Datenbank/Lektüre


Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Inquisition: Todesstrafe; Bernhard von Clairvaux; Inquisition;

Kurzinhalt: Kirchliche Kreise hingegen waren nicht ohne weiteres mit der Tötung von Ketzern einverstanden gewesen. Als Beispiel hierfür sei der hl. Bernhard von Clairvaux angeführt.

Textausschnitt: Todesstrafe für Häretiker

81c Von nun an wirkten Reichs- und Kirchengewalt, wiewohl sie ansonsten einander nicht selten befehdeten, einträchtig zusammen, um die Häresie wie zwischen zwei Mühlsteinen zu zermalmen. (Fs)

81d Bereits 1213 hatte Friedrich II. dem seit 1198 regierenden Innozenz III. seinen Beistand versprochen. Je mehr sich nun in der Folgezeit sein herrscherliches Selbstverständnis und seine Staatsanschauung festigten, desto bestimmter wurde auch seine Stellung zu den Mächten, die sie bedrohten: die Häresie und das Papsttum. Für Friedrich II. schloß die Sicherung des Reiches die Verteidigung des Glaubens ein, teilte er doch durchaus die Auffassung seiner Zeit, daß der Irrlehrer sich gegen die kaiserliche Gewalt auflehnt, wenn er sich von der Kirche trennt. Schon als der junge Kaiser bei seiner Krönung im Jahre 1220 die kirchliche Bestimmung des 4. Laterankonzils gegen die Häretiker zum weltlichen Gesetz machte, hatte er die Strafen gegen die Katharer damit begründet, daß es weitaus gravierender sei, die ewige Majestät zu beleidigen als die irdische. Nun erwarteten Acht und Bann jeden Häretiker im Reichsgebiet. Besondere Bedeutung kommt einem im März 1224 an den Reichsvikar der Lombardei, den Erzbischof von Magdeburg, gerichteten Brief des Kaisers zu. Hierin droht nämlich Friedrich, nachdem er auf die erschreckende Ausbreitung der Häresie in der Lombardei hingewiesen hatte, zum ersten Mal den Ketzern die Todesstrafe an, und zwar die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. Es läßt sich leicht denken, daß eine solch drakonische Maßnahme wie der Tod auf dem Scheiterhaufen sich nicht ohne weiteres durchführen ließ. Als der Podestà von Rimini 1226 wirklich Ketzer verbrennen wollte, erhob sich ein Aufstand. Brescia wagte es erst 1230 auf Betreiben seines Bischofs, eines Dominikaners, das furchtbare Statut seinen Gesetzen einzuverleiben. Aber der Kaiser ließ sich dadurch nicht an seiner Verfolgung der Ketzer hindern. 1231 wird die Ketzerverbrennung auch für Sizilien angeordnet, im folgenden Jahr wird sie zum Reichsgesetz erhoben. (Fs)

Der Kaiser blieb der Politik gegen die Katharer zeitlebens treu, wenngleich er selbst mit dem Papsttum in tödliche Feindschaft geriet und selbst mehrfach exkommuniziert und auf dem Konzil von Lyon 1245 sogar als Ketzer und Meineidiger verurteilt und abgesetzt wurde. (Fs)

Kirchliche Kreise hingegen waren nicht ohne weiteres mit der Tötung von Ketzern einverstanden gewesen. Als Beispiel hierfür sei der hl. Bernhard von Clairvaux angeführt. Als es 1144 in Köln zu einem Pogrom kam, bei dem Ketzer gegen den Willen des Klerus von der entfesselten Volksmenge auf den Scheiterhaufen geschleppt und verbrannt wurden, weigerte sich auch Bernhard, dem Tun des Volkes zuzustimmen. "Wir billigen", schrieb er, "seinen Eifer, aber nicht, was es getan hat, denn der Glaube ist ein Werk der Überzeugung, er läßt sich nicht mit Gewalt aufdrängen."

83a Bernhards Stellung zum Ketzerproblem überhaupt können wir seinen Predigten über das Hohelied entnehmen. Obgleich der Text dieses alttestamentlichen Buches das Thema der Ketzerei keineswegs berührt, pflegte man den Vers 2,15 - "Fangt uns die kleinen Füchse, die die Weinberge verwüsten, denn unser Weinberg steht in Blüte" - in allegorischer Weise auf die Ketzer zu deuten und verband diese Stelle mit einer anderen Stelle aus dem Buch der Richter (15,3-6) über den Krieg Israels gegen die Philister: "Simson ging weg und fing dreihundert Füchse. Dann nahm er Fackeln, band je zwei Füchse an den Schwänzen zusammen und befestigte eine Fackel in der Mitte zwischen zwei Schwänzen. Er zündete die Fackeln an und ließ die Füchse in die Getreidefelder der Philister laufen. So verbrannte er die Garben und das noch stehende Korn, ebenso die Weingärten und die Ölbäume."

Als Bernhard seit 1135 über diesen Text zu predigen begonnen hatte, schickte ihm der Propst des Prämonstratenserklosters Steinfeld in der Eifel Nachrichten über häretische Umtriebe in Köln zu, weil er annahm, daß Bernhard dieses Thema abhandeln werde. In der Tat ging Bernhard darauf ein, so daß seine Ausführungen hierüber für uns die zuverlässigste und erschöpfendste Quelle für unsere Kenntnis jener Kölner Vorgänge darstellen. Hier finden wir auch (Sermo 64) seine Auffassung: "Wenn wir diese Worte im allegorischen Sinne verstehen, daß die Kirchen die Reben sind und Häresien oder vielmehr die Häretiker die Füchse, dann ist der offensichtliche Sinn, daß die Häretiker lieber ergriffen als verjagt werden müssen. Aber ich sage, man soll sie nicht mit Waffen packen, sondern mit Argumenten, um ihre Irrtümer zu widerlegen, und man soll sie, wenn man es vermag, mit der katholischen Kirche versöhnen, um sie zum wahren Glauben zurückzuführen. Wahrlich, dort liegt der Wille dessen, der will, daß alle Menschen gerettet werden und Wahrheit erfahren."

Ungeachtet dieser klaren Worte kennt Bernhard aber auch eine Grenze für das Bemühen um gewaltlose Überwindung der Ketzerei durch Überzeugung ihrer Anhänger. Wenn sich nämlich der Irrtum nicht nur hartnäckig behauptet, sondern auch andere als Anhänger zu gewinnen sucht, dann sei zu seiner Bekämpfung Gewalt am Platze. "Lieber die Ketzer mit dem Schwert unterdrücken, mit dem Schwert, das der Fürst nicht vergeblich fuhrt, ehe wir ihnen erlauben, die anderen durch ihre Irrtümer mitzureißen." Jedoch läßt der Abt von Clairvaux hier offen, ob die Drohung mit dem "Schwert des Fürsten" bis zur Hinrichtung gehen dürfe. (Fs)

84a Erst die Vertreter der aufblühenden Kanonistik trieben die Reflexion über die Berechtigung der Todesstrafe für Ketzerei weiter voran. Wenn auch immer wieder Einwände und Vorbehalte im Sinne der Lehre und Praxis der frühen Kirchenväter erhoben wurden, so war man auf dem 4. Laterankonzil (1215) soweit, daß der Jurist Johannes Teutonicus sich in der Lage sah, der Todesstrafe für Häretiker zuzustimmen, wenn keine Hoffnung auf Besserung mehr bestehe. (Fs)

Die Verschärfung des Verfahrens gegen die Häretiker mag von der Härte und Strenge des Alten Testaments (Todesstrafe für Götzendiener und Gotteslästerer) beeinflußt gewesen sein. Entscheidend war jedoch die Rezeption des Römischen Rechts. Christliche Kaiser wie Gratian und Theodosius hatten Gesetze erlassen, die die Häretiker mit Gottesdienstverbot, Konfiskation, Verlust der Testierfreiheit oder Verbannung bestraften. Anfangs des 5. Jahrhunderts wurde gegen Donatisten und Manichäer sogar die Todesstrafe verhängt. Diese Gesetze erscheinen dann im "Corpus Juris Civilis" Kaiser Justinians zusammengefaßt. Häresie galt als "crimen laesae maiestatis" - als Majestätsverbrechen. (Fs)

84b In der Antike hatten zwar diese Gesetze wegen weitgehenden passiven Widerstands der Kirche keine Anwendung gefunden; aber als nun die hochmittelalterliche Renaissance des Römischen Rechts einsetzte, entdeckten die Kanonisten und Juristen des 12. Jahrhunderts auch diese alten Ketzergesetze wieder - und das gerade zu jener Zeit, als die Bekämpfung der Ketzerei höchst aktuell geworden war. Den Stand der Diskussion am Ende des 12. Jahrhunderts kennzeichnet Papst Innozenz III., indem er die Häresie neben das "crimen laesae maiestatis" stellt - ohne vorerst noch die Konsequenz der Todesstrafe für Häretiker daraus zu ziehen. Er schreibt am 25. März 1199: "Nach zivilem Gesetz werden Majestätsverbrecher mit dem Tode bestraft und ihre Güter beschlagnahmt... Mit wieviel mehr Grund müssen die, welche den Glauben verraten, Jesus, den Sohn Gottes, beleidigen, von der christlichen Gemeinschaft ausgeschlossen und ihrer Güter beraubt werden, denn es ist unendlich schwerwiegender, die göttliche als die menschliche Majestät zu beleidigen."

Die Inquisition

85a Offensichtlich hatte Papst Gregor IX. (1227-1241), ein gelehrter Kanonist, die Erfahrung gemacht, daß die Ketzerdekrete von Verona zur Bekämpfung der Häresie von manchen Bischöfen nicht konsequent angewandt wurden. Die Bischöfe entstammten ja den führenden Schichten ihrer Heimatländer und waren auf vielfache Weise mit deren Gesellschaft verbunden und ihr verpflichtet. Verwandtschaftliche Beziehungen vielfältigster Art mochten manchen Bischof hindern, einzugreifen, wo es nötig gewesen wäre. (Fs)

Nun stellte Gregor IX. die eben entstandenen Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner in den Dienst der Ketzerbekämpfung. Friedrich II. schickte den Dominikanerkonventen mehrerer deutscher Städte, nachdem der Papst seit November 1231 mehrfach Dominikaner mit der Inquisition beauftragt hatte, ein neues, die bisherigen Gesetze verschärfendes Ketzergesetz: Häuser von Ketzern sind zu zerstören, ein Ketzer kann durch den anderen überfuhrt werden, Kinder und Erben verlieren alle Ämter und Würden, es sei denn, Kinder zeigen die Eltern an. (Fs)

85b Es handelt sich nun nicht mehr darum, daß angezeigte Häretiker verhört, bekehrt oder abgeurteilt werden sollten: Es wurde Inquisition vorgenommen, d. h. nach Ketzern geforscht. Diese Dominikaner-Inquisition war von Gregor IX. nicht als eine Schmälerung der bischöflichen Jurisdiktion, sondern als Ergänzung derselben gedacht gewesen. Indessen war die Durchführung der Inquisition in den einzelnen Ländern verschieden. Der einzelne Inquisitor wurde im Auftrag des Papstes von seinen Ordensoberen ernannt. Als Eigenschaften, die ihn auszeichnen sollten, werden außer einem Lebensalter von wenigstens 40 Jahren aufgezählt, daß er Magister der Theologie sein müsse, sich durch Sittenreinheit, Einsicht, Ehrenhaftigkeit, Lebenserfahrung und theologische wie kanonistische Bildung auszuzeichnen habe. (Fs)

Aufgabe des Inquisitors war es nun, die Ketzer aufzuspüren und sie zum rechten Glauben zurückzuführen. Gelang dies nicht, so folgten Untersuchung, Urteil und Strafe. Bei diesem Verfahren war der einzelne Inquisitor streng an die geltenden Vorschriften gebunden. Übertrat er sie, wurde er selbst zur Rechenschaft gezogen und bestraft. (Fs)

86a Andererseits aber besaß der Inquisitor besondere Vollmachten. So konnte er die Durchfuhrung seiner Anordnungen durch Androhung oder Verhängung kirchlicher Strafen durchsetzen, und kein anderer Prediger durfte am Ort die Kanzel besteigen, wenn zu gleicher Zeit der Inquisitor dies in Ausübung seines Amtes tat. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt