlichen Religionen tragen das gleiche Grundmuster in sich. Die Formen angewandter Erlösungslehre, die sie anbieten, sind darum höchst einleuchtend. Die Übungen körperlicher Entspannung und seelischer Leere erscheinen als Zugänge auf die Erlösung hin. Sie zielen auf Befreiung von der Endlichkeit, ja, nehmen sie augenblicksweise voraus und haben so heilende Kraft. (Fs)

27a Das christliche Denken hat, wie gesagt, das Schema von exitus und reditus durchaus aufgenommen, aber es hat darin zwei Bewegungen voneinander unterschieden. Exitus ist nicht zunächst Abfall aus dem Unendlichen, die Entzweiung des Seins und damit die Ursache allen Elends der Welt, sondern exitus ist zunächst etwas durchaus Positives: der freie Schöpfungsakt des Schöpfers, der positiv will, daß es das Geschaffene als etwas Gutes ihm gegenüber gebe, aus dem eine Antwort der Freiheit und der Liebe zu ihm zurückkommen kann. Nichtgöttliches Sein ist daher nicht in sich schon etwas Negatives, sondern ganz im Gegenteil positive Frucht eines göttlichen Wollens. Es beruht nicht auf einem Sturz, sondern auf einer Setzung Gottes, die gut ist und Gutes schafft. Der Seinsakt Gottes, der geschaffenes Sein bewirkt, ist ein Freiheitsakt. Insofern ist im Sein selbst von seinem Grund her das Prinzip Freiheit anwesend. Der exitus - oder besser: der freie Schöpfungsakt Gottes - zielt in der Tatauf reditus, aber damit ist nun nicht die Rücknahme des geschaffenen Seins gemeint, sondern was wir oben beschrieben haben: daß das Zu-sich-selbst-Kommendes in sich selbst stehenden Geschöpfs in Freiheit auf Gottes Liebe antworte, Schöpfung als sein Liebesgebot annehme, und daß so ein Dialog der Liebe entstehe, jene ganz neue Einheit, die allein die Liebe schaffen kann. In ihr wird das Sein des anderen nicht absorbiert, nicht aufgelöst, sondern gerade im Sich-Geben wird er ganz er selber. Es entsteht Einheit, die höher ist als die Einheit des nicht mehr teilbaren Elementarteilchens. Dieser reditus ist »Heimkehr«, aber er löst die Schöpfung nicht auf, sondern gibt ihr vollends ihre Endgültigkeit. Das ist die christliche Idee des »Gott alles in allem«. Aber das Ganze ist eben an Freiheit geknüpft, und die Freiheit des Geschöpfes ist es nun, die den positiven exitus der Erschaffung umbiegt, ja, gleichsam umbricht in den Fall: in das Nicht-abhängig-sein-Wollen, in das Nein zum reditus. Liebe wird nun als Abhängigkeit verstanden und abgelehnt; an ihre Stelle tritt die Autonomie und Autarkie: nur aus sich und in sich selber zu sein, aus Eigenem ein Gott zu sein. So bricht der Bogen von exitus zu reditus auseinander. Einkehr wird nicht mehr gewollt, und der Aufstieg aus eigener Kraft erweist sich als unmöglich. Wenn »Opfer« seinem Wesen nach einfach Einkehr in die Liebe ist und so Vergöttlichung, so muß nun in den Kult das Moment der Heilung der verwundeten Freiheit, der Sühne, der Reinigung und der Lösung aus der Entfremdung eintreten. Das Wesen des Kultes, des »Opfers« als Prozeß der Verähnlichung, des Liebewerdens und so des Weges in die Freiheit bleibt unverändert. Aber es nimmt nun das Moment der Heilung in sich auf, der liebenden Umwandlung der gebrochenen Freiheit in die durchlittene Weise des Versöhnens. Zu ihm gehört nun - gerade weil alles auf das Selbersein, auf die Unbedürftigkeit vom anderen abgestellt war - das Verwiesensein auf den anderen, der mich aus der Schlinge lösen muß, die ich selbst nicht mehr aufknüpfen kann. Erlösung braucht nun den Erlöser: Die Väter haben das im Gleichnis vomverirrten Schaf ausgedrückt gefunden. Dieses Schaf, das im Dornstrauch verfangen ist und den Rückweg nicht mehr weiß, ist für sie ein Bild des Menschen überhaupt, der aus seinem Dorngestrüpp nicht mehr herauskommt und auch den Weg zu Gott nicht mehr selber finden kann. Der Hirt, der es holt und heimträgt, ist für sie der Logos selbst, das ewige Wort, der ewige, im Sohn Gottes wohnende Sinn des Alls, der sich selbst aufden Weg macht zu uns und der nun das Schaf auf die Schultern nimmt, das heißt Menschennatur annimmt und als Gottmensch das Geschöpf Mensch wieder heimträgt. So wird reditus möglich, die Heimkehr schenkt. Damit nimmt nun freilich das Opfer die Form des Kreuzes Christi an, der sich im Tod verschenkenden Liebe, die nichts mit Zerstörung zu tun hat, sondern ein Akt der Neuschöpfung ist, der die Schöpfung wieder zu sich selber bringt. Und aller Kult ist nun Beteiligung an diesem »Pascha« Christi, an diesem seinen »Übergang« vom Göttlichen zum Menschlichen, vom Tod zum Leben, zur Einheit von Gott und Mensch. Christlicher Kult ist so konkretes Einlösen und Verwirklichen des Wortes, das Jesus am ersten Tag der großen Woche, am Palmsonntag, im Tempel zu Jerusalem ausgerufen hat: »Wenn ich von der Erde erhöht sein werde, werde ich alles an mich ziehen« (Joh 12,32). (Fs)

29a Kosmischer und geschichtlicher Kreis sind nun unterschieden: Das geschichtliche Element hat von der Gabe der Freiheit als Mitte des göttlichen wie des geschaffenen Seins her seine eigene und unwiderrufliche Bedeutung, aber es wird deswegen vom Kosmischen nicht losgerissen. Beide Kreise bleiben trotz ihrer Differenz letztlich der eine Kreis des Seins: Die geschichtliche Liturgie des Christentums ist und bleibt - ungetrennt und unvermischt - kosmisch, und nur so steht sie in ihrer ganzen Größe. Es gibt die einmalige Neuheit des Christlichen, und doch stößt es das Suchen der Religionsgeschichte nicht von sich ab, sondern nimmt alle bestehenden Motive der Weltreligionen in sich auf und bleibt auf solche Weise mit ihnen verbunden. (Fs)

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