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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Papst, Papsttum - geschichteliche Wurzeln; vom 1. Clemensbrief zum Vatikanum 1

Kurzinhalt: Mit dem 1. Clemensbrief stehen wir an der Schwelle der eigentlichen Apostelzeit. Johannes lebte noch in Ephesus, das von Korinth halb so weit entfernt war wie Rom, und nicht er, sondern Rom griff in Korinth ein. Aber gerade das Johannesevangelium ...

Textausschnitt: Tiefe Wurzeln

25b Versuchen wir nun auch diesen historischen Aufweis. Vom 1. Vatikanum aus rückwärtsschreitend stellen wir fest, daß sein Vorgängerkonzil, nämlich jenes von Trient, dieses Thema nicht einmal ausdrücklich behandelt hat, dennoch aber durch seine Strukturen und seinen Verlauf den Einfluß der Päpste deutlich erkennen läßt. Das ein halbes Jahrhundert vorher zu Ende gegangene 5. Laterankonzil hatte bereits die endgültige Überwindung des Konziliarismus gebracht, nachdem das Konzil von Florenz 1439 im Zusammenhang . mit der Union mit der Kirche des Ostens gelehrt hatte: "Ebenso bestimmen wir, daß der heilige Apostolische Stuhl und der römische Bischof den Primat über den ganzen Erdkreis innehat und der römische Bischof selbst der Nachfolger des seligen Apostelfürsten Petrus und der wahre Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche und der Vater und Lehrer aller Christen ist; und ihm ist von unserem Herrn Jesus Christus im seligen Petrus die volle Gewalt übertragen worden, die gesamte Kirche zu weiden, zu leiten und zu lenken ..." Diese Sätze sind Inhalt der Unionsbulle "Laetentur caeli", die auch von der orthodoxen Konzilsgesandtschaft samt dem Kaiser von Byzanz mitunterschrieben ist. (Fs)

27a In deutlicher Zuspitzung auf das oberste Lehramt des Papstes hatte zuvor schon das 2. Konzil von Lyon (1274), das gleichfalls von einer orthodoxen Gesandtschaft besucht war, wie folgt gelehrt: "Die heilige Römische Kirche hat den höchsten und vollen Primat und die Herrschaft über die gesamte katholische Kirche inne; sie ist sich in Wahrheit und Demut bewußt, daß sie diesen Primat vom Herrn selbst im seligen Petrus ... dessen Nachfolger der römische Bischof ist, zusammen mit der plenitudo potestatis empfangen hat. Und wie sie vor den übrigen gehalten ist, die Wahrheit des Glaubens zu verteidigen, so müssen auch eventuell auftauchende Fragen bezüglich des Glaubens durch ihr Urteil entschieden werden." Zugleich wird betont, daß die Römische Kirche höchstrichterliche Instanz ist, ihr aber alle anderen Kirchen unterstellt sind. (Fs)

Schließlich ist das Glaubensbekenntnis zu nennen, das von Papst Hormisdas am 11. August 515 formuliert worden und von den aus dem akazianischen Schisma zurückkehrenden Klerikern zu unterschreiben war. In dieser Formel, die 519 von Kaiser und Patriarch von Konstantinopel samt mehr als zweihundert Bischöfen des Ostens unterzeichnet und noch einmal auf dem 4. Konzil von Konstantinopel 869 bekräftigt wurde, wird bekannt, daß beim Apostolischen Stuhl die katholische Wahrheit immer unversehrt bewahrt geblieben und in der Gemeinschaft mit ihm die volle und wahre Festigkeit der christlichen Religion zu finden ist. Über den Spruch unseres Herrn Jesus Christus: "Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen", dürfe man nicht hinweggehen. Damit war Rom als letzte Norm der Glaubenswahrheit und der kirchlichen Gemeinschaft anerkannt. (Fs)
Diese Überzeugung war jedoch keineswegs neu. Papst Leo der Große hatte ja schon um die Mitte des 5. Jahrhunderts, namentlich bei seinem Bestreben, den Glaubenslehren des Konzils von Chalkedon Geltung zu verschaffen, dem päpstlich-petrinischen Selbstverständnis klassischen Ausdruck verliehen. (Fs)

Nun wird dies alles auch gar nicht bestritten. Bestritten wird hingegen, daß dieser Primat im ursprünglichen apostolischen Glauben verwurzelt ist und auf den Stifterwillen Jesu Christi zurückgehe. Legitime Entfaltung - oder pathologische Wucherung, das ist nun die Frage. Untersuchen wir also die ältesten Zeugnisse für das Amt der Petrusnachfolge - wobei freilich nur die wichtigsten vorgestellt werden können. (Fs)

28a Der erste Zeuge sei der Bischof Irenäus von Lyon, der um das Jahr 202 das Martyrium erlitten hat. Seiner Feder verdanken wir unschätzbare Zeugnisse für den Glauben der Kirche des 2. Jahrhunderts, die er in seinem Werk "Adversus haereses" - "Wider die Irrlehren" - bietet. Hier kommt er auch auf Rom zu sprechen. Er schreibt: "... mit dieser Kirche muß wegen ihres machtvollen. Vorranges jede andere Kirche übereinstimmen, d. h. die Gläubigen allüberall. Denn in ihr wurde vor den Gläubigen allüberall die apostolische Tradition bewahrt."

Nun wird immer wieder versucht, dieses an sich klare Zeugnis für einen Leitungsvorrang und den normativen Charakter der Kirche von Rom in seiner Aussagekraft abzuschwächen. Da sagt man einmal, Irenäus meinte, daß man die wahre apostolische Tradition bei den von Aposteln gegründeten Kirchen suchen müsse. Das sei natürlich Rom - aber auch Ephesus, Korinth oder Antiochien. An eine solche Kirche müsse man sich wenden! Aber gerade das sagt Irenäus eben nicht! Er sagt vielmehr, daß es diese (!) römische Kirche sei, die als Hort der wahren Überlieferung zu gelten habe. Rom wird hier keineswegs nur als das dem Bischof von Lyon nächstlie-gende Beispiel einer apostolischen Kirche angeführt oder deswegen, weil gleich zwei Apostel, Petrus und Paulus, dort gewirkt hatten. Aber auch Ephesus konnte sich auf zwei Apostel berufen - Paulus und Johannes -, ohne daß man Ephesus eine "potentior principalitas" - einen machtvollen Vorrang - zuerkannt hätte - es geht eben doch um Petrus! Und um die ganze Kirche, denn sogleich im nächsten Satz sagt Irenäus, die Apostel hätten dann dem Nachfolger des Petrus, Papst Linus, "episcopatum administrandae ecclesiae" übertragen, das Leitungsamt für die Kirche - nun aber nicht für diese römische Kirche, sondern für die Kirche schlechthin. Sodann meint man, Irenäus habe hier nur eine Vorrangstellung Roms über die Kirchen des Westens im Auge. Nun, auch das ist nicht zu beweisen. (Fs)

In dieser Stelle aus "Adversus haereses" liegt uns also ein Zeugnis aus der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts für die gesamtkirchliche Vorrangstellung der römischen Kirche - und das heißt ihres Bischofs - vor. Gleiches ergibt sich aus der Auseinandersetzung zwischen Bischof Polykrates von Ephesus und Bischof Viktor von Rom über den rechten Ostertermin in den Jahren 189 bis 199. Folgten die , Kirchen in der Provinz Asia darin dem jüdischen Kalender, so feierten die übrigen Kirchen Ostern am Sonntag nach dem Frühlingsvollmond, wie wir es noch heute tun. (Fs)

29a Aus den uns in der Kirchengeschichte des Eusebius (4. Jahrhundert) überlieferten Nachrichten über diesen sehr heftigen Streit geht zunächst hervor, daß Viktor von Rom sich befugt wußte, die Kirchen in der Asia in dieser Sache zur Ordnung zu rufen. Er verlangte von Bischof Polykrates, eine Synode einzuberufen - und dieser tat es, die übrigen Bischöfe folgten. In der Sache selbst widersetzten sie sich vehement der römischen Forderung, worauf Viktor die Gemeinden Asias exkommunizierte, was wiederum den Protest vieler hervorrief-auch den des schon genannten Irenäus von Lyon. So sehr nun aber viele die Unbedachtsamkeit und Schroffheit Viktors kritisierten und ihn zum Einlenken zu bewegen suchten, so wenig bezweifelten sie die Vollmacht Viktors zu solchem Vorgehen. Dieser hob denn auch seine Entscheidung keineswegs auf - und schließlich setzte sich, vom Konzil von Nicaea 325 bestätigt, die römische Praxis allgemein durch. (Fs)

Gehen wir aber nun an den Anfang des 2. Jahrhunderts zurück, so stoßen wir auf den Bischof Ignatius von Antiochien, der um das Jahr 109 zu Rom das Martyrium erlitten hat. Von ihm sind Briefe an mehrere Gemeinden erhalten, darunter einer an die Gemeinde zu Rom. Dieser unterscheidet sich nun in mehrfacher Hinsicht von den übrigen Briefen. Enthalten diese alle nachdrückliche Ermahnungen und Warnungen vor Irrlehren, so findet sich in jenem an die Römer davon keine Spur. Statt dessen lesen wir darin hohe Lobeserhebungen. (Fs)

Insbesondere aber ist es die Eingangspassage, die hier interessiert. Nicht nur, daß Ignatius die römische Gemeinde als ein Vorbild christlicher Einigkeit und unüberwindliches Bollwerk gegen alle Häresien rühmt, er sagt von ihr auch, daß sie das Gesetz Christi habe - offenbar in einer qualifizierten Art und Weise, die sie von den anderen Kirchen unterscheidet. Vor allem aber ist es von Bedeutung, wenn er sagt, daß die römische Kirche den Vorsitz fuhrt. Daß auch diese vom Bischof der im Osten gelegenen und berühmten Kirche von Antiochien ausgesprochene Überzeugung keineswegs eine Neuerung darstellte, sondern auf genuiner Überlieferung beruhte, zeigt uns der mehr als zehn Jahre vor den Ignatiusbriefen entstandene sog. 1. Clemensbrief. (Fs)

30a Clemens von Rom - und darum geht es hier - verlangte darin von Aufrührern in der Kirche von Korinth nicht nur die Unterwerfung unter die von ihnen vertriebenen Presbyter. Er verlangt von ihnen nichts weniger als die Auswanderung aus Korinth. Außer in dieser mit Sanktionen bewehrten Gehorsamsforderung wird das Autoritätsbewußtsein auch im folgenden Satz sichtbar: "Ihr werdet uns große Freude bereiten, wenn ihr dem gehorcht, was wir unter Leitung des Heiligen Geistes geschrieben haben ..." Daß hier durchaus mit Autorität nicht nur geschrieben, sondern auch gehandelt wird, geht daraus hervor, daß es von den Überbringern des Briefes Claudius Ephebus, Valerius Biton und Fortunatus heißt: "Schickt (sie) uns bald in Frieden und Freude zurück, damit sie uns umgehend melden, daß der von uns heiß ersehnte Friede und die Eintracht hergestellt sei und wir uns um so schneller über die gute Ordnung bei euch freuen können." So wird in freundlich-bescheidener Form unverzügliche Durchführung und Vbllzugsmeldung gefordert, wobei der Absender keinen Augenblick zweifelt, daß dies erfolgen werde. (Fs)

30b Um die ganze Tragweite dieses Briefes zu ermessen, muß auch beachtet werden, daß Korinth ebenfalls eine Apostelgründung, ja die Paulusgemeinde schlechthin war und sogar älter als jene von Rom. Außerdem gibt es keinerlei Hinweis, daß die Korinther ein römisches Eingreifen erbeten oder, als es erfolgt war, es zurückgewiesen hätten. Bemerkenswert ist auch, daß der römische Absender keinerlei Notwendigkeit erblickt, sein Eingreifen in Korinth zu rechtfertigen. Und: noch hundert Jahre nach seiner Abfassung wurde dieses Schreiben im Gottesdienst der Gemeinde von Korinth gleich den Heiligen Schriften vorgelesen, wie Bischof Dionysios an Papst Soter schreibt. Noch Irenäus kennt den Brief- er nennt ihn "potentissimas litteras" - einen überaus machtvollen Brief. (Fs)

30c Mit dem 1. Clemensbrief stehen wir an der Schwelle der eigentlichen Apostelzeit. Johannes lebte noch in Ephesus, das von Korinth halb so weit entfernt war wie Rom, und nicht er, sondern Rom griff in Korinth ein. Aber gerade das Johannesevangelium enthält ja jenes 21. Kapitel, in dem der Auftrag Jesu an Petrus zu lesen ist: "Weide meine Lämmer."

Gegenüber den angeführten historischen Zeugnissen für einen gesamtkirchlichen Leitungsvorrang der römischen Kirche, des Bischofs von Rom, wird nun sogleich der Einwand erhoben, daß hier keinesfalls ein Jurisdiktionsprimat gemeint sei, wie er seit dem 1. und 2. Vatikanum beansprucht wird. Deshalb sei ein solcher auch nicht auf Jesus Christus zurückzuführen, sondern lediglich Ergebnis einer menschlich-historischen Entwicklung. Darum - so wird gefolgert - könne, müsse er auch unter entsprechenden Voraussetzungen, etwa um der Ökumene willen, wieder auf sein ursprüngliches Maß beschränkt oder gar abgeschafft werden. (Fs)

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