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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Kirche, Wahrheit, Vertrauen; das moralische Versagen; keine Verheißung untadeliger Kirchenführer, sondern ewiger Wahrheit

Kurzinhalt: Eigentlicher Grund unseres Vertrauens kann niemals eine glänzende geistig-sittlich-religiöse Erscheinungsform der Kirche in dieser Welt sein: ...

Textausschnitt: Aber das moralische Versagen!

10b Die umfassendste Sachkenntnis dieser Art wird - so kann mit Recht entgegnet werden -jedoch nicht genügen, um das alle Jahrhunderte hindurch an allen Orten festzustellende religiös-sittliche Versagen nicht weniger Glieder der Kirche - bis hin zu dem päpstlichen Ehebrecher Alexander VI. - zu entschuldigen. Da aber stellt sich die Frage, worauf wir eigentlich das Vertrauen gründen, das wir auf die Kirche setzen. (Fs)

10c Eigentlicher Grund unseres Vertrauens kann niemals eine glänzende geistig-sittlich-religiöse Erscheinungsform der Kirche in dieser Welt sein: Die gab es und gibt es zwar stets und überall - aber es gibt ebenso stets und überall das viel auffallendere Gegenteil davon. So muß schon alle Urkirchenromantik, die in der Kirche der ersten christlichen Generationen eitel Heiligkeit und Größe zu erkennen meint, an den harten Tatsachen scheitern: das christliche Ehepaar Ananias und Sapphira hat versucht, den Apostel Petrus zu betrügen; in der Paulusgemeinde in Korinth gab es einen Fall von Inzest und Opposition gegen den Apostel; in Philippi hatten die -wie man heute sagen würde - engagierten Mitarbeiterinnen des hl. Paulus, Evodia und Syntyche, solchen Krach miteinander, daß Paulus sie ernstlich ermahnen mußte. Ja, Paulus selbst trennte sich auf einer Reise von Markus und Barnabas wegen offenbar nicht zu bereinigender Meinungsverschiedenheiten. Schließlich gab es schon um das Jahr 70 - so nach neuesten Forschungen - in Korinth einen Aufstand gegen die Presbyter, so daß der Bischof von Rom dort energisch eingreifen mußte. (Fs)

10d Die Kirche hat also nie jene makellos leuchtende Erscheinung gehabt, die sie haben sollte. So verwundert es auch nicht, daß solche, die besonders fromm zu sein glaubten, daran immer wieder Anstoß genommen und ihre eigene "Kirche der Tadellosen" gegründet haben. Demgegenüber hat sich die Kirche selbst immer als große Realistin erwiesen, die immer und überall auch mit dem Versagen ihrer Glieder gerechnet hat und rechnet. Nicht umsonst hat der Herr Jesus selbst, der ja das Menschenherz in seinen Tiefen erforscht und kennt, das Sakrament der Sündenvergebung eingesetzt. (Fs)

11a Man kann auch nicht sagen, daß die Hirten und die Glieder der Kirche immer und überall auf die Herausforderungen der Geschichte richtig reagiert haben. Dabei ist, im Gegenteil, mancher im nachhinein offenkundige Fehler begangen worden. War es denn etwa nicht verhängnisvoll, daß Papst Clemens V. sich von den Forderungen des französischen Königs Philipp einschüchtern ließ und den im ganzen gewiß unschuldigen Templerorden dem großenteils blutigen Untergang preisgab? Ganze Episkopate - heute würde man von Bischofskonferenzen sprechen - verfielen während der arianischen Krise des 4. und 5. Jahrhunderts der Irrlehre. Im 16. Jahrhundert folgten die Bischöfe Englands mit Ausnahme des hl. John Fisher aus Schwäche und Feigheit König Heinrich VIII. in den Abfall von Papst und Kirche, und ähnlich stand der französische Episkopat im Konflikt um die Freiheit der Kirche vom Staat auf Seiten Ludwigs XIV. gegen den Papst. Fast zwei Jahrhunderte begünstigten die französischen Bischöfe die Irrlehre des Jansenismus. Der Ausnahmen waren nicht viele. Und wie verhielten sich die deutschen Bischöfe im Investiturstreit des 11. und 12. Jahrhunderts? Im Jahre 1080 unternahm eine Mehrheit von deutschen Bischöfen unter dem Einfluß Kaiser Heinrichs IV. auf einer Synode zu Brixen den Versuch, Papst Gregor VII. abzusetzen und einen Gegenpapst zu wählen. Auch jene deutschen Bischöfe, die sich der Glaubensspaltung des 16. Jahrhunderts konfrontiert sahen, haben zweifellos großenteils versagt. (Fs)

11b All das füllt wahrlich keine Ruhmesblätter in den Annalen der Kirche. Wir können unser Vertrauen also letzten Endes auch nicht auf die Weisheit und Kraft der Hirten setzen. Der Kirche ist aber weder Tadellosigkeit noch Tüchtigkeit ihrer Hirten und ihrer Gläubigen verheißen. Was ihr gottmenschlicher Stifter Jesus Christus jedoch garantiert hat, ist ihr unerschütterlicher Bestand und ihr unerschütterliches Feststehen in der Wahrheit bis zu seiner Wiederkunft am Ende der Zeit. Das bedeutet, daß die Kirche, wenn immer sie in letztverbindlicher Form spricht, niemals einen Glaubensirrtum verkünden kann, daß ihre Sakramente, sofern sie nur der Weisung der Kirche entsprechend gespendet werden, immer die ihnen eigene Gnadenwirkung hervorbringen, und daß ihre hierarchisch-sakramentale Ämterstruktur von Primat, Episkopat und Priestertum unversehrt erhalten bleibt. Eben dadurch aber ist die Garantie gegeben, daß die Gnaden der Erlösung den Menschen aller Generationen zugänglich bleiben, bis der Herr wiederkommt. (Fs)

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