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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Gott ist uns nah

Titel: Gott ist uns nah

Stichwort: Eucharistie; Abendmahlsworte: Tempelkult Israels, Gottesknecht; Kult, Abendmahl

Kurzinhalt: "Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut": Das sind Ausdrücke aus der Opfersprache Israels, in der die Gaben bezeichnet wurden, die man Gott im Tempel opferte.1 Wenn Jesus diese Wörter nimmt, bezeichnet er sich selbst ...

Textausschnitt: [...] Der wirkliche Jesus ist allein der Jesus der Zeugen. Es gibt keine bessere Möglichkeit, von ihm zu wissen, als indem wir auf das Wort derer hören, die mit ihm gelebt haben, die mit ihm die Wege seines irdischen Lebens gegangen sind. (Fs)

26a Wenn wir diese Zeugen fragen, dann sehen wir - und eigentlich versteht es sich auch von selbst - daß Jesus keineswegs ahnungslos überrascht auf das Kreuz zugegangen ist. Er konnte nicht blind sein für das Gewitter, das heraufzog; für die Macht des Widerspruchs, der Feindschaft und der Absage, die sich um ihn herum sammelten. Nicht weniger wichtig war für sein sehendes Zugehen auf das Kreuz, daß er aus der Mitte des Glaubens Israels lebte, daß er das Beten seines Volkes mitbetete: Die Psalmen, die von den Propheten inspirierte Frömmigkeit Israels, sind zutiefst bestimmt durch die Gestalt des leidenden Gerechten, der um Gottes willen in dieser Welt keinen Platz mehr findet, um seines Glaubens willen ins Leiden hineingerät. Jesus hat dieses Beten, das wir in den Psalmen wie bei den Prophetien vom Gottesknecht des zweiten Jesaja bis zu Hiob und zu den drei Jünglingen im Feuerofen immer neu aufsteigen und sich vertiefen sehen, in seine letzte Mitte hineingeführt, es ausgefüllt, seine Gestalt selbst dafür zur Verfügung gestellt und damit überhaupt den Schlüssel zu diesem Beten eröffnet.1 (Fs)

28a So weisen alle Wege seiner Verkündigung in das Geheimnis dessen hinein, der seine Liebe und seine Botschaft im Leiden bewährt. Die letzte Ausformung bieten dann die Worte, die er beim letzten Abendmahl gesprochen hat. Sie sind nichts gänzlich Unerwartetes, sondern vorgeformt, vorgeprägt in all diesen seinen Wegen und bringen dann doch neu ans Licht, was in ihnen gemeint ist: Die Einsetzung der Eucharistie ist Vorwegnahme des Todes, sie ist geistiger Vollzug des Todes. Denn Jesus teilt sich selbst aus, er teilt sich aus als den in Leib und Blut Zerteilten und Zerrissenen. So sind die Abendmahlsworte Jesu die Antwort auf Bultmanns Frage, wie Jesus seinen Tod bestanden hat; in ihnen geschieht der geistige Vollzug des Todes oder, sagen wir richtiger, in ihnen verwandelt Jesus den Tod in den geistigen Akt des Ja, in den Akt der Liebe, die sich austeilt; in den Akt der Anbetung, der sich für Gott und von Gott her den Menschen zur Verfügung gibt. Beides gehört ineinander: Die Abendmahlsworte wären ohne den Tod sozusagen eine Währung ohne Deckung; der Tod wiederum wäre ohne diese Worte eine bloße Hinrichtung ohne erkennbaren Sinn. Beides zusammen aber ist dieses neue Geschehen, in dem das Sinnlose des Todes zu Sinn wird; in dem das Unlogische zu Logik und zu Wort verwandelt wird; in dem die Zerstörung der Liebe, die der Tod von sich aus bedeutet, gerade zu ihrer Bewährung wird, zu ihrer bleibenden Beständigkeit. Wenn wir also wissen wollen, was eigentlich Jesus selbst mit seinem Tod gemeint hat, wie er ihn angenommen hat, was er bedeutet, dann müssen wir diese Worte bedenken und umgekehrt sie ständig von der Blutwährung seines Zeugnisses gedeckt sehen. (Fs) (notabene)

28b Werfen wir, bevor wir ihnen näher nachgehen, zunächst einen Blick auf die große Schau, die der heilige Johannes im 13. Kapitel seines Evangeliums - in dem Bericht von der Fußwaschung - entwickelt hat. Der Evangelist faßt in dieser Szene gleichsam das Ganze von Jesu Wort, Leben und Leiden zusammen. Wie in einer Vision wird sichtbar, was dies Ganze ist.2 In der Fußwaschung stellt sich dar, was Jesus tut und was er ist. Er, der der Herr ist, steigt herunter; er legt die Gewänder der Herrlichkeit ab und wird zum Sklaven, der an der Tür steht und den Sklavendienst der Fußwaschung für uns tut. Dies ist der Sinn seines ganzen Lebens und Leidens: daß er sich zu unseren schmutzigen Füßen, zum Schmutz der Menschheit herunterbeugt und daß er in seiner größeren Liebe uns reinwäscht. Der Sklavendienst des Fußwaschens hatte den Sinn, die Menschen tischfähig zu machen, gemeinschaftsfähig, so daß sie miteinander sich an den Tisch setzen können. Jesus Christus macht uns gleichsam vor Gott und füreinander tischfähig und gemeinschaftsfähig. Wir, die wir einander immer wieder nicht ausstehen können, wir, die wir nicht zu Gott hin passen, werden von ihm aufgenommen. Er trägt sozusagen das Gewand unserer Armseligkeit und indem er uns mitnimmt, sind wir gottfähig, haben wir Zugang zu Gott gewonnen. Wir werden gewaschen, indem wir uns in seine Liebe hineinbeugen lassen. Diese Liebe bedeutet, daß Gott ohne Vorbedingungen, auch wenn wir seiner nicht fähig und würdig sind, uns annimmt, weil er, Jesus Christus, uns verwandelt und unser Bruder wird. Freilich zeigt der Bericht bei Johannes, daß da, wo Gott keine Grenzen setzt, der Mensch Grenzen setzen kann. Es werden deren zwei sichtbar. Die erste zeigt sich in der Gestalt des Judas: Es gibt das Nein der Habsucht und der Gier, der Selbstherrlichkeit, die Gott nicht annehmen mag. Es gibt dieses Nein, das selbst die Welt schaffen will, und das nicht bereit ist, sich von Gottes Liebe beschenken zu lassen. "Lieber schuldig bleiben als mit einer Münze zahlen, die nicht unser Bild trägt -so will es unsere Souveränität", sagt Nietzsche einmal.3 Das Kamel geht nicht durch das Nadelöhr, es stellt sozusagen seinen hochmütigen Höcker auf und ist nicht imstande, durch die Pforte der erbarmenden Güte zu gehen. Ich denke, wir alle sollten uns in dieser Stunde fragen, ob wir nicht auch wie solche sind, deren Hochmut, deren Selbstherrlichkeit nicht imstande ist, sich waschen zu lassen, sich beschenken zu lassen von der heilenden Liebe Jesu Christi. Neben dieser Abweisung, die aus der Habsucht und dem Hochmut des Menschen kommt, gibt es aber auch die Gefahr des Frommen, für die Petrus steht: die falsche Demut, die das Große nicht will, daß Gott sich zu uns herabbeugt; die falsche Demut, in der auch der Hochmut steckt, keine Vergebung zu mögen, sondern aus Eigenem rein sein zu wollen; der falsche Hochmut und die falsche Bescheidenheit, die Gottes Erbarmen nicht annehmen mag. Aber Gott will nicht die falsche Bescheidenheit, die seine Güte zurückweist, sondern er will die Demut, die sich waschen läßt und so rein wird. Dies ist die Weise, wie er sich uns gibt. Gehen wir nun über zu den Abendmahlsworten, die uns in den ersten drei Evangelien berichtet sind, und fragen wir, was wir da erfahren. Da sind zunächst diese beiden unergründlichen Worte, die nun für immer im Zentrum der Kirche, im Zentrum der eucharistischen Feier stehen, die Worte, von denen wir leben, weil sie Gegenwart des lebendigen Gottes, Gegenwart Jesu Christi in unserer Mitte sind und so die Welt aufreißen aus ihrer unerträglichen Langweiligkeit, Gleichmütigkeit, Schwere und Bosheit. "Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut": Das sind Ausdrücke aus der Opfersprache Israels, in der die Gaben bezeichnet wurden, die man Gott im Tempel opferte.4 Wenn Jesus diese Wörter nimmt, bezeichnet er sich selbst als das endgültige und wirkliche Opfer, in dem all diese vergeblichen Versuche des Alten Testamentes erfüllt sind. In ihm ist das, was darin immer gewollt war und nie sein konnte, aufgenommen. Gott will keine Tieropfer; ihm gehört alles. Und er will keine Menschenopfer, denn er hat den Menschen zum Leben geschaffen. Gott will Größeres: Er will die Liebe, die den Menschen verwandelt und in der er gottfähig wird, sich Gott überläßt. Nun erscheinen all die Hekatomben von Opfern, die im Tempel zu Jerusalem je dargebracht worden waren, und all die Opfer die ganze Weltgeschichte hindurch, dieses ewige vergebliche Bemühen, mit Gott gleichzuziehen, überflüssig und doch zugleich sozusagen als Fenster, die durchschauen lassen auf das Eigentliche; als Anläufe, die jetzt erfüllt sind. Das, was dort gemeint war: Gabe an Gott, Einheit mit Gott - dies geschieht in Jesus Christus, in ihm, der Gott nicht etwas gibt, sondern sich und darin uns. (Fs)

31a Nun aber müssen wir fragen: Wie geht das und was heißt das näherhin? Dann stoßen wir auf ein zweites Element. Zu den beiden bedachten Sätzen, die aus der Tempel-Theologie Israels bzw. vom Bundesschluß am Sinai hergenommen sind, fügt Jesus ein Wort hinzu, das aus dem Buch Jesaja stammt: "Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird; mein Blut, das für euch und die Vielen vergossen wird". Dieser Satz stammt aus den Liedern vom Gottesknecht, die wir bei Jesaja finden (53).5 Wir müssen einen Augenblick auf deren Hintergrund zurückblenden, um ihren Gehalt zu verstehen. Israel hatte mit der babylonischen Verbannung seinen Tempel verloren. Es konnte Gott nicht mehr verehren; es konnte seinen Lobpreis nicht mehr darbringen; es konnte nicht mehr die Opfer der Sühne darbringen und mußte nun fragen, was hier eigentlich geschehen sollte, wie das Verhältnis zu Gott lebendig bleiben sollte, wie die Dinge der Welt richtig bleiben sollten. Denn darum ging es im Kult letztlich: das Verhältnis zwischen Mensch und Gott richtig zu halten, weil nur dann die Achse des Wirklichen überhaupt richtig bleibt. In solchen Fragen, wie sie die Zeit der Kultlosigkeit nötig machte, hat Israel eine neue Erfahrung empfangen. Es konnte keine Tempelliturgie feiern, es konnte nur leiden um seines Gottes willen. Seine größten Geister, die Propheten, haben unter der Erleuchtung Gottes begriffen, daß dieses Leiden des glaubenden Israel das wahre Opfer ist, der große neue Gottesdienst, mit dem es für die Menschen, für die ganze Welt vor den lebendigen Gott hintritt. Aber es blieb da doch eine offene Stelle: Israel ist der Gottesknecht, der in seinem Leiden Gott annimmt und für die Welt vor Gott steht, aber es ist doch zugleich auch befleckt und schuldig und egoistisch und verloren. Es kann die Gestalt des Gottesknechtes nicht vollends ausfüllen. So bleiben diese großen Lieder merkwürdig schwebend; einerseits sprechen sie von dem Geschick des leidenden Volkes und deuten es aus; helfen den Menschen, ihr Leid anzunehmen als Ja zu dem richtenden und liebenden Gott. Aber zugleich öffnen sie die Erwartung auf den, in dem dies ganz wahr sein wird, auf den, der wirklich der reine Zeuge Gottes in dieser Welt ist und der noch unnennbar bleibt. Im letzten Abendmahl nimmt Jesus dieses Wort in seinen Mund: Er leidet für die Vielen und zeigt damit, daß in ihm jene Erwartung erfüllt ist; daß in seinem Leiden dieser große Gottesdienst der Menschheit geschieht. Er selbst ist sozusagen das reine Für, der, der nicht für sich steht, sondern für alle zu Gott hin. (Fs) (notabene)

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