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Autor: Dumont, Gérard-Francois

Buch: Europa stirbt vor sich hin

Titel: Europa stirbt vor sich hin

Stichwort: Zahl - Dauer; Bevölkerungszunahme - Rückgang der Hungersnöte

Kurzinhalt: Man kann es drehen und wenden, wie man will: Zwischen der Zunahme der Zahl der Menschen auf Erden und dem Rückgang der Hungersnöte besteht ein positiver Zusammenhang.

Textausschnitt: Das große Paradoxon

46b Man kann es drehen und wenden, wie man will: Zwischen der Zunahme der Zahl der Menschen auf Erden und dem Rückgang der Hungersnöte besteht ein positiver Zusammenhang. Und wer möchte ernstlich behaupten, die natürlichen Hilfs- und Energiequellen seien nicht gestiegen? Daß man sich darum Sorgen macht, ist übrigens recht alten Datums. Zu Zeiten Colberts etwa sorgte man sich wegen einer Holzknappheit in Frankreich; er schrieb: »Frankreich wird noch am Holzmangel untergehen.« Auch in England treffen wir diese Sorge an. Als man das Holz der Wälder nicht mehr nur zu Heizungszwecken, sondern auch für die sich entwickelnde Industrie (insbesondere die Eisenverarbeitung) benutzte, wurde die Verknappung zur Gewißheit, zumal die Zunahme der Menschenzahl die Abholzung weiter verschärfte. Aber der erhöhte Bedarf, der den Preis für das begehrte Holz ansteigen ließ, trieb die Forschung voran, und so trat die Kohle an die Stelle des Holzes. Damit gingen indes neue Probleme einher. Das Holz lieferte dem Menschen eine naheliegende, leicht zugängliche Energiequelle. Kohle aber gab es nur an bestimmten Stellen, und diese lagen oft weit vom Bedarfsort entfernt. Die Antwort auf dieses Problem war die Eisenbahn; ihre Erfindung entsprach in erster Linie der Notwendigkeit des Güterverkehrs.1

47a Dennoch leben die alten Ängste drohender Knappheit immer wieder auf. Im 19. Jahrhundert rechnete der englische Wirtschaftswissenschaftler William Jevons aus, die englische Industrie müsse aufgrund der Kohleknappheit noch vor 1900 die gesamte Produktion einstellen. Freilich: Inzwischen wird das Erdöl genutzt, und es ist immer noch Kohle da. 1971 stellte der Club of Rome die Behauptung auf, das Erdöl gehe zur Neige...2

Die OPEC-Länder machten sich die herrschende Angst zunutze und vervierfachten 1973 den Rohölpreis. Einen zweiten Ölschock löste 1979 die Revolution im Iran aus, wodurch sich das Erdöl weiter verteuerte. Seit 1989 ist der Erdölpreis indessen wieder auf eine relativ niedrigere Ebene als vor dem ersten Ölschock gesunken, und nur die Absprachen unter den Exportländern verhindern noch weitergehende Preissenkungen. Denn neue Erdölquellen wurden entdeckt und andere Energien eingesetzt, und die Industrie hat (insbesondere beim Automobil) Methoden höherer Produktion bei geringerem Energieverbrauch entwickelt. (Fs)

48a Mit anderen Worten: Wächst - insbesondere durch Zunahme der Menschenzahl - der Bedarf, so zwingt er zu Lösungen. Am Ende stehen die Bevölkerungen besser da als vorher, denn ohne verstärkte Nachfrage und damit neuen Bedarf hätte sich der Mensch nicht auf die Suche nach neuen Lebensformen begeben. (Fs)

So gibt es denn heute auf Erden mehr Hilfsquellen als je zuvor. Seit zwei Jahrhunderten verbrauchen immer mehr Menschen immer mehr Energie, und dennoch sind die Ressourcen weniger selten. Das ist das große Paradoxon, denn sofern ihn das Wirtschafts- und Sozialsystem nicht erstickt, ist der Mensch so schöpferisch, paßt er seine Ressourcen den jeweiligen Gegebenheiten so an, daß er weiterhin verbrauchen kann. (Fs)

Nicht einmal der kleine Mensch, der Säugling, das Kind, ist ein rein passiver Verbraucher, der ausschließlich an der Erschöpfung als begrenzt geltender Ressourcen der Erde teilhätte: Er ist zunächst ein aktives Element der Bevölkerung, denn er läßt die Erwachsenen zu Neuerern werden, damit sie den kleinen Menschen aufnehmen können. Die sich vergrößernde Familie verändert bestimmte Gewohnheiten, um sich dem Neuankömmling anzupassen. Die Gemeinde wird zu Vorkehrungen ermuntert, um den Bedürfnissen ihrer neuen Einwohner gerecht zu werden. Der Staat sucht nach den besten Lösungen, um seine Jungen aufnehmen zu können. Gewiß geschieht nichts über Nacht, nichts automatisch. Aber die Zahl der Menschen lenkt die Gesellschaft und ruft nach Fortschritt. (Fs)

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