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Autor: Beckmann, Jan P.

Buch: Wilhelm von Ockham

Titel: Wilhelm von Ockham

Stichwort: MIttelalter - Logik; 'logica vetus - nova;

Kurzinhalt: Vor diesem Hintergrund entstehen die meisten der spezifisch mittelalterlichen Innovationen auf dem Gebiet der Logik: die Untersuchung der Eigenschaften der Termini im Satz, die Theorie der Supposition, die Konsequenzenlehre und die Modallogik.

Textausschnitt: 64a Die Logik1 hat in der Philosophie des Mittelalters eine herausragende Rolle gespielt; Ockham ist einer ihrer wichtigsten Köpfe gewesen. Der beständige Umgang mit Texten und Autoritäten, die der rationalen Auslegung bedürfen, das gegenüber theologischen Ansprüchen sich artikulierende Selbstverständnis der natürlichen Vernunft und vor allem die Rationalität der Auseinandersetzung zwischen konfligierenden Positionen haben die Logik schon früh zu einem für alle Disziplinen indispensablen Instrument gemacht. Ihre Integration in den Wissenschaftsbetrieb hat sie freilich auch von der Entwicklung desselben in gewisser Weise abhängig gemacht. Um dies zu begreifen, empfiehlt es sich, zwischen der Funktion und der Sache der mittelalterlichen Logik zu unterscheiden. Im Hinblick auf ersteres meint Logik eine Weise des Könnens, und zwar diejenige des richtigen Umgangs mit Begriffen und ihre Verknüpfung zu Aussagen sowie deren Verbindung zu Argumenten und Schlüssen. Logik stellt insofern eine Fertigkeit, eine 'Kunst' ('ars') dar. Zugleich ist sie ein eigener Wissensbestand: Man lernt durch sie die formalen Beziehungen zwischen Begriffen, Aussagen, Argumenten und Schlüssen sowie die Regeln kennen, welche im Umgang hiermit zu beachten sind. Die Logik ist insofern nicht nur eine 'Kunst', sie ist auch Wissenschaft ('scientia'). Der stark disputative Charakter mittelalterlichen Philosophierens bringt es mit sich, daß sich die Logik intensiv auch mit den sprachlichen und semantischen Voraussetzungen und Weiterungen der in den Wissenschaften verwendeten Argumentationen beschäftigt. So verwundert es nicht, daß die Logik schon bald als "Wissenschaft der Wissenschaften" ("scientia scientiarum") bezeichnet wird; sie ist dies nicht im Sinne einer alle anderen Disziplinen umfassenden Superwissenschaft, sondern im Sinne einer für alle Wissenschaften erforderlichen Formaldisziplin. (Fs)

65a Anfänglich trägt die Logik den Namen 'dialectica'; als solche ist sie vom 8. Jahrhundert an Bestandteil der sieben ,freien Künste' ('artes liberales'). Beeinflußt durch stoische Traditionen, vor allem durch Ciceros Topik, wird sie im 9. Jahrhundert zu einer Theorie gelingenden Argumentierens weiterentwickelt, deren Zweck in der Herausbildung und Stärkung der Fähigkeit zur Klarheit und Folgerichtigkeit des Denkens und zur Entscheidung argumentativer Kontroversen liegt. Wichtigste Quelle ist von Anfang an die aristotelische Logik. Deren Rezeption beginnt mit der Beschäftigung mit der Kategorienschrift und der Hermeneutik, welche zusammen mit der 'Einleitungsschrift' (Isagoge) des Neuplatonikers Porphyrios und den Kommentaren sowie den eigenen logischen Schriften des Boethius das Textkorpus der sog. 'alten Logik' ('logica vetus') bilden. Im 12. Jahrhundert kommen die drei übrigen Schriften des aristotelischen Organons, die Analytica Priora und Posteriora, die Topik sowie die Sophistischen Widerlegungen hinzu und formen so den Textbestand der sog. 'neuen Logik' ('logica nova'). Diese Texte muß kennen und über die durch sie vermittelten Fähigkeiten muß verfügen, wer sich im Wissenschaftsbetrieb der Dom- und Klosterschulen des 8. bis 12. Jahrhunderts an der Auslegung der Texte (Bibel, Kirchenväter, ausgewählte Schriften antiker Autoren) kompetent beteiligen will. (Fs)

65b Mit der Gründung der Universitäten zu Beginn des 13. Jahrhunderts treten weitere Forderungen an die Logik heran. Zur reinen Textauslegung treten systematische Vorlesungen und öffentliche Disputationen hinzu, deren erfolgreiche Teilnahme nur dem logisch Versierten möglich ist. Immer stärker gesellt sich zur Logik die Theorie der Sprache, der Zeichen und ihrer Bedeutung, so daß sich ab etwa der Mitte des 13. Jahrhunderts in der Sache Logik und Semantik kaum noch sinnvoll voneinander trennen lassen. Vor diesem Hintergrund entstehen die meisten der spezifisch mittelalterlichen Innovationen auf dem Gebiet der Logik: die Untersuchung der Eigenschaften der Termini im Satz, die Theorie der Supposition, die Konsequenzenlehre und die Modallogik. Diese und andere, der systematischen Verbindung von Logik und Sprachanalyse entspringenden Neuerungen führen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zur sog. 'modernen Logik' ('logica moderna'). Die Logik wird das, was ihr seit Beginn ihrer mittelalterlichen Tradition schon immer immanent war: sie wird zur Theorie der formalen Bedingungen und Regeln wissenschaftlicher Rede ('sermo') überhaupt, sie wird 'sermocinalis scientia'. (Fs)

66a In dieser Entwicklung spielt Ockham eine herausragende Rolle. Nicht nur hat er neben den .Einleitungen in die Logik' (Introductiones in logicam, 1230/40) des Wilhelm von Shyreswood und den 'Abhandlungen' (Tractatus, später Summulae logicales gen., ca. 1250) des Petrus Hispanus mit seiner 'Summe der Logik' {Summa logicae, um 1324) eines der wichtigsten Werke zur mittelalterlichen Logik verfaßt. Er hat damit zugleich eine systematische Grundlegung vorgenommen, welche dieser Disziplin trotz wichtiger Rückgriffe auf die aristotelische Logik neue Wege eröffnet hat. Ursprünglich als Handbuch für den praktischen Unterricht gedacht, bietet seine Summa logicae eine geschlossene und systematisch aufgebaute Theorie der Logik einschließlich der spezifisch mittelalterlichen Neuerungen derselben. Nach Ockham ist alles Denken ein Tun; wie jedes Tun bedarf auch das Denken eines Richtungsweisers ('directivum'), damit es nicht in die Irre geht. Diese Rolle der Direktive obliegt der Logik; ihre Aufgabe besteht darin, "wahre Argumente von falschen zu trennen, und zwar so, daß man mit Sicherheit zwischen Wahrheit und Falschheit unterscheiden kann" (OP II, 3). Die Beherrschung der Logik ist insoweit für alle Wissenschaften gleichermaßen unabdinglich. Ockham wird nicht müde, vor einer Vernachlässigung der Logik zu warnen: "Wer diese Kunst nicht beherrscht, fällt allen Arten von Irrtümern zum Opfer, verstrickt sich in Schwierigkeiten, aus denen es keinen Ausweg gibt, hält korrekte Beweise für Trugschlüsse oder umgekehrt Trugschlüsse für Beweise" (a.a.O. 6). (Fs)

67a Doch ähnlich dem Wegweiser, der nicht selbst Weg sein kann, ist die Logik nicht Wissenschaft im Sinne der Disziplinen, deren indispensables Instrument sie ist. Nicht daß die Logik außerhalb des Kreises der Wissenschaften stünde; nur ist sie nicht Wissenschaft in dem nämlichen Sinne, wie es Physik, Ethik oder Metaphysik sind. Bei diesen Disziplinen handelt es sich um "Realwissenschaften" ('scientiae reales'), bei der Logik hingegen um eine "Rationalwissenschaft" (,scientia rationalis'). Ihre Besonderheit besteht in ihrem formalen und instrumentalen Charakter: Sie ist nicht das Denken des Denkens, sie ist vielmehr die Wissenschaft von den formalen Bedingungen und Strukturen desjenigen, dessen sich alle Wissenschaften notwendig bedienen, der sprachlichen und argumentativen Kommunikation nämlich. Die Logik ist insoweit Hilfsmittel, und zwar "das für alle Wissenschaften am besten geeignete Instrument, ohne welches keine Disziplin zu Wissen im vollen Sinne zu gelangen imstande ist" (OP I, 6). Wer die Logik beherrscht, besitzt demzufolge kein inhaltliches Wissen im Sinne der o.g. "Realwissenschaften", sondern er verfügt über eine formale und instrumenteile Fähigkeit. Die Logik ist insoweit eine 'praktische' Disziplin; sie handelt nicht, wie die theoretischen Wissenschaften, von solchem, das von Natur aus gegeben ist, sondern von solchem, das vom Menschen hervorgebracht wird: Termini, Sätze und Schlüsse bzw. deren formale Strukturen. Diesen wollen wir uns im folgenden zuwenden. (Fs)

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