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Autor: Beckmann, Jan P.

Buch: Wilhelm von Ockham

Titel: Wilhelm von Ockham

Stichwort: Ockham; Logik - Wahrheitsbedingungen; keine ontische, sondern prädikationslogische Identität; universale Termine = natürliche Zeichen


Kurzinhalt: Ort der Wahrheit ist ausschließlich der Satz ("nihil est verum nisi complexum". ... "Für die Wahrheit eines einzelnen Satzes ... ist es erforderlich, daß der Subjekt- und der Prädikatterm für ein und dasselbe stehen".

Textausschnitt: 3. Wahrheitsbedingungen

75a Ort der Wahrheit ist ausschließlich der Satz ("nihil est verum nisi complexum". OT IX, 236). "Für die Wahrheit eines einzelnen Satzes ... ist es erforderlich, daß der Subjekt- und der Prädikatterm für ein und dasselbe stehen" ("... requiritur quod subiectum et praedicatum supponant pro eodem". OP I, 250). Wir haben schon erwähnt, daß Ockham die Inhärenztheorie der Prädikation, wonach im Satz der Prädikatterm als im Subjektterm enthalten angesehen wird, verworfen hat. Hauptgrund hierfür ist der Umstand, daß die Inhärenztheorie zu unnötigen, wenn nicht falschen ontologischen Annahmen verleitet. Wenn in der Aussage "Sokrates ist ein Mensch" das Prädikat 'ist ein Mensch' im Subjekt Sokrates "enthalten" sein soll, dann ist man verpflichtet, so etwas wie Mensch-Sein als allgemeine Eigenschaft anzunehmen. Das Mensch-Sein des Sokrates muß dann vom Mensch-Sein Platons unterschieden werden, obwohl beide in gleicher Weise Mensch sind, mit der Folge, daß das, was in Sokrates "enthalten" ist, sich zugleich auch in Platon finden müßte. Diese und ähnliche Schwierigkeiten der Inhärenztheorie haben mit bestimmten Ungereimtheiten der Universalienlehre zu tun, welche uns im Kapitel V beschäftigen werden. Für Ockham reicht es, wenn in einem wahren Satz Subjekt- und Prädikatterm für ein und dasselbe stehen. Vertritt er damit etwa die Identitätstheorie der Prädikation? (Fs) (notabene)

75b Hier ist eine Unterscheidung notwendig, und zwar zwischen demjenigen, was supponiert, und demjenigen, wofür der Subjekt- bzw. der Prädikatterm supponiert (vgl. OP I, 258). Ersteres kann nicht identisch sein, sonst läge gar kein Satz vor; letzteres muß identisch sein, sonst kann ein Satz nicht wahr sein. Die hier genannte Identität ist keine ontische, sondern eine prädikationslogische. So wird mit dem Satz "Sokrates ist weise" nicht reale Identität zwischen Sokrates und Weisheit behauptet; es ist damit lediglich gesagt, daß der Subjektterm 'Sokrates' genau einer der Fälle ist, wofür der Prädikatterm 'ist weise' stehen kann. Damit ist freilich nur die notwendige Wahrheitsbedingung genannt; die hinreichende Wahrheitsbedingung empirischer Einzelsätze von der genannten Art gilt es durch die (in Kap. III erläuterte) intuitive Erkenntnis sicherzustellen. So genügt es für die Feststellung der Wahrheit eines Satzes von der Art "Sokrates macht Musik" naturgemäß nicht, daß Subjekt- und Prädikatterm für dasselbe (nämlich das Individuum Sokrates) supponieren. Es muß auch jemanden geben, der das Bestehen dieses Sachverhalts als ein raum-zeitliches Geschehen aufgrund eigener Anschauung feststellt. (Fs)

76a Wie aber liegen die Dinge im Falle von Allgemeinaussagen? Für dieselben gilt: Auch sie müssen die notwendige Wahrheitsbedingung erfüllen, d.h. auch bei ihnen muß der Subjekt-und Prädikatterm für ein und dasselbe supponieren. Anders sieht es mit der hinreichenden Bedingung aus: Universalurteile sind nur dann wahr, wenn der in ihnen verwendete Prädikatterm für dieselben Gegenstände verifizierbar ist wie der Subjektterm. Mit anderen Worten: Universalaussagen sind nur dann wahr, wenn jeder der unter sie zu subsumierenden Einzelfälle wahr ist. Der Grund hierfür ist tief in der Ockhamschen Ontologie verwurzelt, auf die wir noch näher eingehen werden. Hier sei nur soviel gesagt: In einer Universalaussage wird ein Allgemeinterm durch ein allgemeines Zeichen vertreten (vgl. OP I, 258 ff). Zu den Wahrheitsbedingungen für Allgemeinaussagen von der Art "(Jeder) Mensch ist ein Lebewesen" gehört nicht die Annahme, in jedem Menschen befände sich eine mit allen anderen Menschen gemeinsame allgemeine Realität genannt 'Lebewesen'; dies wäre nach Ockham eine ebenso unbegründete wie überflüssige Annahme. Vielmehr genügt es zur Sicherung der Wahrheit solcher Allgemeinaussagen festzustellen, ob und daß in jedem Einzelsatz von der Art "Der Mensch ist ein x" für x der Terminus 'Lebewesen' eingesetzt werden kann. Die Allgemeinheit der in Universalaussageri verwendeten Termini beruht also nicht auf der ontologischen Referenz auf etwas Universales, sondern auf der semantischen Universalität der verwendeten Zeichen 'jeder', 'alle', 'einige', etc. So steht das Universale 'Mensch' nicht für so etwas wie den Menschen an sich, sondern je nach vorangestelltem Quantor für einige, viele oder alle Einzelmenschen. Die Wahrheit solcher Allgemeinsätze besteht also darin, daß sie sich nach Maßgabe des Quantors bewahrheiten. Die in Universalaussagen auftretende Allgemeinheit ist keine solche der Dinge, sondern eine solche der Prädikation. (Fs)

77a Entscheidend an Ockhams Ansatz ist, daß universal verwendete Termini 'natürliche Zeichen' ("signa naturaliter significantia aliquid". OP I, 42) darstellen. Zwar ist ihr Platz im Intellekt und nicht in den Dingen. Gleichwohl vermag sie der Intellekt wissenschaftlich sinnvoll zu verwenden, weil er mit ihrer Hilfe Prädikatskiassen bilden kann. Zur Erklärung von Universalaussagen von der Art "Jeder Mensch ist ein Lebewesen" bedarf es nicht der Annahme, in jedem einzelnen Menschen existiere eine eigene Wirklichkeit mit Namen 'Lebewesen'; dies wäre ein Verstoß gegen das Prinzip der Ökonomie, wonach unnötige Annahmen bei der Erklärung der Dinge zu vermeiden sind. Es genügt der Hinweis, "daß dieser Mensch hier ein Lebewesen ist, und daß jener Mensch dort ebenfalls ein Lebewesen ist, und daß es sich in allen übrigen Einzelfällen ebenfalls so verhält" (OT II, 252f). Die Allgemeinheit ist also stets eine solche des Verstandes, welcher das Einzelne sortiert und klassifiziert, bzw. eine solche der Prädikation. (Fs)

77b Insofern kann es nicht verwundern, daß Ockham Wahrheit und Falschheit weder als Eigenschaften von Dingen noch als Qualitäten von Aussagen betrachtet. Es sind die Aussagen selbst, die wahr (bzw. falsch) sind. Darum auch gibt er keine Definition von Wahrheit an; entscheidend ist, ihre Bedingungen zu kennen (vgl. OP I, 249). Für sich genommen sind 'wahr' und 'falsch' keine absoluten, sondern konnotative Ausdrücke, d.h. solche, die etwas (nämlich Aussagen) bezeichnen und etwas anderes (die Behauptung nämlich, die Dinge verhielten sich in Wirklichkeit so bzw. nicht so) 'mitbezeichnen' (daher 'konnotieren', vgl. OT IX, 697 u. OP II, 201). Wenn Ockham feststellt, ein Satz sei dann wahr, "wenn es sich in Wirklichkeit so verhält, wie durch ihn behauptet wird" (OP II, 376), so könnte dies die Vermutung nahelegen, er verträte die Korrespondenztheorie, nach deren klassischer Formulierung Wahrheit in einer "Angleichung zwischen Intellekt und Sache" ("adaequatio intellectus et rei") besteht.1 Doch abgesehen davon, daß dies keine Definition von Wahrheit ist, sondern die Feststellung eines Kriteriums für Wahrheit, könnte Ockham mit einem derartigen Brückenschlag zwischen Denken und Wirklichkeit wenig anfangen. Wahrheit und Falschheit sind für ihn untrennbar verbunden mit dem wahren bzw. falschen Satz. Weder ein Begriff als solcher noch gar ein Ding kann wahr oder falsch sein. Die Begriffe 'wahr' bzw. 'falsch' referieren vielmehr auf Sätze und auf nichts anderes. Die Bedingungen, unter denen ein Satz wahr ist, regelt, wie wir gesehen haben, die Supposition der in ihm verwendeten Termini. (Fs)

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