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Autor: Rahner, Karl

Buch: Geist in Welt

Titel: Geist in Welt

Stichwort: Conversio ad phantasma; Metaphysik - Ausgangspunkt; utrum intellectus possit actu intelligere ... convertendo se ad phantasmata

Kurzinhalt: Wenn der Mensch nach allem zu fragen wagt, geht er von "nichts" aus. Und doch kann dieses "nichts" nicht eine Leere sein, die der Mensch nach Laune und Willkür füllen, von der aus er hinschweifen könnte, wohin es ihm beliebte. Denn ...

Textausschnitt: § 1. Der Ausgangspunkt

35a Jede Frage hat ein Woher ihres Beginnens. Also auch die metaphysische Frage. Aber damit sind wir schon mitten in der Fraglichkeit der metaphysischen Frage. Denn von woher sollte solches Fragen seinen Gang antreten? Die metaphysische Frage geht doch nicht auf Dieses oder Jenes, sondern auf alles zumal, auf das Sein im Ganzen. Kann solches Fragen noch beginnen, da es nicht hat, von wo es ausgehen könnte?

35b Oder hat Thomas vielleicht nicht so zu fragen gewagt? Doch. Metaphysik handelt nach Thomas de ente in communi, zur Metaphysik gehört die universalis dubitatio de veritate so notwendig, wie die universalis consideratio de veritate1. (Fs)

35c So kann die metaphysische Frage den Anfang ihres Fragens nur Im Fragen selbst nehmen, aus der sie treibenden Notwendigkeit des Fragens nach dem Sein im Ganzen. Ja, sie nimmt nicht eigentlich dort dso den Ausgangspunkt, daß sie ihn schon beim ersten Schritt im Rücken hat, um nie mehr zurückzuschauen. Die Metaphysik geht auf dieses Fragen selber los, sie fragt, wie der Mensch nach dem Sein im Ganzen frage und fragen müsse, wenn Metaphysik in irgend einer Form den Menschen erst zu dem macht, der er zu sein hat. Simul universalem dubitationem proseqitur2. Es ist nach Thomas gerade die Auszeichnung der Metaphysik im Gegensatz zu den übrigen Wissenschaften, daß sie um ihre eigenen Ursprünge kämpft: disputat contra negantem sua principia3. (Fs)

35d Aber dieses Fragen nach allem zumal (simul universalis dubitatio) ist nicht ein leeres Sichherumtreiben, ein Suchen nach allem und jedem und so nach nichts. Es fragt nach einem sehr Bestimmten, eben nach der Frage nach dem Sein im Ganzen selbst als dem Müssen des Menschen, das er selber ist. So aber zeigt sich dieses In-Fragestellen der metaphysischen Frage als ein Wissen des Menschen um sich selbst. Er ist schon beim Sein im Ganzen - wie könnte er sonst danach fragen? -, er ist schon bei der ersten Frage quodammodo [quodammodo] omnia4, und ist es doch noch nicht, ist noch nichts, tabula rasa, materia prima in ordine intellectus5, denn er fragt ja gerade, was er damit meine, wenn er nach dem Sein im Ganzen frage. (Fs) (notabene)

36a Damit gerät aber dieser erste Ansatzpunkt alles metaphysischen Fragens selbst in eine Schwebe. Es läßt sich gar nicht in einem sagen, von wo dieses Fragen ausgeht. Es geht von nichts aus, indem es das Ganze schon umfaßt, um seinen Weg anzufangen; um der nach dem Sein im Ganzen Fragende zu sein, fängt der Mensch schon beim Ziel an, weil er vom Sein im Ganzen schon wissen muß, wenn er danach fragt, und bekennt gleichzeitig durch sein Fragen, daß er nicht das Ziel selber ist, sondern ein endlicher Mensch. So erhält der Ansatzpunkt der Metaphysik eine eigentümliche Doppeltheit und Einheit zumal: Ausgangspunkt ist der fragende Mensch, der als solcher schon beim Sein im Ganzen ist. Dieser Ausgangspunkt der Metaphysik ist auch ihre Grenze, weil dieser Ansatzpunkt eine Frage ist, und keine Antwort über den Horizont hinausreicht, den die Frage zuvor schon eingegrenzt hat. Posterior investigatio veritatis nihil aliud est quam solutio prius dubitatorum6. (Fs)

36b Wie läßt sich dieser Ausgangspunkt der Metaphysik in seiner einen Doppeltheit verdeutlichen? Wir sind in dem einleitenden Abschnitt diesem zweieinen Ansatz in anderer Gestalt schon begegnet. Der a. 7 der q. 84 stellte uns in einer Vorentscheidung auf den Boden des je schon vorausgesetzten Wissens darüber, daß der Mensch sich immer schon in der Welt vorfindet, wenn er sich besinnt, was und wer er sei. Der Artikel gab uns als Leitfaden seiner eigenen Untersuchung ein Wissen um ein eindeutiges Verhältnis von Erkennen und Erkanntem, insofern beides aus einem Grund entspringt. So ist zu fragen, wie sich aus der bisherigen Umzeichnung des Ausgangspunktes menschlicher Metaphysik diese doppelte Position des a. 7 erreichen lasse, wie die beiden Positionen in gegenseitiger Verdeutlichung und Rechtfertigung sich als sachlich identisch nachweisen lassen. (Fs)
36c Wenn der Mensch nach allem zu fragen wagt, geht er von "nichts" aus. Und doch kann dieses "nichts" nicht eine Leere sein, die der Mensch nach Laune und Willkür füllen, von der aus er hinschweifen könnte, wohin es ihm beliebte. Denn es ist ihm aufgegeben, nach dem Sein im Ganzen zu fragen. So muß ihm dieses "nichts" selbst auferlegt haben, nach dem Sein überhaupt zu greifen. Damit allein schon ist dieses "nichts" des Anfangs des Fragens, das der Mensch ist, nicht die vage Leere als der Ort schweifender Willkür, sondern die eindeutige Not, fragend dem Sein überhaupt begegnen zu können und zu müssen. Aber so ist das Woher dieses Je-schon-beim-Sein-im-Ganzen-Seins [Je-schon beim-Sein-im-Ganzen-Seins] noch nicht eindeutig beschrieben. Der Mensch stünde nicht fragend und damit endlich vor dem Sein und im Sein überhaupt, könnte er beliebig und nach eigener Wahl von irgendeinem Punkt dieses Seins aus dieses als Ganzes fragend umgreifen. Könnte er dieses nichtige Woher seines Fragens nach eigener Wahl bestimmen, wäre er schon so beim Sein im Ganzen, daß er seiner mächtig wäre und nicht mehr zu fragen hätte. Welches ist daher das Seiende, bei dem immer schon notwendig seiend der Mensch vor das Sein im Ganzen gerufen ist? Die Dinge der Welt, er selbst mit seiner Leiblichkeit mit allem, was zum Raum und zur Umwelt dieses leiblichen Lebens gehört. Es steht hier nicht zur Frage, wie sich das Sein im Ganzen zu dieser "Welt" als dem Woher seines Fragens nach dem Sein verhalte. Soviel nur ist sicher, der Mensch ist vor dem Sein im Ganzen, insofern er sich in der Welt vorfindet. Der "status praesentis vitae, quo passibili corpori conjungitur" ist der einzige "Stand", auf dem der nach dem Sein fragende Mensch steht, von dem Thomas etwas weiß. Sein Mensch haust auf der Erde, und es ist ihm nicht vergönnt, diesen Ort mit einem himmlischen nach Gutdünken zu vertauschen. Selbst Thomas' Theologie ist nicht Flucht von diesem Ort, sondern Hören des Wortes Gottes in der Enge dieser Welt und in der verrinnenden Kürze irdischer Stunde, sie bleibt auf dem Boden der imaginatio, denn selbst die Offenbarung geschieht noch per similitudines a sensibilibus sumptas7. Und selbst wenn der Mensch diesen Ort all seines Fragens fliehen wollte - durch Mystik oder Selbstmord oder sonst auf eine Weise und so an einen andern Ort eines Seinsverständnisses gelangen könnte, er hätte doch auf dieser Erde begonnen. Damit zeigt sich aber, daß es für Thomas nur ein Wissen gibt, in dem der Mensch er selber ist: ein wissendes Bei-der-Welt-sein. In diesem allein ist der Mensch vor das Sein im Ganzen gerufen. Von diesem Ort aus treibt er das Geschäft seiner Metaphysik8. (Fs)

37a In diesem Wissen von der Welt hat der Mensch schon immer das Sein im Ganzen umgriffen, wenn er danach fragt. Es ist also schon in der allgemeinsten Frage der Metaphysik ein Verhältnis von Sein und Erkennen mitbegriffen. Wie ist dieses zu verdeutlichen? Der Leitsatz des ersten Einschnittes im dritten Abschnitt des corpus articuli des a. 7 der q. 84 stellte uns dieselbe Frage. Wenn wir dabei noch beachten, daß wir in den bisherigen Erwägungen immer von der Erkenntnis von Welt gesprochen haben, diese demnach immer als eine Erkenntnis betrachteten und betrachten mußten, so ergeben sich als nächste Aufgaben zwei Fragen:

38a
1. Die Frage nach der Einheit des menschlichen Erkennens von Welt. Da diese Frage in ihrem materialen Gehalt mit der Frage der ganzen Arbeit zusammenfällt, kann es sich zunächst nur darum handeln, in einer formalen Betrachtung dieser einen Erkenntnis von Welt als des Ausgangspunktes für das Fragen nach dem Sein Anweisungen methodischer Art für den Fortgang der ganzen Arbeit zu gewinnen. (Fs)

2. Die Frage nach dem Verhältnis von Erkennen und Sein überhaupt, in dessen vorgreifendm Verständnis die Frage nach dem Sein im Ganzen ihre Möglichkeit hat. (Fs)

38b Zuvor erfordert aber der Ansatz, aus dem sich diese beiden Fragen ergeben, selbst noch einige Aufmerksamkeit. Der eine Ausgangspunkt der Metaphysik erschien in einer eigentümlichen Schwebe. Diese verrät sich nun auch in der durch Thomas gegebenen Formulierung des Problems der conversio ad phantasma: utrum intellectus possit actu intelligere ... convertendo se ad phantasmata. Die Frage, so gestellt, bewegt sich schon in der Dimension einer Frage nach der innern Möglichkeit eines solchen Erkennens. Wenn wir dieses Erkennen "von außen", im Vollzug, in der tatsächlichen Verwirklichung seiner Möglichkeit antreffen, so begegnen wir ihm immer als schon beim phantasma sich befindend, als je schon gestellt auf ein bestimmtes Hier und Jetzt, als je schon bei der similitudo rei singularis quae est hic et nunc9. Anderseits wird nach der Formel des Problems dieses Erkennen im Hier und Jetzt der Welt angetroffen als erst durch Zukehr hingekommenes. So kann es sich nur vom Sein im Ganzen her diesem Hier und Jetzt zugekehrt haben, da ja jedes Hier und Jetzt durch diese Zukehr erreicht werden soll. Und doch kann solches Erkennen dieses Sein im Ganzen, von dem es herkommen muß, nur im Hier und Jetzt fragend umfassen, nur in seinem status praesentis vitae, weil alles Fragen als actu intelligere die Zukehr zum hic et nunc als Bedingung seiner Möglichkeit schon voraussetzt. So enthüllt sich schon in der Problemformel der conversio ad phantasma die Schwebe des Ausgangspunktes menschlicher Metaphysik in seiner einen Doppeltheit: beim Hier und Jetzt der Welt und beim Sein im Ganzen. (Fs)

38c Aber enthält so die Frage der conversio nicht die Antwort von vornherein in sich? In ihr ist doch gerade gefragt, ob etwas - und so alles - nur erkannt werden könne, dadurch, daß der Erkennende bei einem Hier und Jetzt eines in der Welt Seienden sich befinde. Ist so das, was wir als Ausgangspunkt bezeichnen, nicht gerade im Problem der conversio erst noch in Frage?

39a Man könnte nun sagen, nicht die conversio als Frage, sondern erst die als Antwort enthalte diese schwebende Doppeltheit des Ausgangspunktes der Metaphysik in sich, erst die Antwort entscheide sich dafür, daß Erkennen nur in einem Eingetroffensein an einem bestimmten Punkt von Welt möglich sei, welches Eingetroffensein in sich ein Herkommen aus der Weite des Seins überhaupt sei. Vor dieser Antwort sei es ja gerade offen, ob Erkenntnis von diesem oder jenem weltlichen Einzelnen nur in einem Herkommen vom Sein schlechthin, und Erkenntnis von Sein im Ganzen nur in einem Eingetroffensein im Hier und Jetzt der Welt möglich sei. In dieser Auffassung wäre jedoch die Frage der conversio selbst gar keine metaphysische Frage, sie wäre identisch mit der Feststellung des Ortes, an dem die Frage menschlicher Metaphysik beginnt. Als Satz ist tatsächlich die Behauptung der Notwendigkeit einer conversio ad phantasma identisch mit der Feststellung des Ortes, von dem aus wir nach dem Sein im Ganzen metaphysisch fragen, und so ist der Satz als solcher schon entschieden, wenn das Problem der conversio erst beginnt. Denn dieses fragt als metaphysische Frage nach der innern Möglichkeit solcher conversio, nach dem, was in der Feststellung des Satzes schon alles mitgesagt ist. Und das Merkwürdige bei der Entwicklung der innern Möglichkeit der conversio ad phantasma ist dies: es geht dabei nicht so sehr um das Angekommensein beim Hier und Jetzt der Welt, sondern um das Herkommen vom Sein im Ganzen. Dadurch aber fragt die conversio nach der Möglichkeit der Metaphysik selbst. So aber erweist diese Frage sich selbst als ursprünglich metaphysische. (Fs)

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