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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Inquisition: Verfahren

Kurzinhalt: Die großen Mängel des Inquisitionsprozesses bestanden in der Unmöglichkeit einer Verteidigung sowie in der dem Verfahren innewohnenden Tendenz, Geständnisse auch durch Zwangsmittel zu erzielen.

Textausschnitt: Das Verfahren der Inquisition

86b Da der Zweck der Inquisition in dem Ausrotten der Häresie durch Rückführung der Ketzer zur Kirche bestand, trat der Inquisitor sein Amt mit einer Predigt an, zu der er die Bevölkerung einlud. In ihr wurde die der Häresie entgegengesetzte Lehre der Kirche dargelegt. Bei Gelegenheit dieser Predigt, die wir uns wohl als eine Art Volksmission vorstellen dürfen, verkündigte der Inquisitor auch ein "tempus gratiae", eine Gnadenfrist von 15 bis 40 Tagen. In dieser Zeit konnten sich Ketzer melden, ihre Umkehr vollziehen und Kirchenbuße auf sich nehmen. Solche Ketzerbußen bestanden etwa im zeitweiligen Tragen von auf den Kleidern aufgenähten Kreuzen, Erscheinen mit Zuchtruten in der Hand beim Gottesdienst, Besuch der Predigten des Inquisitors, Fasten, Wallfahrten und dergleichen mehr. Wer sich nun, obwohl er Ketzer war, in dieser Zeit nicht meldete, wurde meist aufgrund von Denunziation angeklagt. Daß die Namen der Anzeigenden geheim blieben, war einerseits als Schutzmaßnahme für diese verständlich, öffnete aber andererseits den niedrigsten Instinkten der Rache, des Hasses und Neides die Tür. Dies war umso eher zu befürchten, als auch rechtlich Infame, also Meineidige, Exkommunizierte, Mitschuldige und selbst Familienmitglieder als Zeugen zugelassen wurden. Nur Todfeindschaft - die aber öffentlich bekannt sein mußte - machte zeugnisunfähig. Durch nichts konnte ein mißliebiger Konkurrent oder sonst jemand, mit dem ein anderer eine Rechnung zu begleichen hatte, wirksamer getroffen, sogar beseitigt werden, als durch eine Anklage wegen Häresie. Ein mehr oder weniger begründeter Verdacht auf Häresie - "levis" oder "magna suspicio" - konnte durch Widersagen der Häresie seitens des Verdächtigen mit nachfolgenden Kirchenbußen behoben werden. Wenn es sich jedoch um einen dringenden Verdacht - "suspicio violenta" - handelte, konnte ein Gegenbeweis nicht erbracht werden. Es wurde die Abschwörung - "abjuratio" - gefordert, Absolution erteilt und Buße auferlegt, die hier in der Anbringung eines gelben Stoffkreuzes auf der Kleidung bestand. Bei Verweigerung der Abjuratio folgte automatisch die Auslieferung an die weltliche Gewalt zur Vollstreckung der Todesstrafe. (Fs)

87a Im Falle, daß ein bereits bekehrter Häretiker abermals der Ketzerei für schuldig befunden wurde, gab es nur den Weg auf den Scheiterhaufen. Zwei oder drei ehrenwerte, dem Verurteilten befreundete Männer wurden dann beauftragt, ihm den Spruch des Gerichts mitzuteilen, und ihn zu reumütigem Empfang der Sakramente zu ermahnen. War das geschehen, so wurde die weltliche Obrigkeit zu einem Termin an einen außerhalb der Kirche gelegenen Ort geladen, wo dann der Inquisitor in Gegenwart der Bevölkerung und des Verurteilten eine Predigt hielt. War dieser Kleriker, so folgte nun seine Degradation nach dem Ritus des Pontifikale und dann die Auslieferung an die zum Strafvollzug zuständige weltliche Behörde, die die Hinrichtung des Ketzers beschloß. (Fs)

Den Henkerdienst leistete die weltliche Behörde. Die Bitte des Inquisitors an sie bei der Auslieferung des Ketzers, sein Leben zu schonen, war ein grauenvoller Formalismus und ein wahrer Hohn: Sollte es einer gewagt haben, diese Formel ernst zu nehmen, wäre er selbst der Exkommunikation und der Häresieanklage verfallen. (Fs)

87b Bei der Darstellung der inquisitorischen Praxis wird häufig die Meinung vertreten, manche Häresie, manche Sekte habe eigentlich gar nicht existiert, sondern sei in die der Ketzerei Verdächtigten vom Inquisitor "hineinverhört" worden, mancher schlichte Gläubige sei durch die Verhöre, deren Fragestellung seinen intellektuellen Horizont überschritt, erst zum Ketzer gemacht worden, indem er sich hilflos im Gestrüpp diffiziler Fragen verwirrte und verirrte. (Fs)

Man hat deshalb von "ganz und gar künstlich oder halbkünstlich erzeugter Ketzerei" (Lambert) gesprochen. Doch meint auch dieser Historiker, die Inquisitoren verhielten sich Verdächtigen gegenüber nicht ausgesprochen unfair. Eine ernsthafte Gefahr bestand jedoch in Mißverständnissen und unbewußten Entstellungen, zu denen es entweder durch allzu raffinierte Befragungsmethoden kam oder durch das allzu starre Festhalten an einem vorgefaßten Bild von einer Ketzerei, wie man es aus einem Handbuch oder einer Abhandlung bekommen hatte. (Fs)

88a Ein gewisser intellektualistischer Zug, der der gesamten Inquisition anhaftete, verführte die Inquisitoren nicht selten dazu, ihre Verdächtigen für raffinierter, intellektuell geschulter zu halten, als sie es wirklich waren. Sie maßen die Angeschuldigten an ihrer eigenen Elle und überschätzten sie oft gründlich. Ein immer wieder zitiertes Beispiel eines Verhörsmusters lieferte Bernard Guy in seinem Werk über die List und Ränke der Waldenser: "Der Inquisitor befragt den von ihm Verdächtigten über die Glaubensartikel. Jener antwortet eilfertig: "Ich stehe fest im Glauben." Der Inquisitor befragt ihn über die Transsubstantiation. Jener antwortet: "Sollte ich denn das etwa nicht glauben?" Der Inquisitor entgegnet: "Ich frage dich nicht danach, ob du das glauben solltest, sondern ob du es in Wirklichkeit tust", und bekommt zur Antwort: "Ich glaube alles, was du und andere gute Lehrer mir zu glauben befehlen." Der Inquisitor hält dies für eine Ausflucht und fährt fort: 'Jene guten Lehrer, denen du zu glauben gewillt bist, sind die Meister eurer Sekte. Wenn ich so denke wie sie, dann glaubst du sowohl mir als auch ihnen; wenn ich es aber nicht tue, dann nicht." So geht das Ringen zwischen den beiden weiter, bis der listige Waldenser schließlich bei der empfindlichen Frage nach der Eidesleistung zusammenbricht. (Fs)

88b In der Tat liegen hier Probleme offen zu Tage, deren sich die Inquisitoren wohl kaum bewußt waren und die erst quellenkritische Untersuchungen sichtbar haben werden lassen. Nach Herbert Grundmann liegt den von ihm erforschten protokollierten Verhören ein Frageschema zu Grunde, das auf der gegen häretische Beginen und Begarden gerichteten Bulle "Ad nostrum" Clemens' V. von 1311 beruhte. Die Betroffenen wurden also mit der Absicht befragt, festzustellen, ob sie die in der Bulle genannten Irrlehren glaubten, um sie dann davon abzubringen. (Fs)

88c Sie wurden nicht nach dem gefragt, was sie sonst oder überhaupt glaubten, sondern ob sie die in "Ad nostrum" genannten Häresien glaubten. Das ist ein gewichtiger Unterschied! Auf diese Weise ergibt sich nämlich eine ebenso schematische Aussage, wie es eine schematische Fragestellung gegeben hatte. Übrigens weiß jeder, der je ein Protokoll angefertigt hat, wie wenig bzw. wieviel dieses von der Wirklichkeit einer Sitzung wiederzugeben vermag. (Fs)

89a Freilich stellt Grundmann im Falle eines Eichstätter Verhörs (1381) auch fest, daß der Inquisitor bemerkte, wie wenig er mit seinem Schema seinem Delinquenten gerecht wurde und ihm mit einer Zusatzfrage gleichsam eine Chance gab, sich kirchlicher Rechtgläubigkeit zu nähern. Dieser nahm die Chance wahr und wurde nach Erteilung einer Buße losgesprochen. So konnte es also auch gehen - und es hing wohl oftmals weniger von der theologisch-kanonistischen Gelehrsamkeit, sondern vom Einfühlungsvermögen eines Inquisitors ab, wie ein Verhör ablief und ausging. (Fs)

Um den Inquisitoren die Durchführung des Verfahrens zu erleichtern, wurden bald zahlreiche Handbücher verfaßt, deren Autoren meist aus eigener Erfahrung schreiben konnten. Besonders bekannt wurden das "Directorium inquisitorum" des Nicolaus Eymericus, das 1376 entstand, und die "Practica inquisitionis haereticae pravitatis" des Bernardus Guidonis, die um 1300 geschrieben wurde. Trotz diesen meist sehr detaillierten Anweisungen war es dennoch die Persönlichkeit des jeweiligen Inquisitors, von der es abhing, ob aus der Inquisition ein fanatisch gehandhabtes Schreckensregiment wurde oder ein Instrument der Seelsorge zur Beseitigung und Überwindung der Irrlehren. (Fs)

89b Es gab unter den Inquisitoren sehr gelehrte, hochangesehene Persönlichkeiten von anerkannt hohem geistigen und moralischen Rang, wie etwa in Böhmen der Dominikaner Colda von Coldiz. Dies darf bei der Würdigung des Gesamtphänomens "Inquisition" nicht außer acht bleiben. Ebenso gab es tyrannische und gemeingefährliche Typen. Von ihnen hat Robert le Petit traurige Berühmtheit erlangt. Robert stammte von katharischen Eltern und war der erste Inquisitor Nordfrankreichs. Bald sagte man - und dies keineswegs ohne Grund -, er zwinge Unschuldige zu Geständnissen, um sie dem Feuer übergeben zu können. Solch verbrecherischem Treiben machte Gregor IX. durch seine Absetzung ein Ende, von Seiten des Ordens wurde Robert eingekerkert. (Fs)

Weit differenzierter, aber deswegen auch schwieriger zu beurteilen, ist der Fall Konrads von Marburg. Er ist nicht nur als Inquisitor, sondern auch als Beichtvater der hl. Elisabeth von Thüringen bekannt und betrieb erfolgreich deren Heiligsprechung. Es ist kaum vorstellbar, daß diese außerordentliche Frau ihre religiöse Führung einem Mann mit fragwürdigem Charakter anvertraut hätte. Man hat Konrad zwar Menschenverachtung vorgeworfen, ihn gleichzeitig aber auch einen "Mann von persönlich ehrfochtgebietender Integrität" genannt (Patschovsky). Zum Inquisitor im Jahre 1227 bestellt - also erlebte Elisabeth noch vier Jahre lang sein Wirken - verbreitete er jedoch Schrecken, wohin er kam. Zugleich mit Konrad wurden auch andere Inquisitoren eingesetzt; einige Forscher meinen, daß damit die päpstliche Inquisition überhaupt ihren Anfang nahm. (Fs)

90a Die großen Mängel des Inquisitionsprozesses bestanden in der Unmöglichkeit einer Verteidigung sowie in der dem Verfahren innewohnenden Tendenz, Geständnisse auch durch Zwangsmittel zu erzielen. Vor diesem Hintergrund versteht man Bestimmungen wie jene der Synode zu Narbonne 1243, die anordnete, "niemand darf verurteilt werden ohne sonnenklare Beweise oder eigenes Geständnis. Es ist besser, eine Schandtat ungestraft zu lassen, als einen Unschuldigen zu verurteilen."
Doch war diese Mahnung keineswegs überall notwendig. Zahlreiche Inquisitoren waren in der Durchführung ihres Amtes von aufrichtigem Seeleneifer erfüllt. Der Inquisitor von Padua - ständig von Gicht und Rheuma geplagt - hat in einem Jahr (1298) 46 Orte besucht, dort gepredigt und verhört. In den zwölf Jahren seiner Tätigkeit wurden nur fünf Ketzer zum Tode verurteilt. Ähnliche Ergebnisse zeigt die Urteilsstatistik anderswo. Der wegen der Publikation seiner Akten bekannte Inquisitor Bernard Guy hat 930 Urteile gefällt, von denen 42 Todesurteile waren. 307 erkannten auf Haft, die anderen auf Wallfahrten und andere Bußwerke. 139 Fälle endeten mit Freispruch. (Fs)

90b In Carcassonne, einem Kerngebiet des Katharismus, werden von 1249 bis 1258 seitens des Inquisitors 278 Urteile gefällt, die fast alle auf "servitium in terra sancta" - Pilgerfahrt ins Heilige Land - lauteten. Für das Bistum Turin sind im ganzen 14. Jahrhundert 22 Todesurteile, 41 Bußkreuze, ca. 150 anderswie Verurteilte bekannt. (Fs)

90c Gewissenhafte Amtsführung war der Normalfall. Jedoch gab es bis zum Ende des Mittelalters schwerwiegende Fälle, in denen die Inquisition zum Werkzeug politischer Interessen gemacht wurde. Dazu gehören zum Beispiel die Vernichtung des Templerordens nach 1312, die Hinrichtung der hl. Jeanne d'Arc 1431 und die Vernichtung der Stedinger Bauern durch den Erzbischof von Bremen 1234 im Kampf um die Landesherrschaft. (Fs)

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