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Autor: Weiler, Joseph H.H.

Buch: Ein christliches Europa

Titel: Ein christliches Europa

Stichwort: Europa; Redemptoris Missio: heuristischer Rahmen für eine Interpretation der europäischen Integration; Identität durch den anderen; Gedankenexperiment

Kurzinhalt: Zusammenfassend gesagt, offenbart sich an diesem äußeren Punkt gerade die kompromisslose Entschiedenheit von Redemptoris Missio als die gewissenhafteste Art, die Achtung der Identität, der Einzigkeit des Ich und jener des Anderen zu sichern.


Textausschnitt: 104b Und doch gibt es gute Gründe, Redemptoris Missio sorgfältig zu untersuchen. (Fs)

104a Ein Grund ist, dass die Enzyklika tief in Einklang mit dem Telos der europäischen Integration steht. Eine der verbreitetsten Geschichten über den Aufbau Europas ist, dass er als ein Abenteuer mit ausschließlich wirtschaftlichem Charakter begonnen und in jüngerer Zeit zu einem politischen Projekt geworden sei. Das ist wirklich ein Ammenmärchen, wenn man sich die Mühe macht, das Selbstverständnis Europas nochmals (oder vielleicht zum ersten Mal) zu lesen, wie es sich in der Schuman-Erklärung und in der Präambel des Pariser Vertrags zeigt, oder auch in weniger idealisierten historischen Berichten: Europa ist begonnen worden als ein politisches Projekt par excellence, verfolgt durch wirtschaftliche Instrumente. Das findet nochmals seine Bestätigung in der aktuellen Präambel des Verfassungsentwurfs, der jeder Bezug auf einen Markt fehlt, ob einen gemeinsamen oder anderen. Das europäische Gründungs-Telos betrifft also nicht die Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes, der unser gemeinsames Wohl vergrößern könnte. Die Schaffung eines gemeinsamen Marktes ist das Instrument, das Mittel. Das "Ziel", der Fluchtpunkt, um dessentwillen diese Mittel eingesetzt werden, ist "die Integration". (Fs) (notabene)

104b Was versteht man unter diesem Begriff? Auf transnationaler Ebene bedeutet er - nach den Worten der neuen Präambel -, dass verschiedene Völker, "stolz auf ihre nationale Identität und Geschichte", einschließlich ihrer scharfen Konflikte, lernen, "die alten Trennungen zu überwinden". Die Integration ist das europäische Ideal, das die Art neu bestimmt, in der jede unserer nationalen Gesellschaften in Beziehung zu den Anderen tritt, zu anderen Völkern, mit denen wir die Hoffnung teilen, das "Schicksal gemeinsam zu gestalten". Dies bedeutet unvermeidlich, die Art neu zu bestimmen, in der wir die Anderen unter uns behandeln, im Inneren jeder unserer nationalen Gesellschaften, und auch die Art, in der wir kollektiv, als Union, mit den Anderen außerhalb der Union in Beziehung treten müssen. Nichts in unserem ethischen Bewusstsein, in unserem moralischen Empfinden, in unseren sozialen Gewohnheiten bestimmt wirksamer, wer wir sind, als unsere Haltung gegenüber dem, den die Bibel den Fremden nennt, und der in der aktuellen Terminologie, meiner Meinung nach viel weniger schön, der Andere ist. (Fs)

106a Wie die "Integration" geschehen, wie sie aufgefasst und daher verfolgt werden muss, wird also zu einer der wichtigsten Entscheidungen und entscheidendsten kritischen Überlegungen in der Evolution unserer Verfassungsordnung und unserer politischen Gemeinschaft. Es ist die "europäische Frage" par excellence. (Fs)

106b Es gibt keinen Zweifel, dass Redemptoris Missio das Verhältnis einer Gemeinschaft zu anderen (ad gentes) betrifft. Aber auch wenn dies so ist, muss die Frage neu gestellt werden. Ist - angesichts ihres augenscheinlich hegemonialen Telos und ihres Ethos, das Kompromisse ausschließt ("Wir haben Recht, ihr habt Unrecht") - der Wert ihres Beitrages zur Reflexion über die "europäische Frage" nicht wahrlich gering zu veranschlagen?
106c Wenn man Anleihen bei den Begriffen von Chomsky macht, kann die Oberflächensprache von Redemptoris Missio den Eindruck von Intoleranz und Mangel an Achtung geben. Aber ihre Tiefenstruktur ist das genaue Gegenteil: Sie ist eine Lektion in tiefem Respekt für die eigene Person und für die Anderen; und sie ist mehr als eine Lektion: eine wirkliche und eigentliche Ordnung von Toleranz und Geduld. Sie ist kein "Modell" für Europa. Ich habe es unzählig oft wiederholt: Europa ist keine Religion, die auf der Grundlage des Christentums oder irgendeines anderen Glaubens modelliert werden könnte. Dennoch bietet uns das christliche Denken ein Gesamt an Instrumenten, an konzeptionellen Herausforderungen, an Ideen, die - mit der gehörigen Sorgfalt - extrem nützlich sein können, wenn wir versuchen, die typisch europäische Modalität der Beziehungen ad gentes (im Innern und nach außen) zu definieren. (Fs)

107a Wie vollzieht sich der Übergang von der Oberflächensprache zur Tiefenstruktur? Der erste "Schritt" besteht darin, eine wunderbare Polarität in Redemptoris Missio zur Kenntnis zu nehmen. Einerseits findet sich - in vielfaltiger und offensichtlicher Weise zum Ausdruck gebracht - die klare und kompromisslose Behauptung bestimmter Wahrheiten. Aus diesen Wahrheiten folgen sowohl die Pflicht des Missionsauftrags als auch sein Inhalt. Andererseits finden wir im Herzen der Enzyklika, mit einer in ihrem Aufbau gleichermaßen zentralen Stellung, den kraftvollen und wirksamen Ausdruck dessen, wie diese Wahrheiten aufgefasst und vermittelt werden müssen:
"Andererseits wendet sich die Kirche an den Menschen im vollen Respekt vor seiner Freiheit. Die Mission bezwingt die Freiheit nicht, sondern begünstigt sie. Die Kirche schlägt vor, sie drängt nichts auf. Sie respektiert die Menschen und Kulturen, sie macht Halt vor dem Heiligtum des Gewissens." (Nr. 39)

107b Versuchen wir zunächst, die Bedeutung dieser Polarität zu rekonstruieren und dann seine Relevanz für die europäische Diskussion zu erkunden. (Fs)

Der eine Pol ist die eindeutige und absolute Bekräftigung bestimmter Wahrheiten; und das ist es, was bei einem oberflächlichen Blick so anstößig wirkt und so sehr allen Gewohnheiten der Toleranz entgegenzustehen scheint, wie sie dem Multikulturalismus zu Eigen sind. Indem sich Redemptoris Missio an die Nichtchristen - Juden, Moslems und andere - richtet, behauptet die Enzyklika, dass "das Heil nur von Jesus Christus kommen kann". (Nr. 5)

107c Dem modernen multikulturellen Empfinden zufolge müssten die Juden, die Moslems und alle "Anderen" sich verletzt, brüskiert, zurückgesetzt fühlen. "Auch wenn es wahr ist, behaltet es wenigstens für euch; warum die Anderen brüskieren?" Das postmoderne multikulturelle Empfinden würde auch über den Versuch lachen, diese Überzeugung als Wahrheit zu rekonstruieren: Ein Motiv mehr, um still zu bleiben. Sei es der eine, sei es der andere Grund - dies erklärt den Widerstand (sogar unter den Christen!), sich für den Missionsauftrag einzusetzen. Aber wir können bei dieser ersten instinktiven Reaktion nicht stehenbleiben. (Fs)

108a Die kompromisslose Behauptung dieser Wahrheit ist nicht nur eine religiöse Behauptung per se. Christ zu sein bedeutet zu glauben, dass das Heil nur von Jesus Christus kommen kann. Sie ist daher auch eine Behauptung der christlichen Identität. Banal? Vielleicht. Aber dieser Schritt von der Wahrheit zur Identität, beim In-Beziehung-Treten mit dem Anderen, ist von enormer Wichtigkeit. Vor allem stellt dies die Beziehung auf eine Ebene der Wahrheit: Dies ist es, was ich bin. Aber es ist noch mehr. Es gibt im Phänomen des Begreifens und der Definition der Identität eine unbequeme Wahrheit: Ich kann die Einzigkeit meiner Identität, individuell oder kollektiv, nur begreifen, wenn ich eine bestimmte Grenzlinie ziehe, die mich einschließt und dich ausschließt. Der Andere ist nicht einfach eine soziale Wirklichkeit; er ist ontologisch notwendig, damit es das Ich geben kann. Wenn es keinen Anderen gibt, gibt es kein unterscheidbares Ich. So ist die kompromisslose Bekräftigung der Wahrheit, jener Wahrheit, die anstößig erscheinen könnte, notwendig gerade für die Einzigkeit meiner Identität. Aber zugleich ist sie eine Bekräftigung der Andersheit des Anderen. Sie ist eine Anerkennung seiner Andersheit, seiner Identität. In diesem Sinne respektiert sie ihn tief, ist sie genau das, was ihn ihn und mich mich sein lässt. Machen wir in aller Kürze ein Gedankenexperiment. Stellen wir uns eine andere Modalität der Begegnung zwischen Christen und den Anderen, zum Beispiel den Juden oder den Moslems vor. Die Christen könnten sagen: "Wir sind alle gleich, wenigstens in dem, was am meisten zählt; schließlich glauben wir alle an denselben Gott et cetera et cetera." Wäre dies etwa weniger anstößig für die Juden oder die Moslems? Ich kann mir vorstellen, dass sich die Juden oder die Moslems angesichts einer solchen Behauptung gedemütigt und unbehaglich fühlen würden. "Glaubt Ihr nicht", würde ich zögernd fragen, "dass das Heil nur von Jesus Christus kommen kann?" Ihr Unbehagen würde nicht einfach von der Tatsache herrühren, dass sie irritiert wären über eine Art, in Beziehung zu treten, die dazu neigt, unbequeme Wahrheiten auszuklammern. Das könnte auch Argwohn, Ressentiment oder Geringschätzung nähren. Argwohn wegen des Mangels an Vertrauen, der dieser Art und Weise, Beziehungen aufzunehmen, innewohnt. Ressentiment wegen der paternalistischen Haltung dessen, der glaubt, unbequeme Wahrheiten müssten, wie vor Kindern, vor einem minderbemittelten Gesprächspartner verborgen werden. Und Geringschätzung gegenüber jemandem, der Angst hat, die Grundlagen seines eigenen Credos zu bekräftigen. "Wenn er nicht seine eigene Identität achtet, wie kann er meine achten?" Es ist nicht einfach nur so, dass die Juden oder die Moslems nicht glauben, das Heil komme nur von Jesus Christus. Gerade die Verneinung der Behauptung, dass das Heil nur von Jesus Christus komme, kann ein wesentlicher Teil ihrer Identität sein. Die Juden und die Moslems würden sich meiner Meinung nach viel mehr zurückgesetzt oder brüskiert fühlen, wenn diese Verneinung verneint oder verdeckt würde. Mehr noch: Wenn die Behauptung der Kirche anderen Leid zufügt, bringt sie doch ebenso das Risiko mit sich, selbst Leid unterworfen zu sein: Indem sie sich an die Juden oder an die Moslems wendet und ihnen sagt, das Heil könne nur von Jesus Christus kommen, geht sie auch das Risiko ein, an der Verneinung durch jene zu leiden. (Fs)

109a Das postmoderne Empfinden bietet keinen größeren Trost. Religion beschäftigt sich mit Wahrheit, mit Der Wahrheit. Oft stoßen in ihrer Interaktion Wahrheiten aufeinander, die sich gegenseitig ausschließen. Ein Teil der Faszination der Enzyklika Redemptoris Missio liegt gerade in der Tatsache, dass sie eine Begegnung darstellt, eine Art und Weise, in Beziehung mit einem Anderen zu treten, einem Anderen, der die größte Herausforderung darstellt, weil die Andersheit des Anderen eine Verneinung dessen sein kann, was zentral für meine eigene Identität ist. Der epistemologische Skeptizismus und die Relativierung der Wahrheit, typisch für die Postmoderne, könnten als eine verführerische Art erscheinen, diese Beziehung zu führen: Es gibt keine authentische Wahrheit, jeder hat seine eigene. Und deshalb wollen wir alle in Liebe und Einverständnis zusammenleben. Ja, wir leben alle in Liebe und Einverständnis zusammen. Aber dass das passiert, ist nicht notwendigerweise wahrscheinlicher, wenn ich den Anderen verneine: nicht nur in dem Sinne, dass ich die Einzigkeit seiner Identität verneine, die sich auf seinen Anspruch auf Wahrheit gründet, sondern auch (mir und) ihm die Fähigkeit abspreche, eine solche Wahrheit zu besitzen. Wir sehen nochmals, dass sich das, was sich als eine Haltung des Respekts darstellt, ins Gegenteil verkehren kann. (Fs) (notabene)

110a Zusammenfassend gesagt, offenbart sich an diesem äußeren Punkt gerade die kompromisslose Entschiedenheit von Redemptoris Missio als die gewissenhafteste Art, die Achtung der Identität, der Einzigkeit des Ich und jener des Anderen zu sichern. (Fs)

110b Blicken wir auf den entgegengesetzten Pol und kommen auf die feierliche Bekräftigung zurück, die da lautet: "Die Kirche schlägt vor, sie drängt nichts auf." Gälte unsere Aufmerksamkeit der Entwicklung der katholischen Kirche, bestünde das Verlangen, die - wie es scheint - historisch überraschende Dimension dieser Manifestation katholischen Selbstverständnisses zu kommentieren: eine Dimension, die auch jenen Nichtglaubenden willkommen ist, die in der Vergangenheit mit einer Kirche zu tun hatten, die ein durchaus anderes Selbstverständnis aufwies. Aber unser Ziel ist ein anderes: Es ist der Versuch, eine Argumentationsstruktur, einen begrifflichen Apparat zu rekonstruieren, um das Verhältnis zum Anderen zu bestimmen. Die offenkundigste Gegebenheit ist, dass die Kirche bei all ihrem intransigenten Bestehen auf der Wahrheit kein Interesse hat, in ihrer Mission ad gentes Zwang auszuüben. Diesbezüglich beruft sich Redemptoris Missio unmittelbar auf eine Behauptung des 2. Vatikanischen Konzils über den Begriff der Religionsfreiheit:

"Die menschliche Person hat das Recht auf religiöse Freiheit. Diese Freiheit besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen vor jedem Zwang, sowohl von Seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat oder öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen innerhalb der gebührenden Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln." (Nr. 8)

111a Aber es geht nicht nur darum. Das Prinzip "Die Kirche schlägt vor, sie drängt nichts auf" betrifft auch die Natur der Wahrheit und ihr Verhältnis zur Freiheit. Eine der Manifestationen dieses Verhältnisses findet sich in der Enzyklika: "Der Mensch ist frei. Der Mensch kann zu Gott sagen: Nein." (Nr. 7). Gerade die Freiheit, "Nein" zu sagen, gibt dem Ja" Bedeutung. In der jüdischen Tradition wird diese Lektion sehr wirkungsvoll und wunderbar mit der Wendung wiedergegeben: "Alles ist in den Händen Gottes, außer die Gottesfurcht."

111b Im Verhältnis zu den Werten und zu den metaphysischen Wahrheiten ist "Die Kirche schlägt vor, sie drängt nichts auf" eine Bekräftigung der Wahrheit über die Wahrheit selbst. Es lohnt sich, auf diesem Punkt zu bestehen. Es ist nicht so, als gäbe es eine Wahrheit, nach der das Heil nur von Jesus Christus kommen könnte, und dann eine Regel der Höflichkeit oder guten Erziehung, die mit jener nichts zu tun hätte und die vorschriebe, jene Wahrheit nicht mit Gewalt durchzusetzen. Die Wichtigkeit der Freiheit, "Nein" zu sagen (einer Freiheit, die dem "Ja" Bedeutung gibt), ist integraler Bestandteil jener Wahrheit, die bekräftigt wird. Die Verneinung der einen beraubt die andere ihrer Bedeutung. (Fs)

112a Die Verbindung zwischen Freiheit und Wahrheit in der conditio humana erlaubt uns, den letzten notwendigen Schritt zu tun, um die Disziplin der Toleranz zu verstehen, die in Redemptoris Missio ausgedrückt ist. Es ist keine schlichte Anerkennung der Religionsfreiheit. Es ist eine Disziplin der Toleranz. Mit diesem Ausdruck meine ich eine ernsthafte und anregende Erziehung zur Toleranz durch die Reinigung der Seelen derjenigen, die sie praktizieren. Um diese Disziplin zu erwerben, müssen wir nun beide Pole zusammenfügen und auf sie wie auf ein organisches Ganzes schauen. (Fs)

112b Warum Toleranz? Fragen wir uns zuerst, was Toleranz ist. Wann bin ich tolerant? Wenn ich etwas akzeptiere, das mich brüskiert. Wenn ich der Versuchung widerstehe, meine Überzeugungen Anderen aufzuzwingen. Wenn ich keine Überzeugungen habe, wenn ich nicht versucht bin, meine Überzeugungen aufzuzwingen, wenn ich dem Anderen gegenüber gleichgültig bin, brauche ich diese Tugend nicht. Je wichtiger, je absoluter, je lebenswichtiger die Wahrheit, desto größer ist die Versuchung, sie allen aufzuzwingen. Uns hat schon Isaiah Berlin die mörderische Gefahr einer für absolut und universal gehaltenen Wahrheit gelehrt. Von jeher sind die schlimmsten Leiden nicht von dem zugefügt worden, der aus Habgier oder Machtstreben gehandelt hat, sondern von den Idealisten, die glaubten, eine solche Wahrheit zu besitzen. Man kann die Toleranz erkaufen, wenn man dieselbe Wahrheit und die Wahrheit selbst in Zweifel zieht. Berlin ermahnt uns zu Recht, dass die Lehre Platons über die universale Wahrheit diese Ergebnisse hervorbringen kann. Aber die Lehre von Berlin läuft ihrerseits Gefahr, als Einladung interpretiert zu werden, die Toleranz um den Preis der Wahrheit zu erkaufen - eine Einladung an den epistemologischen Skeptizismus und den moralischen Relativismus. Redemptoris Missio proklamiert zu Beginn die für gläubige Christen höchste, geoffenbarte Wahrheit. Der Gläubige wird fragen: Wie kann ich der Versuchung widerstehen, jemandem eine Wahrheit aufzuzwingen, die so wichtig ist und von der ich überzeugt bin, dass sie für alle notwendig und wohltuend ist? In den vergangenen Jahrhunderten haben die Christen in der Tat von Zeit zu Zeit nicht widerstanden, manchmal mit blutigen Folgen. Johannes Paul II. ist streng: Widersteht der Versuchung, beherrscht die Versuchung. Die Kirche schlägt vor, sie drängt nichts auf! (Fs) (notabene)

113a Warum eine Disziplin der Toleranz? Weil der Gläubige der Versuchung ausweichen, sich verschließen und den Anderen meiden könnte, der seine Wahrheiten herausfordert. Redemptoris Missio ist hier gleichfalls streng. Sie lässt dem Gläubigen nicht die Möglichkeit, sich zu verstecken, den Anderen zu meiden und damit auch der Versuchung aus dem Weg zu gehen. Sie ist ein Ruf zur Auseinandersetzung mit jenen, die nicht sehen oder nicht teilen könnten, was wir als die Wahrheit begreifen. Sie ist ein Ruf, dies auf eine Weise zu tun, die es erlaubt, die eigene Identität zu bekräftigen und die gerade dadurch auch die Identität der anderen bestätigt. Sie erkennt ihre Andersheit an. Wichtig und absolut, wie nur Die Wahrheit sein kann, Teil dieser Wahrheit, Teil der Erklärung, dass das Heil nur von Jesus Christus kommen kann, ist auch die Wahrheit über die Wahrheit: die Tatsache zu begreifen, dass der Mensch frei ist, sie zurückzuweisen; und dass sie aufzuzwingen sie zu verneinen bedeutet. Der Christ erkennt also nicht nur die Andersheit des Anderen an, sondern akzeptiert und verinnerlicht die notwendige Freiheit des Anderen, "Nein" zu sagen. Ein immenser Wert liegt in dieser Disziplin der Freiheit, aber auch der Toleranz. (Fs)

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