Datenbank/Lektüre


Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Jesus von Nazareth 1

Titel: Jesus von Nazareth

Stichwort: Königreich - Regno-Zentrik (eg: Weltethik); säkularistische Umdeutung des Reichsgedankens

Kurzinhalt: Bei näherem Hinsehen erweist sich das alles als utopistisches Gerede ohne realen Inhalt, sofern man nicht im Stillen Parteidoktrinen als von jedermann anzunehmenden Inhalt dieser Begriffe voraussetzt.

Textausschnitt: 82a Inzwischen hat sich in breiten Kreisen, besonders auch der katholischen Theologie, eine säkularistische Umdeutung des Reichsgedankens entwickelt, die eine neue Sicht des Christentums, der Religionen und der Geschichte im Allgemeinen entfaltet und mit dieser tiefgehenden Umgestaltung die angebliche Botschaft Jesu wieder aneignungsfähig machen will. Es wird gesagt, vor dem Konzil habe Ekklesiozentrik geherrscht, die Kirche sei als der Mittelpunkt des Christentums hingestellt worden. Dann sei man zur Christozentrik übergegangen und habe Christus als die Mitte des Ganzen gelehrt. Aber - so sagt man - nicht nur die Kirche trennt, auch Christus gehört eben nur den Christen. So sei man von der Christozentrik zur Theozentrik aufgestiegen und sei damit schon näher an die Gemeinschaft der Religionen herangerückt. Aber noch sei damit das Ziel nicht erreicht, weil ja auch Gott trennend zwischen den Religionen und zwischen den Menschen stehen kann. (Fs) (notabene)

83a Deshalb müsse nun der Schritt zur Regno-Zentrik, zur Zentralität des Reiches getan werden. Das sei ja schließlich die Mitte von Jesu Botschaft gewesen, und das sei der richtige Weg, um endlich die positiven Kräfte der Menschheit im Zugehen auf die Zukunft der Welt zu bündeln. "Reich" - das bedeute einfach eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung herrschen. Um nichts anderes gehe es. Dieses "Reich" müsse als das Ziel der Geschichte hergestellt werden. Und das sei der wahre Auftrag der Religionen: für das Kommen des "Reiches" zusammenzuarbeiten ... Sie könnten im Übrigen durchaus ihre Traditionen bewahren, jede ihre Identität leben, aber sie müssten mit ihren je verschiedenen Identitäten zusammenwirken für eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung bestimmend sind. (Fs) (notabene)

83b Das klingt gut: Auf diesem Weg scheint es möglich, dass Jesu Botschaft endlich universal angeeignet wird, ohne dass man die anderen Religionen missionieren muss; nun scheint sein Wort endlich einen praktischen Inhalt gewonnen zu haben und so die Verwirklichung des "Reiches" zur gemeinsamen Aufgabe zu werden und damit in die Nähe zu rücken. Aber wenn man näher hinsieht, wird man doch stutzig: Wer sagt uns eigentlich, was Gerechtigkeit ist? Was in der konkreten Situation der Gerechtigkeit dient? Wie Friede geschaffen wird? Bei näherem Hinsehen erweist sich das alles als utopistisches Gerede ohne realen Inhalt, sofern man nicht im Stillen Parteidoktrinen als von jedermann anzunehmenden Inhalt dieser Begriffe voraussetzt. (Fs) (notabene)

84a Vor allem aber zeigt sich: Gott ist verschwunden, es handelt nur noch der Mensch. Der Respekt vor den religiösen "Überlieferungen" ist nur scheinbar. Sie werden in Wirklichkeit als eine Menge von Gewohnheiten angesehen, die man den Menschen lassen soll, obwohl sie im Letzten überhaupt nicht zählen. Der Glaube, die Religionen werden finalisiert auf politische Ziele hin. Nur das Einrichten der Welt zählt. Religion zählt so weit, wie sie dabei behilflich sein kann. Die Nähe dieser nachchristlichen Vision von Glaube und Religion zur dritten Versuchung Jesu ist beunruhigend. (Fs)

84b So kommen wir zum Evangelium, kommen wir zum wirklichen Jesus zurück. Unsere zentrale Kritik an dieser säkular-utopischen Idee von Reich hatte gelautet: Gott ist verschwunden. Er wird nicht mehr gebraucht oder stört sogar. Jesus aber hat das Reich Gottes, nicht irgendein Reich verkündet. Matthäus spricht allerdings vom "Reich der Himmel" (Himmelreich), aber das Wort "Himmel" ist die Umschreibung für das Wort "Gott", das man im Judentum aus Ehrfurcht vor dem Geheimnis Gottes im Blick auf das Zweite Gebot weitgehend vermieden hat. Demgemäß ist bei dem Wort "Himmelreich" nicht einseitig etwas Jenseitiges angesagt, sondern es ist von Gott die Rede, der ebenso diesseitig wie jenseitig ist - der unsere Welt unendlich überschreitet, aber auch ihr ganz innerlich ist. (Fs)

85a Noch eine sprachliche Beobachtung ist wichtig: Das zugrundeliegende hebräische Wort malkut "ist ein nomen actionis und meint - wie das griechische Wort basileia auch - die Herrschaftsfunktion, das Herrsein (des Königs)" (Stuhlmacher I, a. a. O., S. 6j). Es ist nicht von einem bevorstehenden oder einzurichtenden "Reich" die Rede, sondern von der Regentschaft Gottes über die Welt, die auf neue Weise in der Geschichte Ereignis wird. (Fs)
85b Wir können noch einfacher sagen: Jesus verkündet, indem er vom Reich Gottes spricht, ganz einfach Gott, und zwar Gott als den lebendigen Gott, der in der Welt und in der Geschichte konkret zu handeln imstande ist und eben jetzt handelt. Er sagt uns: Gott gibt es. Und: Gott ist wirklich Gott, das heißt er hält die Fäden der Welt in Händen. In diesem Sinn ist Jesu Botschaft sehr einfach, durch und durch theo-zentrisch. Das Neue und ganz Spezifische seiner Botschaft besteht darin, dass er uns sagt: Gott handelt jetzt - es ist die Stunde, in der sich Gott in einer alles Bisherige überschreitenden Weise in der Geschichte als deren Herr, als der lebendige Gott zeigt. Insofern ist die Übersetzung "Reich Gottes" unzulänglich, besser würde man vom Herrsein Gottes oder von der Herrschaft Gottes sprechen. (Fs)

85b Wir können noch einfacher sagen: Jesus verkündet, indem er vom Reich Gottes spricht, ganz einfach Gott, und zwar Gott als den lebendigen Gott, der in der Welt und in der Geschichte konkret zu handeln imstande ist und eben jetzt handelt. Er sagt uns: Gott gibt es. Und: Gott ist wirklich Gott, das heißt er hält die Fäden der Welt in Händen. In diesem Sinn ist Jesu Botschaft sehr einfach, durch und durch theo-zentrisch. Das Neue und ganz Spezifische seiner Botschaft besteht darin, dass er uns sagt: Gott handelt jetzt - es ist die Stunde, in der sich Gott in einer alles Bisherige überschreitenden Weise in der Geschichte als deren Herr, als der lebendige Gott zeigt. Insofern ist die Übersetzung "Reich Gottes" unzulänglich, besser würde man vom Herrsein Gottes oder von der Herrschaft Gottes sprechen. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt