Datenbank/Lektüre


Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Kirchliche Lehre; Mann, Frau: Gleichheit, Verschiedenheit; Klischee: Erniedrigung der Frau mit Hilfe der Religion (Synekdoche)

Kurzinhalt: Verteidigung der kirchlichen Lehre und Praxis bezüglich der Frau ... Was das Prinzip jedoch an Konsequenzen in sich trägt, kommt kraft geschichtlicher Entfaltung des Geistes ans Licht.

Textausschnitt: 94. Verteidigung der kirchlichen Lehre und Praxis bezüglich der Frau

223a Um derlei Geringschätzungen der Frau in der Kirche richtig zu beurteilen, empfiehlt es sich, zwei Überlegungen Beachtung zu schenken. (Fs)

223b Die erste Überlegung ist, daß die in § 93 behandelte natürliche Ungleichheit zu einer unterschiedlichen Anerkennung der Rechte, die den beiden Geschlechtern zustehen, Anlaß geben kann, was jedoch keineswegs jener Gleichheit auf höherer Ebene Abbruch tut, die der nämliche Klemens von Alexandrien so deutlich herausgestellt hat: »Es gibt nur den einen, für Mann und Frau gleichgestellten Glauben; es gibt für beide nur eine Kirche, eine Selbstbeherrschung, eine Sittsamkeit. Gleich ist die Speise, gleich die Ehe, gleich die Luft, die sie atmen, gleich sind Augenlicht, Gehör, Erkennen, Hoffnung, Gehorsam, Liebe, Gnade, Heil, Tugendhaftigkeit« (Paedagogus 1, 10). Die Eigenrechte jeder Person leiten sich nicht vom abstrakten Sosein ab (die gemeinsamen Rechte sehr wohl), sondern vom konkreten, durch die Umstände des Daseins bedingten Sosein. (Fs)

224a Zu bedenken wäre ferner die Geschichtlichkeit der Kirche und ihr Vollkommenwerden, was die Gegenstände des Glaubens und das entsprechende Handeln betrifft. Orthodoxie und Orthopraxie beruhen auf einem unwandelbaren Prinzip, werden jedoch herausgebildet, entfaltet und ausgeprägt, so daß im zeitlichen Werdegang eine Vielzahl von Anwendungen entsteht. Zur Orthodoxie ist festzustellen, daß beispielsweise der klare und vollständige Begriff von der Würde und Makellosigkeit der Gottesmutter offensichtlich späteren Datums ist als der diesbezüglich unausgeprägte und unvollkommene Begriff in der Urkirche und selbst bei den Aposteln1, ganz zu schweigen von den Lehrsätzen über die Gnade, die päpstliche Unfehlbarkeit, die Aufnahme Mariens in den Himmel und vielen anderen Glaubenspunkten, die die Kirche des 20. Jahrhunderts viel entfalteter und eindeutiger besitzt als die des Altertums. (Fs)

224b Nicht anders als mit der Orthodoxie verhält es sich mit der Orthopraxie. Die katholische Kirche hat stets am Prinzip der Gleichheit beider Geschlechter, auf ihre Werthaftigkeit und Endbestimmung bezogen, festgehalten, - eine Gleichheit, dank der die natürliche Verschiedenheit (wohlgemerkt: die natürliche, nicht die durch Sittenverfall und Sinnenlust bewirkte) und die entsprechende Unterordnung in der Gleichheit aufgehen. Das ist das unveränderliche Element der Glaubenslehre. Was das Prinzip jedoch an Konsequenzen in sich trägt, kommt kraft geschichtlicher Entfaltung des Geistes ans Licht. Die Folgerungen, die aus dem Prinzip abgeleitet werden müssen, treten nach und nach hervor, zögerlich und auf Umwegen, vor allem, wenn es weit zurückreichende Folgerungen sind, die umso schwieriger wiedergefunden werden können, je höher das Prinzip war. Die Sklaverei z.B. ist überwunden dank der für alle völlig gleichen moralischen Bestimmung2 und der spirituellen Gotteskindschaft der Christen, auch wenn sie in der zivilen Gesetzgebung fortbestehen sollte. Doch aufgrund des Anspruchs, der jener Gleichheit immanent ist, darf die Sklaverei nicht fortbestehen, und tatsächlich hat die Religion deren Vorhandensein in den zivilen Gesetzen ganz allmählich beseitigt. (Fs)

225a Die Meinung, die Frau sei mit Hilfe der Religion erniedrigt und entwürdigt worden, ist zu einem Klischee der vom Geist der Neuerungen getragenen Publizistik geworden. Sie wird auch weitgehend von denen geteilt, die ohne Beweisführung (weder von der Geschichte noch von der Philosophie her) einräumen, die Frau habe in den vergangenen Jahrhunderten den Status eines Objekts gehabt, ihr sei der Status einer Person genommen worden, und noch mehr, es sei ihr eigener Fehler gewesen, daß sie über ihr Joch nicht nachgedacht, ja es akzeptiert habe3. Es steht fest, daß sich die Geschichtsschreibung hier - wie auch in vielen anderen Bereichen des zeitgenössischen Denkens -einer Synekdoche bedient, d.h. ein Teil wird herausgelöst und so behandelt, als gelte er für das Ganze. Auf dem Weg der Kirche durch die Geschichte gibt es Zeiten, in denen die Prinzipien ins Dunkel rücken und damit auch die daraus zu ziehenden logischen Folgerungen ins Wanken geraten. Dann gleiten zunächst die Praxis und danach in geringerem Maße die Theorien in unrechtmäßige Folgerungen ab, die das Prinzip zurückweist und verurteilt. Es ist aber erforderlich, von einem Prinzip Rechenschaft über die rechtmäßigen Folgerungen und nicht über solche zu verlangen, welche die Leidenschaften des Menschen aus ihm willkürlich herausholen. Tatsächlich waren die Jahrhunderte, in denen die Religion größere Geltung hatte, auch die Jahrhunderte, in denen die Würde der Frau anerkannt wurde und ihr Einfluß auf die Welt sich voller entfaltete. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt