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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Der Geist der Liturgie

Titel: Der Geist der Liturgie

Stichwort: Kult: kosmisch -geschichtlich; Schöpfungsgeschichte - Sabbat

Kurzinhalt: Die Vorstellung von kosmischer oder geschichtlicher Orientierung des Kultes ist zwar nicht völlig unbegründet, aber falsch, wo sie zu einer ausschließenden Gegenüberstellung führt:

Textausschnitt: 20a In der modernen Theologie hat sich weitgehend die Meinung durchgesetzt, in den sogenannten Naturreligionen wie auch in den nichttheistischen Hochreligionen sei der Kult kosmisch orientiert, währender im Alten Testament und im Christentum geschichtlich ausgerichtet sei; der Islam kennt - ähnlich wie das nachbiblische Judentum - nur Wort-Liturgie, die ihre Prägung und Richtung von der geschichtlich ergangenen Offenbarung empfängt, aber der universalen Tendenz dieser Offenbarung entsprechend durchaus von Bedeutung für die Welt im ganzen sein will. Die Vorstellung von kosmischer oder geschichtlicher Orientierung des Kultes ist zwar nicht völlig unbegründet, aber falsch, wo sie zu einer ausschließenden Gegenüberstellung führt: Dann verkennt man das Geschichtsbewußtsein, das es durchaus auch in den Naturreligionen gibt, und man verengt die Bedeutung der christlichen Gottesverehrung; man vergißt, daß der Erlösungsglaube vom Bekenntnis zum Schöpfer nicht abgetrennt werden kann. Im Verlauf dieses Buches werden wir sehen, welche Bedeutung dieser Frage bis in scheinbare Äußerlichkeiten der liturgischen Gestaltung hinein zukommt. (Fs)

Ich möchte versuchen, das in mehreren Schritten klarzumachen. In den Religionen der Welt sind Kult und Kosmos immer fest miteinander verbunden; die Verehrung der Götter ist nie bloß so etwas wie ein Sozialisationsakt der betreffenden Gemeinschaft, die sich durch Symbole ihres gegenseitigen Zusammenhalts vergewissern würde. Verbreitet ist die Vorstellung, daß es sich um einen Kreislauf des Gebens und des Nehmens handle: Die Götter erhalten die Welt, aber die Menschen müssen durch ihre kultischen Gaben die Götter nähren und erhalten. Zum Kreislauf des Seins gehört beides: die Macht der Götter, die die Welt trägt, aber auch die Gabe der Menschen, die die Götter von der Welt her versorgt. Das geht bis zu dem Gedanken, die Menschen seien überhaupt dazu erschaffen worden, die Götter zu erhalten, und seien auf diese Weise ein wesentliches Glied im Zirkel des Alls. Wie einfältig das auch scheinen mag, es zeigt sich darin doch eine tiefe Sinnbestimmung des Menschseins: Der Mensch ist für Gott da, und so dient er dem Ganzen. Freilich lauern auch die Umkehrung und der Mißbrauch gleich hinter der Tür: Der Mensch hat irgendwie Macht über die Götter; er hat ein Stückweit mit seinem Verhalten zu ihnen den Schlüssel zur Wirklichkeit in der Hand. Die Götter brauchen ihn, aber freilich braucht er auch sie: Sollte er seine Machtmiß brauchen, so könnte er zwar ihnen schaden, aber er würde auch sich selber zerstören. (Fs)

21a Im alttestamentlichen Schöpfungsbericht Gen 1,1-2,4 sind diese Anschauungsformen durchaus erkennbar, aber zugleich verwandelt. Die Schöpfung geht auf den Sabbat zu, auf den Tag, an dem der Mensch und die ganze Schöpfung an Gottes Ruhe, an seiner Freiheit teilnehmen. Von Kult ist unmittelbar nicht die Rede, noch viel weniger davon, daß etwa der Schöpfer die Gaben der Menschen bräuchte. Sabbat ist eine Vision der Freiheit: Sklave und Herr sind an diesem Tage gleich; die »Heiligung« des Sabbats bedeutet eben dies, daß alle Unterordnungsverhältnisse ruhen und alle Last des Werkens für eine Weile aussetzt. Wenn man aber daraus schließt, das Alte Testament habe Schöpfung und Anbetung nicht verbunden, es münde in einer reinen Vision der befreiten Gesellschaft als Ziel aller Geschichte, sei also von Anfang an nur anthropologisch und sozial, ja, revolutionär ausgerichtet, so verkennt man die Bedeutung des Sabbats. Denn der Schöpfungsbericht und die Bestimmungen des Sinai über den Sabbat sind aus der gleichen Quelle; man muß die Sabbat-Ordnungen der Thora dazu lesen, um die Bedeutung des Schöpfungsberichtes recht zu verstehen. Dann aber wird sichtbar: Der Sabbat ist das Zeichen des Bundes zwischen Gott und Mensch; er faßt das Wesen des Bundes von innen herzusammen. Von da aus können wir jetzt die Intention der Schöpfungsberichte schon so definieren: Schöpfung ist, damit ein Ort sei für den Bund, den Gott mit den Menschen schließen will. Das Ziel der Schöpfung ist der Bund, die Liebesgeschichte zwischen Gott und Mensch. Die Freiheit und die Gleichheit der Menschen, die der Sabbat wirken soll, ist keine rein anthropologische oder soziologische Vision; sie ist nur theologisch denkbar: Nur wenn der Mensch im Bund mit Gott steht, wird er frei, erscheint die Gleichheit und die Würde aller Menschen. Wenn also alles auf den »Bund« ankommt, dann ist wichtig zu sehen, daß der Bund Beziehung ist: ein Sich-Schenken Gottes an den Menschen, aber auch ein Antworten des Menschen auf ihn. Die Antwort des Menschen auf einen Gott, der ihm gut ist, heißt: Liebe, und Gott lieben heißt: ihn anbeten. Wenn Schöpfung als ein Raum des Bundes, als Ort der Begegnung von Gott und Mensch gemeint ist, dann heißt das auch, daß sie als Raum der Anbetung gedacht ist. Aber was heißt das eigentlich - Anbetung? Was ist da anders gegenüber der Vorstellung vom Kreislauf des Gebens und Nehmens, der die vorchristliche Kultwelt weitgehend bestimmte?

22a Bevor wir uns dieser entscheidenden Frage zuwenden, möchte ich noch auf den Text hinweisen, mit dem im Buch Exodus die Kultgesetzgebung abgeschlossen wird. Dieser Text ist in strenger Parallelität zum Schöpfungsbericht gebaut: Siebenmal wird hier gesagt »Mose tat, wie der Herr ihm befohlen hatte«, womit das Siebentagewerk des Tempels als Nachbild des Siebentagewerks der Schöpfung erscheint. Schließlich endet die Erzählung von der Einrichtung des Tempels mit einer Art von Sabbatvision: »So vollendete Mose das Werk. Die Wolke bedeckte das Offenbarungszelt, und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnstätte« (Ex 40,33f). Die Vollendung des Zeltes nimmt die Vollendung der Schöpfung voraus: Gott bezieht Wohnung in der Welt, Himmel und Erde vereinen sich. In diesen Zusammenhang gehört es auch, daß das Verbum bara im Alten Testament zwei - und nur zwei - Bedeutungen hat. Es bezeichnet einerseits den Vorgang der Schöpfung der Welt, das Scheiden der Elemente, das aus Chaos Kosmos werden läßt; es bezeichnet zum anderen den Grundvorgang der Heilsgeschichte, das heißt die Erwählung und die Scheidung von rein und unrein, also das Hervorbringen der Geschichte Gottes mit den Menschen und so die geistige Schöpfung, die Schöpfung des Bundes, ohne den der geschaffene Kosmos ein leeres Gehäuse bliebe. So stehen Schöpfung und Geschichte, Schöpfung, Geschichte und Kult in einem Wechselverhältnis: Schöpfung wartet auf den Bund, aber der Bund vollendet die Schöpfung und bewegt sich nicht neben ihr. Wenn aber der Kult - recht verstanden - die Seele des Bundes ist, dann heißt dies, daß er nicht nur den Menschen rettet, sondern die ganze Wirklichkeit in die Gemeinschaft mit Gott hineinziehen soll. (Fs) (notabene)

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