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Autor: Leppin, Volker

Buch: Wilhelm von Ockham

Titel: Wilhelm von Ockham

Stichwort: Logik - Wissen; Definition: Empirie nicht ausreichend als Grundlage für Wissen; Gleichförmigkeitsprinzip (Art)

Kurzinhalt: Diese nicht mehr syllogistisch ableitbaren Sätze sind die Prinzipien, die in der Regel dem Verstand unmittelbar einsichtig sind.1 Wissenschaft bedeutet also, dass bekanntes Wissen erweitert wird, indem man es neu und überraschend kombiniert.

Textausschnitt: b) Das neue Bild von der Universität: die Rolle der Logik

54a Der dargelegte unmittelbare Bezug auf den inneren Aufbau des Theologiestudiums ist denn auch nicht die einzige Stelle, an der Ockhams Theorie praktische Folgerungen für das Geschehen an der Universität implizierte. (Fs)

54b Dass für Ockham letztlich die Theologie demselben Rationalitätsstandard wie die anderen Wissenschaften unterworfen ist, der Logik, verweist auf eine Betonung der Logik in theologischen Zusammenhängen, die keineswegs selbstverständlich war. Dies ist vielmehr einer der Punkte, an denen das Oxforder theologische Milieu sich nicht allein in Gestalt Wilhelms von Ockham deutlich von der Dominanz des Duns Scotus emanzipierte. Dieser hatte sich zwar, insbesondere in Zusammenhängen der Trinitätslehre, auch mit logischen Fragestellungen und Problemen befasst, aber sein eigentliches Interesse galt doch der klassischen Metaphysik. Diese Art der Fragestellungen änderte sich generell im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts in Oxford: Neben Ockham traten Gelehrte wie Richard von Campsall (+ nach 1326) und Heinrich von Harclay (ca. 1270-1317) auf, die je auf ihre Weise das Verhältnis von Logik und Theologie neu zu bestimmen suchten.1

54c Bei Ockham selbst verknüpfte sich in der Zentralstellung der Logik zweierlei: Zum einen ging es ihm um den methodischen Charakter des logischen Denkens, der generell Wissenschaftlichkeit ausmacht und definiert. Neben dieser Akzentuierung auf eine bestimmte wissenschaftliche Verfahrensweise war Ockham aber auch ein Umbau der gesamten Wissenschaftssystematik wichtig: Logik als Wissenschaft von dieser Methode aber rückte hierdurch zugleich - und das ist der eigentliche Effekt von Ockhams kritischem Denken - in eine Stellung ein, die sie zum Gegenüber sämtlicher anderer Wissenschaften machte. (Fs)

55a Zu den Merkmalen von Wissenschaftlichkeit gehörte nicht allein die Evidenz, sondern auch der syllogistische Diskurs. Die Definition des Wissens, die Ockham ziemlich weitgehend von Robert von Cowton übernahm2, der sie seinerseits in Auseinandersetzung mit Duns Scotus entwickelt hatte, lautete in vollem Wortlaut:

"Wissenschaftliche Erkenntnis ist eine evidente Erkenntnis eines Wahren und Notwendigen, die geeignet ist, durch vermittels syllogistischem Diskurs hierauf angewandte Prämissen verursacht zu werden."3

Der syllogistische Diskurs diente demnach vor allem der Vermittlung von Evidenz: Wissenschaftlichkeit entstand durch die Kombination schon zuvor evident erkannter Prämissen im Rahmen des anerkannten syllogistischen Schlussverfahrens, nach dem aus einem Obersatz und einem Untersatz eine Schlussfolgerung zu ziehen war. Das berühmteste Schulbeispiel hierfür lautet:

Sokrates ist ein Mensch
Alle Menschen sind sterblich
Also ist Sokrates sterblich

55b Als Prämissen können dabei solche Sätze angewandt werden, die ihrerseits evident sind, das heißt die entweder ihrerseits durch ein solches Verfahren aus evidenten Erkenntnissen mit Evidenz abgeleitet wurden, oder die ihrerseits aus sich heraus evident und nicht mehr ableitbar sind. Diese nicht mehr syllogistisch ableitbaren Sätze sind die Prinzipien, die in der Regel dem Verstand unmittelbar einsichtig sind.1 Wissenschaft bedeutet also, dass bekanntes Wissen erweitert wird, indem man es neu und überraschend kombiniert. Dabei wird die Ausgestaltung des Wissens immer feiner - und umgekehrt ist sie von den Verästelungen aus, die sie im einzelnen Beweis, den ein Wissenschaftler gerade durchführen mag, schon erreicht hat, hinsichtlich der Begründung ihrer Gewissheit auf ihre letzten Grundlagen zurückzuführen: die Prinzipien. (Fs)

55c Neues Wissen beruht also nach diesem Verständnis nicht auf neuer empirischer Erkenntnis. Dies hatte Ockham - im Gefolge Roberts von Cowton2 - durchaus angedacht, wenn er erklärte, es gebe Prinzipien, die aus der Erfahrung gewonnen werden3. Ockham benannte hierfür sogar eine eigene Methode, die auf der Kombination von Erfahrungen mit einzelnen Exemplaren einer Art oder einer Gattung und dem Gleichförmigkeitsprinzip beruht: Unter der Annahme, dass alle Exemplare einer Art sich gleichförmig verhalten, kann es ausreichen, eine einzige Erfahrung mit einem einzigen Exemplar einer Art zu machen und diese aufgrund des Gleichförmigkeitsprinzips auf alle Exemplare dieser Art zu verallgemeinern. So könnte dann ein allgemeiner Satz über eine Art entstehen, der als Prinzip angewandt werden könne.4 Dies ist freilich ein Gedanke, der nur am Rande des Ockham'schen Denkens auftritt: Der Pionier der Naturwissenschaft, zu dem man ihn früher stilisiert hat5, war er nicht, und die große Phase des Oxforder Merton College lag nach seinem erzwungenen Fortgang aus England. In der Regel sind Prinzipien für Ockham per se nota, das heißt, sie sind aus sich selbst heraus evident. Es handelt sich um Sätze, die dem menschlichen Verstand unmittelbar einsichtig sind und die folglich keines weiteren Beweises mehr bedürfen; dies gilt insbesondere für zahlreiche Erkenntnisse der Mathematik und der Geometrie, aber nicht nur hier. Auch definitorische Erkenntnisse über das Wesen etwa des Menschen konnten durchaus als selbstevident anerkannt sein. Solche Prinzipien sind dem Menschen im intellectus gegeben, den schon Aristoteles in der Nikomachischen Ethik als Prinzipienhabitus und eine der Vernunfttugenden des Menschen bestimmt hatte.6 Hier schloss Ockham sich einfach an: Die Annahme, dass der Mensch im Grunde schon etwas weiß, ehe er anfängt, wissenschaftlich zu kombinieren, blieb unhinterfragt. Empirie mag zur Ergänzung dieses Wissens beitragen - Grundlage des Wissens schlechthin wird sie nie werden. (Fs)

56a Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, liegt umso größeres Gewicht auf der Ausführung und Produktion weiterer Erkenntnis durch das syllogistische Verfahren, dessen Schwierigkeiten dem Mittelalter keineswegs unbekannt waren. Ebenso klassisch wie das positive Beispiel ist das negative Beispiel:

Sokrates ist sterblich
Alle Esel sind sterblich
Also ist Sokrates ein Esel

Solche Anwendungen weisen darauf hin, dass die bloße Kombination von zwei Sätzen, die durch einen gemeinsamen Begriff, den Mittelbegriff, verbunden sind, noch nicht ausreicht, um zu gesichertem Wissen zu gelangen. Entsprechend war es eine der Hauptaufgaben der mittelalterlichen Logiker, die verschiedenen gültigen und ungültigen Formen des syllogisti-schen Schlussverfahrens zu bestimmen. Dieser Aufgabe ist Ockham später, in seiner Summe der Logik, nachgekommen. (Fs)

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