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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Papst, Papsttum - organische Entfaltung, Kritik

Kurzinhalt: Entwicklungsprozesse innerhalb dieses innersten Wesensbereichs der Kirche können also gar nichts anderes sein als authentische Entfaltung des schon von Anfang an in ihr durch Christus Angelegten - vergleichbar mit der Entfaltung eines Organismus ...

Textausschnitt: Organische Entfaltung

31a Was demgegenüber zu Tage tritt, ist eine Entfaltung des Petrusamtes, die parallel zu der Entwicklung der Kirche als ganzer von der Jerusalemer Jüngergemeinschaft bis zur Weltkirche des 21. Jahrhunderts verläuft. In diesem Verlauf verdichtete sich das ursprüngliche Wissen um eine "religiös-geistliche Bedeutsamkeit der römischen Kirche" zu der Einsicht, daß "Rom als Ort privilegierter Tradition" zu gelten habe, weshalb es immer mehr auch als "Zentrum der Communio" erkannt und anerkannt wurde, von wo in zunehmendem Maße die "Leitung der Gesamtkirche" ausgeübt wurde. Das aber war spätestens seit Leo dem Großen der Fall (K. Schatz). (Fs)

Katalysatoren für diesen Prozeß waren die sich immer häufiger und dringender ergebenden konkreten Probleme der kirchlichen Gemeinschaft, die Notwendigkeit, Häresien abzuwehren, die Einheit der Communio zu wahren und die Unabhängigkeit von weltlichen Mächten zu sichern. Bemerkenswert ist hierbei, daß im Laufe all der Jahrhunderte kein anderer Bischofssitz jemals einen gleichen Anspruch erhoben hat wie Rom. (Fs)

31b Wie ist dies nun theologisch zu beurteilen? Wenn wir von der Stiftung der Kirche durch Jesus Christus ausgehen und dessen Verheißungen an die Kirche - er werde bei ihr bleiben bis zum Ende der Welt, er wolle ihr den Heiligen Geist als Beistand senden, die Mächte der Unterwelt würden sie nicht überwältigen - dann ist es schlechterdings nicht denkbar, daß diese Kirche im Laufe der Geschichte jemals so verändert werden könnte, daß dies einen Verlust ihrer Identität mit sich brächte. Das heißt, daß es in ihrem Dogma, ihrem sakramental-hierarchischen Gefüge jemals zu solchen Fehlentwicklungen kommen könnte, die zum Verlust ihrer Identität führen könnten. Entwicklungsprozesse innerhalb dieses innersten Wesensbereichs der Kirche können also gar nichts anderes sein als authentische Entfaltung des schon von Anfang an in ihr durch Christus Angelegten - vergleichbar mit der Entfaltung eines Organismus gemäß seinem genetischen Code. (Fs)

32a Wenn nun also mehrere Allgemeine Konzilien, die ja Organe des unfehlbaren Lehramts der Kirche sind, diesen Primat des Bischofs von Rom in immer präziseren Formulierungen gelehrt haben, dann gehört der Primat des Papstes zum unaufgebbaren Glaubensgut der Kirche Jesu Christi. (Fs)

Der Protest dauert an

32b Was dessen ungeachtet bleibt, ist - so H. U. v. Balthasar - der "antirömische Affekt", der sich die Jahrhunderte hindurch immer wieder wahrnehmen läßt. "In der Tat, was bleibt den von Rom getrennten, nach verschiedenen Seiten auseinanderstrebenden Kirchen gemeinsam als die Ablehnung des ... Zentrums, dessen Anspruch auf gottgegebene Vollmacht das Nein der Abgeschwenkten wachhält und verbittert?" Zu diesem Nein von außen gesellt sich heute in besonderem Maße der Protest gegen den Papst aus dem Inneren der Kirche, und es scheint, als formiere sich hier eine Anti-Ökumene, als deren gemeinsame Basis nun freilich nicht das Ja zum katholischen Glauben, sondern die Absage an den Papst erscheint. So erweist sich der Felsen Petri immer wieder als "Stein des Anstoßes", als "ein Fels, an dem man zu Fall kommt" und ein "Zeichen, dem widersprochen wird". Da zeigt es sich nun wirklich, daß der Jünger nicht über dem Meister ist und des Meisters Schicksal teilen muß. Aber gerade darin erweist sich ja auch die Echtheit seines Jünger-Seins. Das Papsttum - und jeder einzelne Papst - hat also Anteil am "Scandalum incarnationis": "Ist dieser nicht des Zimmermanns Sohn?" (Mt 13,55). Ebensowenig wie Jesu Gegner bereit oder in der Lage waren, das göttliche Geheimnis seiner Person zu erkennen, vermögen auch die vielen außer- und innerkirchlichen Gegner des römischen Papsttums es nicht, dahinter mehr zu sehen als menschliche, allenfalls historisch gewordene Machtstrukturen. (Fs)

Natürlich ist sofort zuzugeben, daß es eine Reihe von psychologischen Entschuldigungsgründen dafür gibt, den päpstlichen Anspruch unerträglich zu finden, stützt sich der Protest doch zumeist auf das Wie der Ausübung römischer Autorität. Schroff, hart, sogar im Dienste politischer, finanzieller, egoistischer Interessen wurde diese Autorität im Laufe der Geschichte immer wieder ausgeübt, manchmal gar mißbraucht. Und: gab es nicht gar Päpste, die ihren Anspruch, Christi Stellvertreter zu sein, durch ein Leben desavouierten, das den Geboten Gottes widersprach? Daran besteht kein Zweifel. Es besteht aber auch kein Zweifel daran, daß Gott sich schwacher Menschen bedient, wenn er sein Heilswerk verwirklicht. Petrus selbst hatte seine Zerbrechlichkeit bewiesen, ehe er dennoch zum Fels, zum Schlüsselträger und Hirten der Kirche Christi gemacht wurde. So enthüllt sich der antirömische Affekt letztlich doch bloß als Spezialfall des Protestes gegen den als Mensch unter uns erschienenen Gott und seine Offenbarung. (Fs)

35a Daß aber auch das im Heilsplan Gottes angelegt ist, ist nicht zu bezweifeln. Wäre noch zu fragen: Wozu soll dieses Ärgernis dann gut sein?

Wiederum blickt von Balthasar sehr tief, wenn er daraufhinweist, wie unerbittlich Gott selber den Patriarchen, dem Mose, den Propheten - und vor allen anderen dem Gottesknecht schlechthin, Jesus, geradezu rücksichtslos Gehorsam abgefordert hat, und wie in der Folge Jesus selbst mit Petrus umspringt: "Als käme es überall darauf an, den rücksichtslosen Ungehorsam Evas und Adams durch einen ebenso rücksichtslos geforderten Gehorsam zu überwinden." Der Mensch, der seinem Schöpfer nicht gehorchen wollte, weil er selber sein wollte wie Gott, muß nun einem Menschen gehorchen, wenn er - aus Gnaden - der göttlichen Natur teilhaftig werden will. (Fs)

35b Der Petrusdienst, der römische Primat, hat also Anteil am "Mysterium Kirche", am "Geheimnis der Erlösung". Auch er erschließt sich nur im Glauben. Aus einer gläubigen Schau des Papsttums aber ergibt sich fernab von allem oberflächlichen Papst-Personenkult jene Ehrfurcht, jener Gehorsam, ja jene Liebe, womit der Katholik dem Stellvertreter Christi begegnet. (Fs)

35c Nicht zuletzt motiviert ihn dazu auch die geschichtliche Erfahrung, daß die Stürme zweier Jahrtausende den Felsen Petri nicht erschüttern konnten, auf den der Herr seine Kirche gebaut hat. So gilt denn auch für die Zukunft: "Non praevalebunt" - sie, die Mächte der Unterwelt, werden sie nicht überwältigen. (Fs)

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