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Autor: Leppin, Volker

Buch: Wilhelm von Ockham

Titel: Wilhelm von Ockham

Stichwort: Ockham: Eucharistie - Transsubstantiation, Konsubstantiation; Unterschied in der Weise theologischen Denkens zu Thomas

Kurzinhalt: Die Harmonie zwischen theologischen und philosophischen Aussagen, die Thomas noch gelehrt und geglaubt hatte, ist hier völlig durchbrochen. Die theologisch zu erklärenden Phänomene werden einem Test auf ihre Vernünftigkeit nur negativ unterzogen.

Textausschnitt: c) Die Eucharistie: das permanente Wunder?

81a Im Rahmen des vierten Buches seines Sentenzenkommentars musste Ockham auch auf eine Zentralfrage des christlichen Glaubenslebens zu sprechen kommen: die Sakramente des neuen Bundes, insbesondere Taufe und Eucharistie. Es ist bemerkenswert, wie Ockham sich bemüht, die Transsubstantiationslehre als etwas zu erklären, was zumindest denkbar ist. Das IV. Lateranum hatte in seiner ersten Konstitution erklärt, dass Leib und Blut Christi "im Sakrament des Altars unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft enthalten" seien, "wenn durch göttliche Macht das Brot in den Leib und der Wein in das Blut wesenhaft verwandelt sind".1 Die Definition dieser Wandlung mit dem Verbum transsubstantiare hatte als Spätfolge der Auseinandersetzungen um Berengar von Tours (ca. 1000-1088) im 11. Jahrhundert eine Erklärung des eucharistischen Mysteriums mit aristotelischer Begrifflichkeit dogmatisiert und damit die Rahmenbedingungen für alle weiteren Diskussionen um das Verständnis der Eucharistie bis zur Reformation geschaffen. (Fs)

82a Ockham rang um diese Deutung der Eucharistie, auf deren Unmöglichkeit innerhalb des aristotelischen Substanz-Akzidens-Schemas bereits Berengar hingewiesen hatte, da eine substantielle Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi bei bleibenden Akzidenzien - vor allem Geschmack und Aussehen - der aristotelischen Annahme widersprach, dass Akzidenzien stets nur als anhangend an - dann aber bleibenden - Substanzen denkbar waren, nicht aber gewissermaßen als freischwebend über einer verschwindenden und dann wieder ersetzten Substanz.2 (Fs)

82b Ockham bemühte sich nun angesichts dieser denkerisch problematischen Ausgangslage zunächst und vor allem um den Nachweis, dass die Vorstellung, Christi Leib befinde sich substantiell unter der Gestalt des Brotes, nicht widersprüchlich sei. (Fs)

82c Vordringlich musste er hierzu schlicht die scheinbare Widersinnigkeit erklären, wie es möglich war, dass der ausgedehnte Leib substantiell in etwas lokal präsent war, das offenkundig viel kleiner war als seine natürliche Ausdehnung. Um dies plausibel zu machen, benötigte Ockham eine eigene Definition dessen, was Quantität ist.3 Diese Definition liegt ganz auf der Linie seiner Universalienlehre: Quantität ist nichts für sich Reales, sondern bezeichnet lediglich die räumliche Ausdehnung einer Substanz, ihre gleichmäßige Verteilung in einem umschreibbaren Raum.4 Auf dieser Grundlage ist es dann nicht widersprüchlich, sich den Leib Christi unter der Gestalt Brot vorzustellen.5 Wenn Quantität lediglich eine Ausdehnung der Substanz bedeutet, so ändert sich diese Substanz als solche nicht und wird um nichts Reales reduziert, wenn sie nicht einfach im Raum für sich existiert, sondern durch eine andere Gestalt - eben das Brot - fest umschrieben wird, wie man sich dies in der Eucharistie vorstellen muss. (Fs)

1.Kommentar (23.10.09):Cf. Iserloh, Erwin, 41. Der Nominalismus 432a ff. eg, Wiederum: Ockham kann der Substanz nur deshalb eine Quantität zusprechen, weil eine Substanz (im Sinne eines Thomas') im Rahmen seines Denkens keinen Sinn mehr ergibt. Ist da eine Verbindung von dieser Quantität-Substanz hin zu Descartes?

82d So wie Ockham hier die Denkmöglichkeiten auslotet, tut er es auch im Zusammenhang der verschiedenen Erklärungsmodelle für die Realpräsenz, die sich kurz als Transsubstantiation im strengen Sinne - restlose Wandlung der einen Substanz in die andere -, Konsubstantiation - Nebeneinander der Substanzen des Brotes und des Leibes Christi unter den Akzidenzien des Brotes - und Annihilation - Vernichtung der Substanz des Brotes und wunderhafte Ersetzung durch die Substanz des Leibes Christi - beschreiben lassen. Der Lombarde hatte diese verschiedenen Positionen noch unbelastet von der kirchlichen Lehrentscheidung im Jahre 1215 vortragen können6, und Ockham ging sie nun in einer langen Abhandlung durch, die in der steilen Aussage gipfelte:

"Die erste Auffassung [d.i. die Konsubstantiation] könnte man vertreten, weil sie der Vernunft nicht widerspricht, und auch keinem Zeugnis der Bibel, und weil sie unter allen Weisen am vernünftigsten und einfachsten zu vertreten ist; denn aus ihr folgen weniger unplausible Annahmen als aus irgendeiner anderen Auffassung. Dies leuchtet ein, denn unter allen unplausiblen Annahmen, die als mit diesem Sakrament verbunden festgestellt werden, ist die schwerwiegendste, dass es ein Akzidens ohne ein Subjekt gibt [was im Falle der Transsubstantiationslehre angenommen werden müsste]. Wenn man aber von der ersten Auffassung ausgeht, braucht man dies nicht anzunehmen, also etc. (Fs)

... Nun bestimmt aber die Festlegung der Kirche das Gegenteil, wie aus dem Corpus Iuris Canonici X 1.1.1 Über die Höchste Trinität und den katholischen Glauben und X 3.41.6 Über die Messfeier hervorgeht. Ebenso vertreten alle Kirchenlehrer gemeinschaftlich das Gegenteil. Deshalb vertrete ich die Ansicht, dass auf dem Altar nicht die Substanz des Brotes zurückbleibt, sondern jene äußerliche Erscheinung, und dass der Leib Christi zusammen mit dieser existiert."7

83a Der Widerspruch war in der Tat empfindlich. Eben die Position, die die größten Unwahrscheinlichkeiten mit sich brachte, die Transsubstantiationslehre, wollte Ockham aufgrund der kirchlichen Lehrentscheidung annehmen. Bemerkenswert ist, wie Ockham hier die Valenz seiner Aussagen differenziert. Anders als bei Thomas, der Denknotwendigkeiten oder doch mindestens denkerische Vorteile der Transsubstantiationslehre herauszuarbeiten suchte, ist bei Ockham das entscheidende Argument das Umgekehrte: Die Transsubstantiation ist nicht denknotwendig, ja, sie ist nicht einmal wahrscheinlich. Aber sie ist möglich und das, weil sie nicht widersprüchlich ist. (Fs)

84a Damit ist der eigentliche, nur gelegentlich explizit werdende Denkhorizont von Ockhams Eucharistielehre angesprochen: Das Widerspruchsprinzip als äußerste Kontrollinstanz zur Feststellung dessen, was möglich ist, weist zugleich auf die Grenze von Gottes Handeln. Gott kann tun, was keinen Widerspruch in sich schließt. Und eben davon macht er hier Gebrauch. Auch wenn das Geschehen in der Eucharistie nicht dem normalen Verlauf der Dinge entspricht, kann Gott es möglich machen - und so permanent die normalerweise gültigen Kausalitäten dieser seiner Schöpfung durchbrechen. (Fs)

84b Auf ganz andere Weise als im Zusammenhang der Trinitätslehre kommt Ockham hier mit seinen theologischen Reflexionen an die Grenzen der Philosophie. Das, was er hier beschreibt, ist keineswegs vor-logisch. Es hält vielmehr jeden logisch strengen Test auf Widersprüchlichkeit aus - aber es ist zugleich nicht das philosophisch Adäquateste. Die Harmonie zwischen theologischen und philosophischen Aussagen, die Thomas noch gelehrt und geglaubt hatte, ist hier völlig durchbrochen. Die theologisch zu erklärenden Phänomene werden einem Test auf ihre Vernünftigkeit nur negativ unterzogen. Würden sie dem Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch widersprechen, so müsste auch der Theologe sie fallen lassen. Aber solange sie dies nicht tun, darf er sie auch dann lehren, wenn sie lediglich, wie es im Zusammenhang der Transsubstantiationslehre heißt, durch die kirchliche Lehrfestlegung gewiss sind.8 Die Theologie ist also zwar, wegen ihrer grundsätzlichen Angewiesenheit auf logisches Denken, aufgefordert, ja genötigt, ihr Denken rational zu überprüfen - aber nicht, es rational zu konstruieren. Hier setzt Ockham scharfe Grenzen für den Zugriff der Philosophie und der Rationalität auf ein religiöses und theologisches Wirklichkeitsverständnis. (Fs)

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