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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Kirche - Neuaufbruch: Faktoren; Glaubensgewissheit; Bindung an Rom; Folgerungen für die Gegenwart

Kurzinhalt: Nun aber stellt sich die Frage nach den bewegenden Kräften solcher Neuaufbrüche. Dabei fallen zwei Momente besonders ins Auge: Erneuerte Glaubensgewißheit und enge Bindung an Rom.

Textausschnitt: Kräfte und Faktoren

60a Nun aber stellt sich die Frage nach den bewegenden Kräften solcher Neuaufbrüche. Dabei fallen zwei Momente besonders ins Auge: Erneuerte Glaubensgewißheit und enge Bindung an Rom. (Fs)

Nun, was das Mittelalter, also die Reform des hl. Bonifatius, die karolingische Renaissance, betrifft, war Glaubensgewißheit eine Selbstverständlichkeit; die Wirklichkeit Gottes und der Übernatur anzuerkennen, fiel auch den heidnischen Germanen und Kelten nicht schwer. Die kraftvolle Überlegenheit des Christengottes erlebten sie wie etwa Chlodwig in der siegreichen Schlacht oder wie die Sachsen, die Zeugen waren, als Bonifatius die Donareiche fällte. Von ganz anderer Qualität war jene erneuerte Glaubensgewißheit, die die Katholischen unter den Zeitgenossen des Konzils von Trient beseelte. Jahrzehntelang den Angriffen Luthers, Calvins, Zwingiis und ihrer Anhänger ausgesetzt, waren sie in ihrer Glaubensüberzeugung tief verunsichert worden. War der mit Begeisterung, Gewalt und Erfolg verkündete neue Glaube nicht doch der eigentlich wahre? War die Kritik der Neuerer an Papsttum, Kirche, Sakramenten nicht doch berechtigt? Hatte Rom sich nicht tatsächlich vom Evangelium entfernt? Und: entsprach das neue Evangelium nicht in Wahrheit einer Forderung der neuen Zeit? (Fs) (notabene)

Es war eben diese Unsicherheit im Glauben gewesen, die zur Verwirrung der Geister geführt und so eine entschiedene Antwort auf die reformatorische Herausforderung zunächst unmöglich gemacht Jiatte. Nun aber hatte das Konzil von Trient gesprochen, die Grenze zwischen dem Irrtum und der katholischen Wahrheit gezogen und diese aufs neue auf den Leuchter gestellt. Alle Welt wußte nun, was wahrer katholischer und apostolischer Glaube war. Ungewißheit und Unklarheit lähmten nicht mehr die Kräfte; neue Freude am Glauben beflügelte sie, und es geschah das "Wunder von Trient". (Fs)

61a In ähnlicher Weise verhielt es sich mit dem Neuaufbruch nach der Französischen Revolution. Auch zu dieser Zeit war der katholische Glaube angefochten und bedroht. Diesmal war der Angriff im Namen der Vernunft erfolgt. Finsterlinge, Obskuranten nannte man die Gläubigen, der Glaube selbst galt einem Voltaire als "Fanatisme" -und für solche, die dem hellen, klaren Licht der Vernunft widerstrebten, sollte in einer aufgeklärten modernen Welt kein Platz mehr sein. "Ecrasez l'infäme", "die Pfaffen an die Laterne" - Kampfrufe der aufgeklärten Bataillone. (Fs)

Leicht zu ermessen, welche Wirkung diese mit dem Pathos grenzenloser Überlegenheit verkündeten Parolen auf die Gläubigen hatten, haben mußten! War man nicht in der Tat zurückgeblieben, während der Fortschritt davoneilte? Wer wollte, schließlich, nicht auch aufgeklärt sein, als aufgeklärt gelten?! Einschüchterung griff um sich, die Stimme des Glaubens verstummte. Hatte man überhaupt noch Argumente für ihn? (Fs) (notabene)

61b Als jedoch der Terror der Vernunft abgeebbt, die Guillotine zur Ruhe gekommen war, griff die Erkenntnis um sich, daß jene Göttin Vernunft keine Freundin des Menschen war. Die in härtester Verfolgung bewährten Katholiken, die sich auch der aufklärerischen Bestreitung ihres Glaubens hatten stellen und überzeugende Argumente für seine Begründung hatten finden müssen, konnten nun in neu gefestigter Glaubensgewißheit der Welt entgegentreten, und die Botschaft des Glaubens fand neues Gehör. (Fs) (notabene)

61c Gemeinsam ist all diesen Neuaufbrüchen - von denen nur deren drei hier vorgestellt werden konnten - ein weiteres Element: Es ist dies die bewußte und enge Bindung an Rom, an das Papsttum. Schon die angelsächsische Kirche des 7. Jahrhunderts, aus welcher Bonifatius, der Apostel der Deutschen, stammte, hatte sich durch eine besondere Verehrung des Apostelfursten Petrus ausgezeichnet. Von Rom aus hatte, durch Papst Gregor den Großen initiiert, die zweite Christianisierung der Britischen Inseln ihren Lauf genommen, nach Rom zogen alsbald die Pilger zum Grabe des Apostels. (Fs) (notabene)
Römische Liturgie, römisches kirchliches Recht, römische gelehrte Überlieferung prägten das Leben der englischen Kirche - und Bonifatius, im Strome dieser Überlieferung stehend, legte den Grund für eine ähnliche Entwicklung in Germanien. Er selbst war dreimal in Rom gewesen und hielt zeit seines Lebens engsten Kontakt mit den Päpsten. Sein Briefwechsel legt hierfür Zeugnis ab. (Fs)

61a Nicht anders handelte Karl der Große, der zwar die Päpste seine Macht spüren ließ, dennoch aber römische Liturgie, römisches Kirchenrecht und römische Kultur zur Grundlage des Aufbaus im Frankenreich machte. Damit vollendete Karl der Große das Werk des hl. Bonifatius, dessen beständiges Streben es gewesen war, die nur locker mit Rom verbundene fränkische Landeskirche aus ihrer provinziellen Enge herauszuführen und ihre Bindung an das römische Papsttum immer enger zu knüpfen. In der damit gewonnenen weltkirchlichen Weite konnte jene überaus fruchtbare Synthese von Germanentum und römischer, klassischer wie christlicher Überlieferung entstehen, die zu der staunenswerten Blüte führte, von der die Rede war. (Fs)

61b Auch auf das zweite Beispiel, das wir angeführt haben, auf das "Wunder von Trient", trifft es zu, daß ein wesentlicher Faktor für diesen Neuaufbruch nach der Reformation der enge Anschluß an Rom, an die Päpste, war. Der Historiker weiß, daß angesichts der dramatischen Lage des Katholizismus im Reich von Pius V. eine Kardinalskongregation, die "Congregatio Germanica", eingerichtet wurde, die sich speziell um Deutschland zu kümmern hatte und Maßnahmen zur Erneuerung des katholischen Lebens erarbeiten sollte. (Fs)

Insbesondere aber waren es die Nuntien, seien es jene von Köm und Wien, seien es eigens mit bestimmten Aufträgen in einzelne Territorien entsandte, die unermüdlich auf die Durchführung der Reformdekrete des Konzils von Trient drängten. In Dillingen an der Donau, in Fulda, in Braunsberg wurden von Rom finanzierte päpstliche Priesterseminarien errichtet, und in Rom selbst das "Collegium Germanico-Hungaricum", aus dem vom 16. bis zum 19. Jahrhundert eine große Zahl eifriger, gebildeter und frommer Priester nach Deutschland entsandt werden konnte, die dann in der Heimat Schlüsselpositionen einnahmen und so die Reform vorantrieben. (Fs)

61c Der Fall des nachrevolutionären Frankreich war anders gelagert. Hier vollzog sich gerade im Zuge der revolutionären Verfolgung ein bemerkenswerter Umschwung. Die "Ecclesia Gallicana" hatte sich immer ihrer möglichst weitgehenden Unabhängigkeit von Rom gerühmt. Nun, in der Stunde der Not, formierte sich die katholische Untergrundbewegung unter folgender Devise: "Gehorche den Menschen, zuerst aber Gott. Bekenne einen Glauben - den von Rom allein. Unterwirf dich dem Papst und gleichermaßen dem Bischof. In ihnen allein erkenne die Kirche und ihre Hirten ..."

63a Als dann Pius VII. im Jahre 1804 gezwungenermaßen und unter großen Schikanen zur Krönung Napoleons nach Paris reiste, schlug ihm eine Welle gläubiger Begeisterung entgegen - ein Anzeichen jener oft abwertend Ultramontanismus genannten Bewegung, die schließlich die ganze katholische Welt erfaßte und die dem einzelnen Gläubigen sein persönliches Verbundensein mit dem obersten Hirten der Kirche bewußtmachte. (Fs)
Gerade dieses Bewußtsein ließ die Katholiken all den Verfolgungen, denen sie im 19. Jahrhundert und später ausgesetzt waren, standhalten - denken wir nur an Bismarcks Kulturkampf, in dessen Verlauf mehr Bischöfe und Priester im Gefängnis waren als in Hitlers Konzentrationslagern. (Fs)

Folgerungen

63b Aus diesen Erfahrungen, die die Kirche im Laufe ihres zweitausendjährigen Lebens gemacht hat, sind nun die Folgerungen für unsere Gegenwart zu ziehen. Es gilt also, als erstes, eine kopernikanische Wende zu vollziehen: Nicht die Erde, nicht der Mensch steht im Mittelpunkt. Die alles beherrschende Wirklichkeit ist Gott. Die ersten Vaterunser-Bitten sind von höchster Aktualität: dein Name - dein Reich - dein Wille! Schluß mit der Selbstvergötzung des Menschen! Das ist das Programm für einen echten Aufbruch aus der Tiefe des Glaubens! (Fs) (notabene)

Dieser Aufbruch muß dann Theologie und Liturgie sowie das Gebetsleben und die alltäglichen sittlichen Entscheidungen erfassen - und die Vaterunser-Bitten werden beginnen, sich zu erfüllen. (Fs)

Alsdann gilt es, im kirchlichen Alltagsleben Rom, den Papst nicht mehr als lästige Kontrollinstanz, als Fessel für die Entfaltung der Ortskirchen zu betrachten, sondern als Mittelpunkt der weltweiten Kirche, von dem aus Impulse, Ermutigung und Weisung zugunsten aller ausgehen. Die zwei Millionen des Weltjugendtages in Rom im Heiligen Jahr hatten das begriffen. Voll Begeisterung für Christus sind sie heimgekehrt. (Fs)

64a Und schließlich sollten wir endlich aufhören, jenem Kaninchen zu gleichen, das voll Angst die Schlange anstarrt, ehe es von ihr gefressen wird. Dieser Defaitismus, dieses weinerliche Selbstmitleid, die namentlich im deutschen Katholizismus um sich gegriffen haben, sind eine Beleidigung Gottes. Was not tut, ist ein neues, kraftvolles katholisches Selbstbewußtsein. Es gibt nichts, das wahrer wäre als der katholische Glaube - und überall dort, wo katholische Wahrheit, katholische Lebensgrundsätze verwirklicht werden, kommt, trotz aller menschlichen Unzulänglichkeiten, die Welt in Ordnung. (Fs)

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