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Autor: Leppin, Volker

Buch: Wilhelm von Ockham

Titel: Wilhelm von Ockham

Stichwort: Ockam - Gottesbeweis 2; Anselm; Unmöglichkeit eines Gottesbeweises im Denksystem Ockhams

Kurzinhalt: Der Ort für einen Gottesbeweis, darin haben die späteren Deuter und vor allem Kritiker Ockhams durchaus Recht, existiert in seinem System nicht.

Textausschnitt: 76b Freilich spricht manches dafür, dass Ockham später den unbefriedigenden Charakter seiner Argumentation gesehen hat, denn später, als er in Avignon Muße hatte, sich in seinen "Quodlibeta" Problemen zu stellen, die sich ihm von außen oder innen aufgedrängt hatten, kam er wieder auf die Frage des Gottesbeweises zurück, und zwar an erster Stelle. Die erste Frage des ersten "Quodlibets"1 hatte dasselbe Thema wie I Sent d. 2 q. 10: die Frage, ob Gott einer sei. Und hier wie dort ging Ockham den Umweg über die Frage, ob die Existenz Gottes beweisbar sei. In der "Quodlibet"-Frage verwies er den Leser auch ausdrücklich auf seine früheren Ausführungen: "Ziehe die Antwort darauf im ersten Buch, in der zweiten Distinktion, in der Frage von der Einheit Gottes zu Rate."2 Dennoch ist die Antwort, die er nun findet, eine andere als seinerzeit im Sentenzenkommentar:
"Man muss gleichwohl wissen, dass man beweisen kann, dass Gott existiert, wenn man 'Gott' auf die zweite zuvor genannte Weise versteht [nämlich als etwas, demgegenüber es nichts Besseres und Vollkommeneres gibt]. Denn sonst läge ein Voranschreiten bis ins Unendliche vor, wenn es unter den Seienden nichts gäbe, dem gegenüber es nichts Vorangehendes oder Vollkommeneres gäbe."3

77a Dies ist eine Rückkehr zu den verflachten Formen des Anselm'schen Gottesbeweises, wie sie sich in der mittelalterlichen Literatur etabliert hatten. Diese missverstehende Verflachung begegnet schon bei Anselms Gegner Gaunilo (+ 1083)4: Das ursprüngliche Anselm'sche Argument, dessen Leistungskraft gerade an der Formulierung "über das hinaus nichts gedacht werden kann" hing, an dem Einsatz bei einem rein denkerischen Phänomen, wurde ontologisiert - und ausgerechnet Ockham hat bei dieser Ontologisierung mitgemacht. (Fs)

77b Doch er bleibt nicht zufrieden: Im 2. "Quodlibet" kommt er noch einmal auf die Frage des Gottesbeweises zurück, fragt, ob der natürliche Verstand beweisen könne, dass Gott die Ursache aller Dinge sei5 - und verneint dies höchst differenziert: Dass es eine erste Wirkursache gibt, ist nach ihm nicht zu bestreiten - nur die Tatsache, dass dies nur eine sei, wie es für die Gleichsetzung mit dem einen Gott nötig wäre, verneint er ausdrücklich.6 Das Thema also, es bleibt - auf Jahre hinaus. (Fs)

77c Zumindest das mit der Frage nach dem Gottesbeweis gestellte Problem war für Ockham ein echtes, und er hielt es mit der Antwort, die er im Sentenzenkommentar gegeben hatte, nicht für gelöst. In der Tat war diese Antwort im Rahmen seines Systems unzureichend, ebenso wie die Antworten, die er später gegeben hat. Der Ort für einen Gottesbeweis, darin haben die späteren Deuter und vor allem Kritiker Ockhams durchaus Recht, existiert in seinem System nicht. (Fs)

77d Umso bezeichnender, dass er sich wiederholt hierum bemüht hat, dass er immer wieder Anläufe, eigenständig oder, wie in Quodl. I q. 1, in Abhängigkeit von den Vorgängern, macht, einen Gottesbeweis zu entwerfen. Das zeigt zumindest eines: Wenn man denn Ockham als einen Zertrümmerer jeglicher Metaphysik, jeglicher philosophischer Gotteslehre betrachten will, und die Tatsache, dass ein Metaphysikkommentar von seiner Hand nicht vorliegt, gibt diesem Bild ja Nahrung, so kann dies vielleicht die Wirkungen seines Denkens beschreiben - seine subjektive Intention ist damit gerade nicht getroffen. Bis an die Grenze der gerade noch aushaltbaren Selbstwidersprüchlichkeit hat er sich bemüht, einen Weg zu einem Gottesbeweis zu finden. Er hat ihn konstruiert, systematisch eingeholt hat er ihn nicht. (Fs)


78a Zurück zu dem Ockham des Sentenzenkommentars. Die Freude über die Neuentdeckung, gegen beinahe alle Philosophen, sie war letztlich die Freude eines Mannes, der Altbekanntes nicht widerlegt, sondern nur auf eine neue Weise bewiesen hatte. So wie die Universalienlehre nichts anderes ist als eine Reformulierung klassischer Positionen, erscheint auch am Horizont der philosophischen Gotteslehre eine letztlich affirmative, traditionelle Position, die mit dem Gestus des Neuen über die eigenen denkerischen Probleme hinwegspielte. Der Ockham des Sentenzenkommentars ist weit weniger ein Neuerer, als seine späteren Deuter - und er selbst - es wahrhaben wollten. (Fs)

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